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RC Hof-Bayerisches Vogtland

Aus Leid erwuchs tiefe Freundschaft

RC Hof-Bayerisches Vogtland - Aus Leid erwuchs tiefe Freundschaft
Freudiges Wiedersehen: Karina Zdanevic ist aus Polen nach Hof gekommen. Sie freut sich, Freunde wie Professor Matthias Schürmann (rechts) zu sehen. Der Hofer Unfallchirurg hatte sie vor 15 Jahren nach dem Verkehrsunfall, bei dem beide Eltern ums Leben gekommen waren, operiert und Hilfe für die damals 13-Jährige organisiert. Erich Schaller (links) hielt in all den Jahren Mail- und Telefonkontakt. © RC Hof-Bayerisches Vogtland

Vor 15 Jahren verunglückte ein weißrussisches Ehepaar auf der A 9 tödlich, das Kind wurde schwerstverletzt. Karina erfuhr in Hof viel Hilfe. Heute ist sie eine erfolgreiche Frau.

Kerstin Dolde25.09.2019

Es ist ein echter Überraschungsbesuch. "Ich muss nach München und mache Halt in Hof." Karina Zdanevich freut sich, wieder einmal Hof zu sehen. Dabei hat sie, die gebürtige Weißrussin, in der Saalestadt die leidvollsten Stunden erlebt, die ein junger Mensch durchleben kann: Beide Eltern sind vor 15 Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Das damalige 13-jährige Mädchen saß mit im Auto, wurde selbst schwer verletzt. Doch damals in diesen schlimmen Stunden lernte sie Menschen in der Region kennen, die ihr halfen. Und daraus wurde eine Lebensfreundschaft.

In der Weihnachtszeit 2004 lag ein kleines, schüchternes und furchtbar trauriges Mädchen in seinem Hofer Krankenbett. Heute sitzt eine selbstbewusste und fröhlich strahlende junge Frau im Gasthof Falter. Umringt von Menschen, die ihre Freunde wurden. Karina zeigt Bilder ihrer verstorbenen Eltern. Sie stehen stolz vor dem Auto, Karina ist mit dabei. Dieses Familienglück gibt es nicht mehr.

Es war kurz vor Weihnachten im Jahr 2004, als Karinas tragisches Schicksal Schlagzeilen machte. Bei einem schweren Verkehrsunfall auf der A 9 zwischen Schleiz und Lobenstein war das Mädchen zur Vollwaise geworden. Karinas Vater, damals 44 Jahre alt, war mit seinem Wagen auf schneeglatter Fahrbahn ins Schleudern geraten. Die Familie wollte eigentlich Freunde in der Nähe von Heilbronn besuchen. Beim Aufprall des Fahrzeugs an die Mittelleitplanke erlitt Karinas Mutter, die auf dem Beifahrersitz saß, tödliche Verletzungen. Der Fahrer, der mit seiner Tochter ins Hofer Krankenhaus gebracht wurde, starb dort trotz sofortiger Notoperation. Karina selbst hatte schwere Wirbelsäulenverletzungen davongetragen.

Professor Matthias Schürmann sitzt mit seiner Frau Andrea in der Gaststube und freut sich riesig über Karinas Überraschungsbesuch. Zusammen mit dem Narkosearzt Dr. Viktor Zeiler, der Russisch kann, hatte er damals dem Kind die Nachricht vom Tod der Eltern überbringen müssen. Daran erinnert er sich noch gut. "Das war die schlimmste Stunde in meiner Laufbahn", sagt er heute. "So etwas fällt einem wirklich nicht leicht."

Doch der Arzt operierte damals nicht nur das schwerstverletzte Mädchen: Schürmann setzte alle Hebel in Bewegung. Der Rotary Club Hof-Bayerisches Vogtland richtete ein Spendenkonto ein. Die Zeitung veröffentlichte einen Artikel über das Schicksal des kleinen Mädchens. Durch die Berichterstattung in der "Frankenpost" kam eine wahre Spendenlawine ins Rollen: Die ganze Region sammelte für Karina, Geld kam aus Hof, aus Kulmbach, aus dem Vogtland. Viele Menschen wollten helfen und dem Mädchen eine Perspektive geben.

Das Unglaubliche geschah: Weit über 30.000 Euro kamen damals nach dem Zeitungsaufruf zusammen, dazu viele Sachleistungen. Das Sana-Klinikum verzichtete auf die Behandlungskosten, eine auf Krankentransportflüge spezialisierte Firma sponserte den Rückflug. Die 13-Jährige wollte schnell nach Hause, dort wartete die Schwester.

Die Perspektive der beiden Schwestern war eigentlich nicht rosig: Der kleine Speditionsbetrieb war ohne die Eltern über Nacht nahezu wertlos geworden, die 20-jährige Schwester steckte in der Ausbildung zur Frisörin. Das Geld, das auf dem Spendenkonto lag, konnten die beiden Mädchen somit gut gebrauchen. Nur: Eine Überweisung nach Weißrussland hätte zur damaligen Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass der Staat das Geld dort beschlagnahmt. Die Schwestern Zdanevich hätten, so hieß es damals, wohl nichts davon gesehen.

So ging das Geld „portionsweise“ nach Brest. Immer nach ungefähr sechs Monaten wurde eine kleine Summe einem Bekannten übergeben, der als Busfahrer den Umschlag direkt zur Empfängerin brachte. Ganz abenteuerlich war das. Der Rotary Club hatte ein gemeinnützig verwaltetes Konto eingerichtet, das Jurist Hans Pechstein verwaltete. Der ehemalige Banken-Vorstand Erich Schaller hielt über die Jahre Mail- und Telefonkontakt mit Karina. Natürlich ist auch er mit seiner Gattin Erika in der munteren Runde, die sich in Hof nun mit Karina trifft.

Das Spendengeld gehört Karina, das war den Rotariern damals ganz schnell klar. Weil aufgrund der hohen Hilfsbereitschaft am Ende kaum Rechnungen für die Behandlung und Transport zu begleichen waren, lautete das Ziel: Die Summe soll Karinas Ausbildung sichern. Diese Idee wurde in die Tat umgesetzt, viele Hürden waren dafür zu nehmen. Heute, 15 Jahre später, zeigt sich: Die Hilfsaktion ist rundherum gelungen. Es ist eine echte Erfolgsstory geworden.

Das Geld wurde in all den Jahren gut angelegt: Es begann mit Feriensprachkursen, die Karina während der Schulzeit absolvierte, und mündete nach dem Schulabschluss in Weißrussland in ein Auslands-Studium. In Posen in Polen hatte die junge Frau einen Studiengang im Tourismusbereich belegt.

Nach Posen Geld zu überweisen war viel einfacher als nach Weißrussland. Das Spendengeld hatte fast bis zum Examen gereicht. Ein bisschen was "schossen" die Rotarier noch nach, das war ihnen schon wichtig. Aber Karina hat zügig ihren ihren Master-Abschluss als Hotel- und Restaurant-Business Marketing Manager mit guten Noten gemacht. Vier Jahre ist das nun her. So lange, wie ihr letzter Besuch in der Region.

Karina spricht neben ihrer Heimatsprache Deutsch und Englisch, dazu fließend Polnisch und Französisch. Nach ihrem Examen stand ihr die Welt offen – und doch zog es sie nur kurz nach Luxemburg, und dann erst einmal wieder nach Hause. Gemeinsam mit ihrer Schwester managte sie den kleinen Speditionsbetrieb ihres Vaters. Und Karina half ihrer Schwester, die inzwischen drei Kinder hat.

Dann machte sich die junge Frau selbstständig: Heute leitet sie erfolgreich ihr eigenes Unternehmen in der Logistikbranche. Sie hat die polnische Staatsangehörigkeit angenommen, lebt in Warschau und hat 15 Angestellte. Vor allem auf Obsttransporte nach Russland und Kasachstan ist ihr Unternehmen spezialisiert. "Auf die Kunden einzugehen, das habe ich in meinem Studium gelernt", reflektiert sie. "Das ist eine gute Grundlage für meine Arbeit. Das Studium hat mir viel geholfen."

So ist es auch ein beruflicher Termin, der die junge Frau an Hof vorbeiführt. Doch hier bei ihren Freunden Halt zu machen, das ist ihr wichtig. Den Kontakt möchte sie nicht abreißen lassen. Und so kommt, nach zwei Tagen Überraschungsbesuch in Hof, aus München eine Whatsapp-Nachricht bei den Hofer Freunden an. Der Inhalt ist kurz, aber warmherzig: "Ich liebe Euch alle!"

Kerstin Dolde
Kerstin Dolde ist Journalistin und arbeitet zurzeit als Verantwortliche Redakteurin für Regionales bei der Frankenpost. Seit Januar 2011 steht sie zudem als Leseranwältin des oberfränkischen Medienhauses den Leserinnen und Lesern als Ansprechpartnerin zur Verfügung. Von 2005 bis Mitte 2020 war sie als Distriktberichterstatterin für D 1880 unterwegs.