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Standpunkt

Interact – eine verpasste Chance

Rotarys Nachwuchsarbeit ist ungenügend, sagt Reiner Kettenring

14.04.2014

Interact ist das erfolgreichste, umfangreichste, preiswerteste und effizienteste Gemeindienstprojekt der rotarischen Weltgemeinschaft. In 120 Ländern realisieren in über 13.000 Interact Clubs mehr als 300.000 Jugendliche jährlich über 18.000 Serviceprojekte auf eigene Kosten, d.h. ohne finanzielle Unterstützung durch einen Rotary Club. Wäre es da nicht an der Zeit, sich auch in Deutschland des Phänomens „Interact“ anzunehmen? Gerade mal 20 Clubs sind bei RI registriert, davon leben vielleicht zehn. Das bedeutet, dass seit der Gründung des ersten Interact Clubs 1962 in den USA die deutschen Rotarier etwa 50.000 Jugendlichen nicht die Möglichkeit eröffnet haben, in einer von rotarischen Wertvorstellungen geprägten Jugendgemeinschaft neue Freunde zu finden, zu lernen und zu helfen. Eine irritierende Bilanz!
Sollte „Unkenntnis“ der Grund für die äußerst unbefriedigende Interact-Situation in Deutschland sein, dann folgt jetzt, was jeder Rotarier über Interact wissen könnte:
Interact ist ein rotarischer Jugendclub, der nach rotarischem Vorbild konzipiert und ausgerichtet ist, also ein autonom planender und handelnder Serviceclub

  • mit einer rotarischen Verfassung und Satzung,mit jährlich wechselndem
  • Clubvorstand,
  • dessen Mitglieder (12 bis 18 Jahre alt) sich monatlich i.d.R. zweimal treffen,
  • der bei Gründung mindestens 15 aktive Clubmitglieder hat,
  • der im Jahr zwei Serviceprojekte durchführt, davon eines im Gemeindebereich und ein internationales Hilfsprogramm,
  • der seine Projekte eigenständig plant und realisiert und vor allem selbst finanziert(!),
  • der internationale Kontakte und Freundschaften pflegt,
  • der nur von einem Rotary Club im Auftrag des Governors gegründet werden kann,
  • der schulübergreifend (community based) oder als Schulclub (school based) organisiert sein kann,
  • und an dessen Treffen die Teilnahme eines Erwachsenen die Regel ist.

Wechsel zu Rotaract möglich
Interacter sind meistens Schüler. Es sind unter anderen Rotarier-Kinder, deren Schulfreunde und Bekannte. Über die Mitgliedschaft entscheidet der Club (und der Counsellor) nach ihrer Eignung. Von einem Interacter werden außer Zuverlässigkeit echtes Engagement und Beteiligung an den Projekten und Unternehmungen des Clubs, Lern-, Hilfs- und Kommunikationsbereitschaft erwartet, ein tolerantes Verhalten anderen Clubmitgliedern und Andersdenkenden gegenüber, die Bereitschaft, internationale Kontakte und Freundschaften zu schließen und zu gegebener Zeit ein Vorstandsamt zu übernehmen.
Interacter zahlen nur einen geringen Mitgliedsbeitrag. Sie erhalten einen vom Patenclub ausgestellten Mitgliedsausweis und eine Interact-Nadel als Symbol ihrer Mitgliedschaft. Die Mitgliedschaft endet mit der Vollendung des 18. Lebensjahres. Viele Interacter wechseln anschließend als „erfahrene“ Serviceclubmitglieder in einen Rotaract Club.

Was macht Interact für Jugendliche attraktiv? Weshalb sollten sie sich einbringen? Da ist vor allem der bereitgestellte freie Handlungsraum, der als Aktions-, Erlebnis-, Spiel- und Bewährungsraum bestens geeignet ist, lern- und erfahrungsbereiten Jugendlichen – ohne Bevormundung durch Eltern, Lehrer oder sonstige Erzieherapostel – die Chance zu eröffnen, in eigener Verantwortung frei gewählte Clubprojekte gemeinschaftlich vorzunehmen, Erfolge gemeinsam auszukosten, so wie auch mögliche Niederlagen zu verkraften sind. So lernt der Jugendliche sich frühzeitig und ohne Bevormundung durch Erwachsene – aber mit deren Hilfe – in der Gesellschaft zu orientieren und zu bewähren.

Wer sonst bietet Jugendlichen dieses freie Lern- und Handlungsparadies? Vermutlich niemand – es ist konkurrenzlos. Der „Nutzer“ dieses freiheitlichen Aktionsfeldes kann natürlich auch für sich selbst viel gewinnen. Er kann?…

  • Führungsqualifikationen in wechselnden Rollen entwickeln, eine von Ro­tary besonders geförderte Fähigkeit,
  • eigenständiges Planen und Handeln lernen,
  • soziale Kompetenz und Hilfsfähigkeit lernen,
  • seinen Wissens -und Erfahrungs­horizont erweitern,
  • internationale Kontakte und Freundschaften schließen und damit viel über andere Lebensformen und -bedingungen lernen,
  • Einblicke in die Arbeitswelt gewinnen,
  • die Sicherheit und Geborgenheit der Clubgemeinschaft erleben – frei nach dem interactischen Motto: Lernen – Helfen – Feiern.

Da ein Interact Club nur durch einen Rotary Club gegründet werden kann, ist entscheidend für den Erfolg, dass sich ein Rotarier findet, der als Interact-Beauftragter des Patenclubs dieses außerordentlich wertvolle Gemeindienstprojekt betreut. Er ist als Counsellor Ratgeber, Förderer, Helfer, Vermittler, Beichtvater, Richter und Verteidiger in einer Person. Für den Interact Club ist das enge Verhältnis zum Patenclub von größter Bedeutung. Bei allem Streben nach Unabhängigkeit und Selbstständigkeit ist bei Heranwachsenden das Bedürfnis nach der „beschützenden Hand“ der Erwachsenen unverändert groß.

Was hat nun der Sponsorclub von seinem Interact Club zu erwarten? Selbstverständlich kann auch der Patenclub Gewinne aus diesem Projekt ableiten. Es ist auch vorteilhaft, eine Gruppe zu haben, die spezifische Jugendaufgaben erfüllen kann (Austauschschüler, Jugendcamp), und es kann über den Interact Club auch ein Interessenausgleich zwischen den Generationen geleistet werden. Die „Gewinnliste“ ließe sich mühelos erweitern, doch ist sicher deutlich geworden, dass das Bündnis Sponsorclub-Interact keine Einbahnstraße ist.
Wann also finden sich in Deutschland 50 bis 100 Rotarier (von über 50.000) bereit, einen Interact Club zu gründen und zu betreuen? Wann gewinnen nicht mehr die Bedenkenträger und ewigen Pessimisten, die Gleichgültigen und Zweifler? Wann endlich kommt es zum Aufstand der Aktiven, der Optimisten, der Risikobereiten? Denn es warten 5000 Jugendliche auf eine Chance, durch Rotary Deutschland aktive Mitglieder eines Interact Clubs werden zu können. Wann wird die rotarische Familie den Durchbruch auch in Deutschland erreichen?