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Ruanda

So viel Freude, so viel Leid

Ruanda - So viel Freude, so viel Leid
686 Schüler, dazu Lehrer, Eltern und eine Handvoll deutsche Rotarier aus D1850 feiern die Schuleröffnung in Rukore. © Morgan Creation

Wenn ein Land, in dem das durchschnittliche Monatseinkommen bei 100 Dollar liegt, in dem die Gefängniszellen zehnfach überbelegt sind, dessen Bevölkerung rapide wächst und das noch immer an den Folgen eines Genozids leidet, sich eine Zukunft aufbauen will, dann braucht es vor allem zwei Dinge: Visionen und Bildung.

Björn Lange01.03.2023

Gerd ist glücklich. Endlich geht es los. Nach Ruanda, nach Rukore, wo die Grundschule eingeweiht werden soll, für dessen Bau er sich so engagiert hat. Die Idee kam ihm vor vier Jahren. Er wusste, dass er 2021 Governor des Distrikts 1850 werden würde und war auf der Suche nach einem großen, nach einem bedeutenden Projekt. Einige Monate zuvor hatte Gerd Beckmann (RC Bersenbrück Altkreis) Reiner Meutsch kennengelernt, Gründer der Stiftung "Fly & Help", die überall auf der Welt in Entwicklungsländern Schulen baut. Das sollte es sein! Gerd, Schulrektor a.D., besuchte zwei solcher Schulen, war bei deren Einweihung dabei und Reiner Meutsch empfahl: Ruanda. Als Governor tingelte Gerd durch die 71 Clubs des Distrikts und bat jeden um 1500 Euro für das Projekt. Zwei Drittel machten mit und private Geldgeber kamen hinzu. Und jetzt steht die 25-köpfige Delegation aus D1850 ungeduldig am Gate des Brüsseler Airports. Mit einer Stunde Verspätung hebt der Flieger ab und landet in einer anderen Welt.


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Zur Begrüßung eine Löwendame

Wer so eine Reise in eine andere Welt unternimmt, will die fremde Welt erkunden und kommt nicht für einen Tag. Das kleine ostafrikanische Land wirbt mit einer traumhaften Natur, 1000 sattgrünen Hügeln und seinen Nationalparks um solvente Touristen, und es gilt wegen seiner Sicherheit als idealer Einstieg für Afrika-Reisende. Doch bevor sich der rotarische Tross aus sieben Geländewagen zum Tiere gucken in Bewegung setzt, geht es zur Genozid-Gedenkstätte Gisozi am Rande der Hauptstadt Kigali. Der Völkermord von 1994 ist allgegenwärtig, auch wenn öffentlich niemand darüber spricht. Die Ruander sind freundlich, zuvorkommend, lachen, und doch spürt man, dass die kollektive Erfahrung dieser grauenvollen Ereignisse noch immer bleischwer auf ihnen lastet. Wie könnte es auch anders sein? Wie könnte man je vergessen, dass Nachbarn, mit denen man seit Jahren friedlich im Dorf zusammenlebte, plötzlich mit Macheten kamen und über die Mutter und die Geschwister herfielen. Wie soll ein Mensch, der Zeuge solcher Taten war und nur zufällig überlebt hat, jemals wieder Vertrauen fassen? Die Fragen der Vergangenheit sind also auch Fragen an die Zukunft Ruandas.

Vordergründig geht es bergauf, Präsident Paul Kagame hat Ruhe ins Land gebracht und seinem Volk Einigkeit verordnet. Offiziell steht er einer Demokratie vor, denn es gibt eine Opposition, hinter vorgehaltener Hand sprechen viele allerdings von einer "Democrazy" oder einer "Demokratur". Denn die Visionen des kleinen ostafrikanischen Landes formuliert niemand anderes als Kagame, der – ausgebildet beim Militär und einst Kämpfer der Ruandischen Patriotischen Front (RPF) – das Land wie eine militärische Einheit führt. Der Staat kontrolliert die Provinzen, die Provinzen die Distrikte, die Distrikte die Sektoren, die Sektoren die Zellen und in den Zellen kümmern sich sogenannte Nyumbakumi um jeweils zehn Häuser. Die Informationswege sind kurz, die Kontrolle ist perfekt. Die Schweiz Afrikas will er aus Ruanda machen, und aus der Hauptstadt Kigali soll ein afrikanisches Singapur werden. Immerhin: Die Berge sind schon einmal da. Aber: Wer die Namen "Tutsi" und "Hutu" heute nennt, stört die befohlene Einheit und wird des Verbrechens des Divisionismus beschuldigt. "Eine echte Aufarbeitung ist so natürlich nicht möglich", sagt der Hamburger Völkerrechtler Gerd Hankel, der das Land mehr als 20 Mal bereist hat.

Nach einem kurzen Spaziergang durch die Massengräber von Gisozi sitzen alle wieder im Auto, stumm, betroffen, den Tränen nah und es geht ostwärts. Weit ist es nicht, aber für die 110 Kilometer braucht der Tross länger als drei Stunden. Es geht hoch und runter, links und rechts, Kinder spielen, Hühner picken und noch wundert sich die deutsche Reisegruppe über die vielen auf absurde Weise überladenen Fahrräder, mit denen die Menschen bis zu 150 Kilogramm Bananen, Ananas, Reis, Mais, Bohnen, Möbel und Ziegen transportieren. Die bunten offenen Märkte entlang der Hauptstraße sind gut besucht, Kinder spielen in zerschlissenen Messi-, Ronaldo-, Neymar- und Mpabbé-Trikots mit selbstgebundenen Strohbällen Fußball und eine Frau führt eine Ziege an der Leine Gassi. In den Tälern glitzern Reisfelder in der Sonne, vor den Stein- und Lehmhütten der Dörfer arbeiten Menschen in ihren kleinen Gärten, in denen sie Obst und Gemüse zumeist für den Eigenbedarf anbauen. Am Abend erreicht die Kolonne den Akagera-Nationalpark, wo sie zu ihrer Verzückung von einer Giraffe und einer Löwin begrüßt wird. Der Sonnenuntergang hinter den Berggipfeln ist allerdings wirklich spektakulär. Die Dämmerung bringt die Kühle des Abends und die warmen Lichter, die mit jeder Minute stärker werden. Zu dieser Stunde wechselt der Rhythmus. Für einen kleinen Moment wird es ganz still, ehe die Kröten und Grillen loslegen.

Es drohen neue Verteilungskämpfe

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VIDEO: Eindrücke aus dem Land und von der Schuleinweihung - KLICKEN SIE AUF DAS BILD! © Björn Lange

Der nächste Tag führt die Abenteurer auf zerklüfteten Feldwegen einmal von Süden nach Norden durch den Park. Auf 110 Kilometern rumpelt der Tross durch dichte, undurchsichtige Büsche, über offenes, weites Land, vorbei an Seen, Akazienwäldern, Papyrusfeldern und bis hinauf in die Steppe des Nordens. Unzählige Outback-, Topi- und Tsessebe-Antilopen stehen Spalier, Dutzende Giraffen zeigen ihre schönsten Choreographien, Impalas, Warzenschweine und Büffel winken den Touristen zu, eine Nilpferdfamilie schwimmt durch den Hago-See und immer wieder zeigen Zebras ihr leuchtendes Schwarz-Weiß. Mehr als 500 Arten beheimatet der Akagera-Nationalpark, darunter Weißkopfadler, Schuhschnäbel, Rotgesicht-Bartvögel und Papyruswürger. Nur Elefanten mögen sich der deutschen Delegation nicht zeigen, obwohl es mehr als 100 Exemplare geben soll. Macht nichts, Gerd ist glücklich.

"Team 1850" verlässt den Park und fährt 45 Minuten über Schotterpisten zur nächsten Teerstraße. Wo heute Menschen in kleinen Dörfern vor ihren Hütten sitzen, essen, reden, dösen, waren noch vor wenigen Jahrzehnten die Tiere des Parks zu Hause. Doch nach und nach schmolz ihr Areal von 2700 auf 1200 Quadratmeter. Das kleine Land, das nicht größer ist als Rheinland-Pfalz, brauchte Platz für seine Menschen und die Herausforderung wird immer größer. Die Bevölkerung wächst um 2,5 Prozent pro Jahr, wird in diesem Jahr die 14-Millionen-Marke knacken und sich in den nächsten Jahrzehnten noch einmal verdoppeln. Die Kapazitäten sind begrenzt und neue Verteilungskämpfe vorprogrammiert. Genau darin besteht die eigentliche Herausforderung für Präsident Kagame. Als boomende Hauptstadt eines "land-locked country" ohne Meereszugang und nennenswerte Exporte, wandelt sich die Zwei-Millionen-Metropole Kigali zu einem Dienstleistungs- und internationalen Tagungsstandort. Neue Einkaufszentren und das Convention Center zeugen von einem gewaltigen Modernisierungsschub, der den Rest des Landes nicht erreicht. Ein neues VW-Werk ist entstanden, eine Biontech-Produktionsstätte und Dutzende neuer Wohnblocks sollen in Kürze entstehen – doch wer soll die Autos kaufen, wer die Mieten bezahlen? "Immer noch fließen jährlich Milliarden an internationalen Hilfsgeldern nach Ruanda, ohne die der Haushalt zusammenbrechen würde", sagt Hankel, "aber bei den meisten Menschen kommt der versprochene Fortschritt nicht an." Zu seiner Einschätzung passt, dass in der abgehängten Bugesera-Region ein neuer Großflughafen entsteht. Natürlich nicht aus eigener Kraft, sondern mit katarischem Kapital – und längst haben sich die Investoren 51 Prozent gesichert.

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Traditionelle Gewänder der ruandischen Frauen © Katharina Mählmeyer

Zurück in Kigali trifft die deutsche Delegation im legendären "Hotel des Mille Collines" auf ruandische Rotarier und viel, viel Geschichte. Am Originalschauplatz des den Völkermord thematisierenden Spielfilms "Hotel Ruanda" hat sich viel verändert. Die Rezeption ist nicht mehr vorne, sondern rechts, die Treppe nach unten nicht mehr hinten rechts, sondern vorne links und die Terrassenlounge ist ganz neu. Im Originalzustand sind vermutlich noch die Zimmer, in jedem Fall der Hotelpool, aus dem im Frühjahr 1994 die Belagerten ihr Wasser schöpften. Und die Prostituierten sind auch wieder da. Nirgends im Land werden sie geduldet, nur hier, in der Bar dieses Hotels. Die Attraktion des Abends aber ist Paul, der uns als "Mr. Rotary Ruanda" vorgestellt wird. Paul hat einige Söhne und Töchter mitgebracht – so nennt er alle, die er zu Rotary geholt hat. Doch die eigentliche Party steigt am nächsten Tag.

Der Moment für die Ewigkeit

Die schlechteste Straße der Welt führt irgendwo durch den Süden Ruandas. Sie ist zum Teil so mies, dass die schlimmsten Krater mit Holzplanken überwindbar gemacht werden müssen, um überhaupt weiterfahren zu können. Beim Schlagloch-Slalom müssen in waghalsigen Manövern auch Felsbrocken, Ziegen, Messis und Ronaldos umfahren werden. Hier, im armen Süden Ruandas, hängt das Leben der Menschen davon ab, dass im richtigen Moment die richtige Menge Regen fällt. Ist die Regenzeit zu kurz, wie zuletzt, wächst kaum etwas, fällt zu viel Niederschlag, reißen die Fluten immer wieder Ernten und ganze Häuser mit in die Täler. Eine Ursache dieser Katastrophen ist die Erosion von Böden durch die jahrzehntelange Abholzung der Wälder. Während des Genozids sind nicht nur Menschenleben, sondern auch private und öffentliche Gebäude in großer Zahl zerstört worden. Um den Wiederaufbau voranzutreiben, war Holz der wichtigste Baustoff. Die Klimaveränderungen setzen längst auch eine soziale Abwärtsspirale in Gang. Ernten fallen aus, die Preise für Lebensmittel steigen. Das Geld fehlt für andere Dinge und damit dem Wirtschaftskreislauf. Das wiederum bedeutet, dass der Staat weniger Steuern einnimmt, die er als Nothilfe für besonders schwer betroffene Regionen zur Verfügung stellen kann.

In einer Region, in der das durchschnittliche Monatseinkommen zwischen 30 und 40 Dollar liegt, zählt jede helfende Hand auf dem Acker. Vielen Kindern fehlt der Zugang zu Bildung, weshalb sich ihre Situation in absehbarer Zeit nicht verändern wird. In der Gegend um Rukore müssen sie am Morgen bis zu zehn Kilometer zur Schule gehen, nachmittags den gleichen Weg zurück. Und weil das viel Zeit kostet und sie ihren Eltern in dieser Zeit nicht bei der Feldarbeit helfen können, bleiben viele Kinder lieber gleich zu Hause. Nachdem Gerd sein Grundschulprojekt angeschoben hatte, berichtete ihm zwischen Mai und September 2022 der Quakenbrücker Profibasketballer Adrian Breitlauch direkt aus Ruanda über dessen Fortgang. Immer enger stand Gerd mit Schulleiterin Florida Uzamukunda und Elias Vogler in Kontakt. Vogler, leitender Ingenieur des Partnerschaftsvereins Jumelage, plante das Projekt und setzte es um. Mehr als 171.000 Euro hatte Gerd eingesammelt. In nicht einmal anderthalb Jahren sind daraus zehn Klassenräume plus Möbel, eine Küche, zwei Latrinenblöcke, Handwaschstationen und fünf Regenwasserzisternen entstanden. 40 Lehrer wurden eingestellt und einer ganzen Region Struktur gegeben. 

Der Moment der Ankunft ist überwältigend: Hunderte Kinder in blauen und ockerfarbenen Schuluniformen empfangen die Deutschen mit Willkommensgesängen. Tausende leuchtende Kinderaugen erzählen von Neugier, Dankbarkeit und Lebenslust. Der Moment der Ankunft dauert eine Ewigkeit. D1850 ist den Tränen nahe. Gerd war noch nie so glücklich.

Die Schule wächst weiter

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Als Gerd Beckmann einen Lederfußball an die Schulleiterin übergibt, gibt es kein Halten mehr. © Morgan Creation

Bei der Einweihungsfeier auf dem Schulhof gibt es traditionelle Musik und Tänze, Geschenke werden ausgetauscht. Wer erlebt, wie sehr sich Kinder über Stifte, Papier und bunte Luftballons freuen können, wird demütig und relativiert vieles, was in der Heimat als Selbstverständlichkeit gilt. Und bewertet manche Dinge womöglich neu. Das Distriktprojekt ist abgeschlossen, doch die Schule muss und wird weiter wachsen. Für 400 Schüler wurde sie geplant, für 600 gebaut, an 686 Kinder übergeben. Bis 2024 werden zwei weitere Klassenräume entstehen, denn dann werden 800 Kinder darin Platz finden müssen. 26.000 Euro muss Gerd dafür noch einmal auftreiben, die Hälfte hat er schon zusammen.

Die nächsten Tage führen den Reisenden die Vielfalt dieses winzigen Landes eindrucksvoll vor Augen. Team 1850 erlebt den Regenwald des Nyungwe-Nationalparks, ist zu Gast beim Pygmäenvolk der Batwa, genetisch eines der ältesten Völker der Erde, erprobt sein Verhandlungsgeschick auf lokalen Wochenmärkten, erlebt Teepflückerinnen bei ihrer Arbeit, bekommt bei einer Bootstour auf dem riesigen und wunderschönen Kivu-See Besuch von einer Grünmeerkatze und kommt den Gorillas des Virunga-Nationalparks im Grenzgebiet zu Uganda ganz nah, beinahe zu nah. Ruanda ist ein Land, für das es sich zu kämpfen lohnt. Nicht im ideologischen, sondern im guten Sinn. Die große Frage ist, was passiert, wenn Präsident Kagame abtritt oder stirbt. Seinen Sohn, ebenfalls beim Militär ausgebildet, hat er bereits in Stellung gebracht – doch in einer Demokratie wird Macht nicht vererbt. Es herrscht Krieg im Kongo, der nicht lokal begrenzt bleiben muss. So klein Ruanda auch ist, es ist der Stabilitätsanker einer ganzen Region. Man mag sich gar nicht vorstellen, was geschieht, wenn hier alte Konflikte aufbrechen.

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Auf dem afrikanischen Markt von Kigali gibt es Hübsches, Nutzloses und alles andere. Und Tausende freundliche Ruander © Björn Lange

Die Kinder von Rukore haben nun eine echte Chance. "Bildung ist der Schlüssel zu allem", hatte Gerd bei der Einweihung gesagt. Affen, Zebras, Regenwald – immer wieder hören wir, dass es hier noch das echte, ursprüngliche Afrika gebe. Verbietet das Fortschritt?

Wer nach einer Woche Akagera, Virunga und Kigali der uns eigenen europäischen kulturellen Arroganz anheimfällt und glaubt, dass es keine zweite Realität unter der oberflächlichen Naturidylle gibt, der täuscht sich. Schwer bewaffnete Wachposten sind allgegenwärtig. Natürlich lassen sich europäische Demokratiestandards, die selbst in Europa immer seltener funktionieren, nicht als Forderung an ein afrikanisches Land mit dieser Geschichte formulieren. Aber man kann an eine bessere Zukunft glauben und Kinder über Bildung dazu ermächtigen, sie aktiv mitzugestalten. Gerd ist glücklich.


Der Völkermord – 100 Tage des Grauens

Die Bevölkerung Ruandas besteht im Wesentlichen aus zwei ethnischen Gruppen, den zahlenmäßig weit überlegenen Hutu, traditionell Landwirte, und den aus Äthiopien und Tansania eingewanderten Tutsi, meist Viehwirte. Um die Mehrheit zu beherrschen, hatten die belgischen Kolonialherren die Tutsi zu ihren Gehilfen gemacht. Doch als die Belgier abzogen, holten sich die Hutu die Macht gewaltsam zurück.

In der sogenannten "Revolution von 1959" wurden in Ruanda lebende Tutsi von den Hutu getötet oder von ihrem Land vertrieben, ihre Häuser niedergebrannt und geplündert. Viele suchten Zuflucht in den Nachbarländern Burundi, Uganda, Tansania und Kongo. Am 1. Juli 1962 erlangte Ruanda seine Unabhängigkeit zurück, ohne jedoch die Einheit seines Volkes wiederzuerlangen. An der Spitze der neuen Republik stand Grégoire Kayibanda, der Gründer von Parmehutu, der "Partei für die Emanzipation des Hutu-Volkes". Kayibanda baute seine Regierung auf ethnische Spaltungen und die Diskriminierung der Tutsi auf. Am 1. Oktober 1990 griffen die Truppen der Ruandischen Patriotischen Front (RPF) Ruanda von Uganda aus an. Ihre Hauptmotivation war das Recht auf Rückkehr in ihr Heimatland und die uneingeschränkte Wahrnehmung der Rechte. Die ruandischen Streitkräfte (FAR) schlugen den Angriff mit Hilfe ausländischer, insbesondere französischer Militärunterstützung, zurück.

Die Regierung von Juvénal Habyarimana (Präsident seit 1973 und den Hutu zugehörig) nutzte den Angriff im Oktober als Vorwand, um politische Gegner der Tutsi und Hutu zu verfolgen. Mehr als 8000 Menschen wurden in der Nacht des 4. Oktober 1990 verhaftet. Nach dem RPF-Angriff im Oktober 1990 brachte der Druck der Nachbarländer und der internationalen Gemeinschaft die beiden Seiten an den Verhandlungstisch. Die Gespräche endeten am 4. August 1993 mit der Unterzeichnung des Friedensabkommens von Arusha zwischen der ruandischen Regierung und der Ruandischen Patriotischen Front (RPF).

Als die nationalen Regierungen der Region und die Organisation der Afrikanischen Einheit Habyarimana am 6. April 1994 nach Tansania einluden, um die Dringlichkeit der Umsetzung des Friedensabkommens zu erörtern, waren die Todeslisten längst erstellt. Am Abend des 6. April schossen radikale Hutu das Flugzeug ihres gemäßigten Präsidenten ab und machten für die Tat die Tutsi verantwortlich. Dass bereits eine Stunde nach dem Abschuss Straßensperren errichtet wurden, zeigt, dass die Aktion seitens der Hutu gut vorbereitet war. In den folgenden drei Monaten starben knapp eine Million Menschen, darunter 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu. Es kam zu groß angelegten Massakern in Kirchen, Krankenhäusern, Schulen und auf den Straßen. Tutsi mussten große Gemeinschaftsgräber ausheben, in die sie lebendig geworfen wurden.

Nach dem Scheitern der Umsetzung des Friedensabkommens von Arusha und dem Beginn des Massenmordes mobilisierte die RPF ihre Truppen. Die Soldaten der RPF kamen aus Uganda und ermordeten in ihrem Marsch auf Kigali ihrerseits an die 200.000 Hutu.

Frankreich spielte eine entscheidende Rolle bei dem Völkermord. Zwischen 1990 und 1994 unterstützte Frankreich die Regierungsarmee bei der Rekrutierung und Aufstockung von 5000 auf 50.000 Mann. Es wurden Ausbildungslager eingerichtet, in denen französische Offiziere Todesschwadronen ausbildeten.

Ende Juni 1994 entsandte Frankreich auf Ersuchen des UN-Sicherheitsrates im Rahmen der "Operation Turquoise" rund 2200 Soldaten in den Südwesten Ruandas, angeblich um eine sichere humanitäre Zone zu schaffen. Damals lebten die wenigen Männer, Frauen und Kinder, die das systematische Morden in Gikongoro überlebt hatten, darunter auch Überlebende aus Murambi, einige Wochen lang unter dem sogenannten Schutz französischer Soldaten, ehe auch sie größtenteils zum Abschlachten freigegeben wurden.

Unter den 200 Genozid-Gedenkstätten des Landes ist die in Murambi besonders eindrucksvoll und besonders schwer verdaulich. Hier kann man den Tod nicht nur riechen, sondern auch sehen: Wer sich nah genug an die ausgestellten Skelette heranwagt, kann die Todesursachen der Männer, Frauen und Kinder erkennen.


  • Fly & Help
    Alles begann mit einer Reise, die Abenteuer, Hilfsprojekt und Herzenswunsch zugleich war: Reiner Meutsch, ehemaliger geschäftsführender Gesellschafter des Reiseveranstalters Berge & Meer, erfüllte sich einen Lebenstraum. Er tauschte seinen Schreibtisch gegen das Cockpit eines Kleinflugzeugs, um einmal die Erde zu umfliegen. Im Januar 2010 startete der Manager aus dem Westerwald zur Weltumrundung, bei der er zugleich Hilfsprojekte in Ghana, Ruanda, Indien, Indonesien und Brasilien besuchte und unterstützte.
    Er gründete die Stiftung "Fly & Help" und startete im Jahr 2011 mit dem Bau von fünf Schulen. 2012 waren es acht, 2013 schon 14, in den Folgejahren 24, 36, 48 und 72. Mittlerweile sind es über 700 Schulen für mehr als 130.000 Kinder und 5500 staatlich angestellte Lehrer, und jeden zweiten Tag wird eine weitere Schule eröffnet.
    Das besondere an Meutschs Stiftung ist, dass er seine elf Mitarbeiter aus eigener Tasche bezahlt, dass die Gemeinden sich dazu verpflichten, die Schulen mindestens 40 Jahre zu betreiben, und dass ausschließlich lokale Materialien verbaut werden.
    fly-and-help.de

Rotary in Ruanda

Paul Birungi Masterjerb ist Mr Rotary Ruanda. Der 56-Jährige ist Past Assistant District Governor 9150 und verfolgt ehrgeizige Ziele. Gab es im Jahr 2021 noch sechs Clubs in Ruanda, sind es heute 13. Am Ende dieses Jahres sollen es 40 sein. Auf die Frage, wie er das anstellen will, antwortet Paul, dass er mit der Regierung gesprochen und klargemacht habe, dass jeder der 30 Distrikte in Ruanda wenigstens einen Club brauche. Ein Drittel der Mitglieder in Ruanda sind weiblich, es gibt acht Rotaract- und vier Interact-Clubs, Tendenz steigend. Die Rotary-Struktur ist straff organisiert: Jedes Jahr widmen die Clubs jedem der sieben rotarischen Schwerpunkte einen Tag.

Der Distrikt 9150 umfasst neben Ruanda neun weitere Länder: Burundi, die Demokratische Republik Kongo, die Zentralafrikanische Republik, Kongo-Brazzaville, Kamerun, Gabun, Sao Tomé, Äquatorialguinea und Tschad. Die 1441 Mitglieder versammeln sich in 75 Clubs.

Paul freut sich über Post: bpmasterjerb@gmail.com


Projekte für und in Ruanda

Seit 2004 unterstützt der RC Bielefeld-Waldhof das Krankenhaus Centre de Santé Gikonko in Ruanda. 2010 etwa konnte der Club mit Unterstützung seines französischen Partnerclubs Boulogne-Billancourt einen OP-Neubau mitfinanzieren, ein Jahr später wurde ein Ultraschallgerät angeschafft.

Der Schutz der letzten Berggorillas in Ruanda wird seit 2007 von den Rotary Clubs Baden und Neunkirchen durch Einnahmen aus Veranstaltungen unterstützt. So wurden zum Beispiel 7000 kostenlose Bücher zum Artverhalten dieser Primaten für Schulkinder auf Ruandisch und Englisch herausgebracht, um die Bevölkerung für das Schicksal der Gorillas zu sensibilisieren.

Dank des RC Berlin-Zitadelle konnten ruandische Chirurgen in modernen OPTechniken weitergebildet werden. Der Berliner Club stellte mit Unterstützung mehrerer Clubs und Distrikte 40.000 Euro für die Ausstattung eines Lehr-OPs zur Verfügung und beteiligte sich mit Fachärzten des Clubs an einer Weiterbildungsreise nach Ruanda.

Der RC Gmunden-Traunsee hat eine Berufsschule für Waisenkinder in Ruanda gebaut. Dort werden Lehrgänge in Schneidern und Landwirtschaft oder Kurse für EDV und Englisch abgehalten. Mit im Boot beim Projekt waren der RC Gmunden und der RC Wels.

Der RC Berlin hat das „Chicken-Projekt“ für Frauen in Rusiga (Ruanda) unterstützt. 300 Hühner wurden an Frauen in Rusiga verteilt, die seitdem die Eier in Kigali und auf anderen kleinen Märkten sowie an lokale Restaurants verkaufen. Dazu wurde ein Business-Plan erarbeitet, der den schrittweisen Aufbau einer kleinen Hühnerzucht zur Sicherung eines Familieneinkommens aufgezeigt hat. 

Mehr unter rotary.de/a21482

Björn Lange
Björn Lange arbeitete seit April 2019 zunächst als stellvertretender Chefredakteur des Magazins im Rotary Verlag. Seit Juli 2020 ist er Chefredakteur des Rotary Magazins. Zuvor war er unter anderem Redaktionsleiter des Pressedienstleisters Rheinland Presse Service in Bonn und des B2B-Wirtschaftsmagazins inside B in Offenburg.