Interview
Die Chance, wieder ein Zuhause zu haben
Überschwemmungen haben schwere Zerstörungen in Teilen von Mosambik, Simbabwe und Malawi angerichtet. Carsten Dolbert von ShelterBox ist gerade von einem Freiwilligen-Einsatz in der Region zurück.
Betroffen von den Wirbelstürmen "Idai" und "Kenneth" sind nach Angaben von UN-Organisationen etwa drei Millionen Menschen, davon allein 867.000 in Malawi.
Carsten Dolbert, Sie kommen eben aus Malawi zurück. Wie schnell konnte ShelterBox vor Ort sein und eingreifen?
Innerhalb sehr kurzer Zeit. Da ShelterBox von Anfang an die Wettersituation beobachtete, konnte bereits nach wenigen Tagen ein Response Team auf Reisen gehen: Organisatoren, Logistiker und Helfer – etwa zehn Personen. Von Vorteil war, dass ShelterBox auf Erfahrungen aus einem Einsatz 2015 in derselben Region zurückgreifen konnte. Trotz gravierender Auswirkungen der Überschwemmungen konnten wir zusammen mit internationalen und örtlichen Hilfsorganisationen schnell aktiv werden.
Wie sieht die Hilfe konkret aus?
Während sich andere Organisationen um die medizinische Versorgung und die Verteilung von Nahrung und Trinkwasser kümmern, ist ShelterBox auf Notunterkünfte und überlebenswichtige Hilfsgüter spezialisiert. Besonders der Süden Malawis ist arm, viele Menschen können sich deshalb nicht das Feuerholz leisten, um Ziegel zu brennen. Ihre Lehmhäuser halten Stürmen und Fluten nicht stand, stürzen ein, und die wenige Habe wird weggespült. In Zusammenarbeit mit Habitat for Humanity helfen wir diesen Menschen, wieder ein Dach über dem Kopf zu bekommen – mit den ShelterKits, die stabile Planen, Seil, Draht, Nägel und Werkzeug enthalten. Zusätzlich verteilen wir Solarlampen, Moskitonetze, Wasserfilter, Decken und Küchensets. Wir zeigen den Betroffenen, wie sie mit den ShelterKits ihre Häuser reparieren oder eine Notunterkunft aufbauen können. Denn oft sind die Flutopfer noch in vollkommen überfüllten Schulen und Kirchen untergebracht.
Was war Ihre Aufgabe dabei?
Jeder Tag sah anders aus: Mal ging es zur Lagebeurteilung in entlegene Dörfer. An anderen Tagen stand die Planung von Hilfsgüterlieferungen im Fokus. ShelterKit-Trainings oder die Ausgabe von Kits an betroffene Familien kamen dazu. Üblicherweise beraten wir mit den Dorfräten über die Verteilung und zeigen den Menschen, wie man mit dem ShelterKit eine stabile Notunterkunft baut. Dazu ist eine bestimmte Befestigungstechnik nötig, weil die Gewebeplane bei Sturm sonst wieder vom Dach abreißt.
Oft haben wir bei unseren Einsätzen auch Hilfe von lokalen Rotary Clubs. Sie sind wichtige Ansprechpartner, wenn im Einsatzgebiet Kontakte geknüpft werden müssen. Rotarier packen tatkräftig beim Verteilen von Hilfsmitteln mit an, organisieren Lagerräume oder auch mal einen Lkw. Eine überaus wertvolle Hilfe! Darüber hinaus kommt von Rotary ein erheblicher Teil der Spenden, ohne die unsere Arbeit so nicht möglich wäre. Dafür im Namen von ShelterBox herzlichen Dank!
Reicht die Hilfe, die jetzt in die Krisenregion kommt?
Ich denke, die Weltgemeinschaft müsste stärker unterstützen. Die von Natur- und humanitären Katastrophen betroffenen Menschen haben oft fast alles verloren. Malawi ist eines der ärmsten Länder der Erde. Was ShelterBox und die anderen Hilfsorganisationen hier leisten, ist großartig, deckt aber nur einen geringen Teil der notwendigen Hilfe ab. Wir sind mit 2000 ShelterKits angerückt. Damit können 2000 Familien eine behelfsmäßige Unterkunft für die nächsten Monate erhalten, aber eben nicht dauerhaft. Auch wenn der Zusammenhalt der Menschen in Malawi groß ist und jeder seinem Nachbarn hilft: Was hier an Hilfe ankommt, ist nur ein Bruchteil dessen, was nötig wäre.
Wo sehen Sie die größten Probleme?
Einerseits bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln: In den Überschwemmungsgebieten ist die komplette Ernte vernichtet. Zudem sind die Brunnen verunreinigt und in Senken blieben nach den Überschwemmungen Wasserlachen und Tümpel zurück, was die Ausbreitung von Malaria und Cholera begünstigt. Zudem: Wenn man heute durch die betroffenen Landstriche fährt, sieht man die Probleme nicht mehr auf den ersten Blick, denn es sprießt wieder Grünes aus dem Schlamm. Nur eben an der Stelle, wo früher die Hütte stand oder schon ein Maisfeld fast reif war. Das ist alles nicht mehr da. Wenn die Menschen ihr Leben und ein paar Tiere retten konnten, ist es viel.
Die Landessprache in Malawi ist Chichewa. Wie haben Sie sich verständlich gemacht?
Wir hatten Miriam dabei. Sie ist Mitarbeiterin bei Habitat for Humanity Malawi und hat uns unterstützt.
Ein paar Brocken Chichewa habe ich auch gelernt und diese ab und zu eingeflochten. Das löste meist Staunen und viel Heiterkeit aus.
Wichtige Helfer sind auch unsere Fahrer. Sie kommen aus der Region und kennen sich nicht nur auf den vielen unbefestigten Wegen bestens aus. Sie sprechen auch die regionalen Dialekte und kennen die hiesigen kulturellen Gepflogenheiten.
Welche Eindrücke nehmen Sie noch aus Malawi mit?
Ich war neben Einsätzen in Paraguay und in der Karibik bereits bei der Flutkatastrophe vor vier Jahren in Malawi im Einsatz. Wie damals habe ich gemerkt: Die Menschen sind gastfreundlich, herzlich und respektvoll, unterstützen sich gegenseitig – das hilft bei jeder Anstrengung, die ShelterBox hier macht.
Was mich jedes Mal wieder erstaunt, ist, dass in den Dörfern kein Müll existiert. Nicht, weil das Wasser ihn weggespült hat, sondern weil alles wiederverwendet und nichts weggeworfen wird. Die Jungs spielen beispielsweise mit Fußbällen, die aus alten Plastiktüten mit eingedrehten Luftkammern zusammengebunden werden. Jegliches Material, das passt, wird genutzt – und der Fußball ist super, ich hab es ausprobiert.
Auch spielt Geld im Alltag auf dem Land nur eine untergeordnete Rolle. Meist wird getauscht. Den Menschen reicht das Wenige, über das sie verfügen, um ein glückliches Leben zu führen. Selbst in der Not schauen sie nach vorn. Dies stimmt mich im Hinblick auf die Ressourcenverschwendung und die Umweltprobleme in den Konsumgesellschaften nachdenklich. Die Zyklone haben diesmal ungewöhnlicherweise auch Teile des Nordens von Malawi heimgesucht. Die Menschen dort waren nicht darauf vorbereitet. Ein Zeichen für die direkten Folgen des Klimawandels, für den wir in den westlichen Industrienationen verantwortlich sind. Auch ich. Und ich treffe hier die unschuldigen Opfer. Das berührt mich sehr.
Werden Sie bei der nächsten Naturkatastrophe oder humanitären Krise wieder losfahren?
Ich habe das Gefühl, bei den Freiwilligen-Einsätzen mindestens ebenso viel zurückzubekommen, wie ich einsetze: vor allem eine Relativierung der vermeintlichen Probleme bei uns, andere Sichtweisen und Einblicke. Ich lerne jedes Mal etwas dazu und empfinde diese Arbeit als sinnstiftend.
Zurück zu Hause bin ich jedes Mal recht erfüllt vom Erlebten, auch wenn es Not und Leid beinhaltet. Inzwischen sind die Hilfseinsätze Teil meines Lebens geworden. Wenn ich sehe, wie sinnvoll und wirksam die Hilfe vor Ort ist, dann weiß ich: Ich mach das noch eine ganze Weile.
Das Gespräch führte Sabine Meinert.
Die Zusammenarbeit mit ShelterBox wurde auf der Convention 2019 um weitere drei Jahre verlängert. Sehen Sie dazu hier ein Video:
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