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Wie die 3D-Drucker die industriellen Fertigungsverfahren verändern

Eine neue industrielle Revolution?

Eine Technologie verändert die Welt. Dank immer augereifterer Techniken gibt es schon heute kaum noch etwas, dass man nicht in 3D „drucken“ könnte. Dieser Beitrag fragt, welche Konsequenzen diese Entwicklung für industrielle Fertigungsverfahren hat.

Von Prof. Dr. Reinhart Poprawe und Christian Hinke

16.04.2015

Die 3D-Drucker ermöglichen die direkte Herstellung von nahezu beliebigen Bauteilen aus digitalen Daten. Verfahren, die vor über zehn Jahren für das „Rapid Prototyping“ entwickelt wurden, entwickeln sich zu „Rapid Manufacturing“-Verfahren, zur direkten Produktion von Funktionsbauteilen. Aktuell werden Rapid-Manufacturing-Verfahren in ersten Pilotanlagen im Automobilbau und in der Luftfahrtindustrie für die industrielle Serienfertigung erprobt.

Das Werkzeug Licht nimmt dabei wegen seiner einzigartigen Eigenschaften eine zentrale Rolle ein. Kein anderes Werkzeug kann so präzise dosiert und gesteuert werden wie das Licht. Experten bezeichnen den Laserstrahl als das einzige Werkzeug, das ähnlich schnell „arbeitet“ wie ein Computer „denkt“. Ein Laserdrucker funktioniert nach diesem Prinzip und zeigt, was mit hochenergetischer Laserstrahlung in der Produktion der Zukunft möglich sein wird.

Industrielle 3D-Drucker, Experten sprechen von Additive-Manufacturing-Anlagen, arbeiten meist mit Laserstrahlen. Beim Additive Manufacturing werden Bauteile schichtweise aus pulverförmigem Werkstoff aufgebaut. Zunächst wird das gewünschte Bauteil am Computer entworfen und in einzelne Schichten zerlegt. In der Maschine wird nun Metall- oder Kunststoffpulver in einer dünnen Schicht aufgetragen und dann mit dem Laserstrahl aufgeschmolzen. Dieser Vorgang wird hundertfach wiederholt. So wird Schicht für Schicht ein 3D-Bauteil „gedruckt“.

Maßgeschneiderte Bauteile

Beim Additive Manufacturing von metallischen Bauteilen setzt die Industrie auf das am Fraunhofer-Institut für Lasertechnik (ILT) in Aachen entwickelte Selective Laser Melting (SLM) Verfahren. Der Ausgangswerkstoff beim SLM-Verfahren ist ein Metallpulver. Es wird in einer geschlossenen Prozesskammer als dünne Schicht (ca. 30–50 μm) auf einer Substratplatte aufgebracht. Entsprechend der berechneten Flächen des CAD-Modells wird das Pulver selektiv mit dem Laserstrahl durch lokalen Wärmeeintrag aufgeschmolzen. Danach wird die Substratplatte abgesenkt und eine neue Pulverschicht aufgetragen. Die nächste Schicht wird wieder mit Laserstrahlung selektiv aufgeschmolzen und schmelzmetallurgisch mit der unteren Schicht verbunden. So entsteht das maßgeschneiderte Bauteil schichtweise aus dem Pulverwerkstoff.

Mit solchen SLM-Anlagen werden inzwischen schon Flugzeug- oder Autoteile aus Metall gefertigt. Diese Bauteile aus dem Drucker haben „serienidentische Eigenschaften“, d.h. sie können wie konventionell hergestellte Bauteile belastet und genutzt werden.

Veränderung der Konstruktionen

Derzeit liegt die Hauptanwendung in der schnellen Fertigung von Funktionsprototypen oder von Spezialbauteilen in kleinen Stückzahlen für die Luft- und Raumfahrt, den Rennsport oder die Medizintechnik. Zukünftig werden Produkte, bzw. Bauteile vollkommen anders ausgelegt und konstruiert werden. Bisher orientiert sich ein Ingenieur an fertigungstechnischen Möglichkeiten, bzw. Einschränkungen. Zukünftig werden Bauteile ausschließlich funktions- und ressourcenoptimiert ausgelegt und gefertigt. Im Zusammenhang mit diesen neuen Technologien wird teilweise von einer neuen industriellen Revolution gesprochen. Im Wesentlichen beruht das revolutionäre technologische Potenzial von Additiv-Manufacturing-Technologien auf einer fundamentalen Änderung der Kostenfunktion, d.h. auf einem grundsätzlich anderen Zusammenhang zwischen Kosten, Stückzahl und Produktkomplexität.

Im Unterschied zu konventionellen Verfahren können mit Additive-Manufacturing-Technologien sowohl kleine Stückzahlen als auch komplexe Produkte (kleinste Dimension, verschiedenste Materialien, komplizierteste Geometrie) kostengünstig gefertigt werden. Die Fertigungskosten hängen nicht von der Komplexität der Geometrie, sondern nur noch vom Volumen des aufzubauenden Bauteils ab. Dadurch bieten Additive-Manufacturing-Technologien wie das SLM eine Reihe von systematischen Vorteilen im Vergleich zu konventionellen Fertigungsverfahren wie dem Urformen oder der Zerspanung:

  • Complexity for free: Höhere Komplexität eines Bauteils z.B. durch Funktionsintegration, interne Strukturen, Topologie-optimiertes Design sowie monolithisches Design bisheriger Baugruppen kann ohne zusätzliche Kosten mit SLM realisiert werden.
  • Individualization for free: Mit dem SLM-Verfahren ist die Herstellung von individualisierten Bauteilen mit unterschiedlichen Geometrien gleichzeitig innerhalb eines Prozesses möglich.
  • Weight reduction for free: Bauteile mit integrierten Hohl- oder Gitterstrukturen reduzieren das aufzubauende Volumen signifikant. Die Realisierung solcher Leichtbaukomponenten mit SLM bedeutet im Vergleich zu konventionellen Fertigungsverfahren eine systematische Zeit- und damit Kostenersparnis.
  • Time to market: Durch das SLM besteht die Möglichkeit, Prototypen in Kleinserien mit serienidentischen Werkstoffeigenschaften in kürzester Zeit herzustellen.


Viele Experten sehen neben diesem technologischen Potenzial die größten Auswirkungen von Additive Manufacturing in der Entstehung von neuen Geschäftsmodellen. Klassische Wertschöpfungsketten mit vielen aufeinander folgenden Fertigungsschritten werden durch extrem kurze digitale Wertschöpfungsketten ersetzt. Internetbasierte Plattformen wie Shapeways oder iMaterialise zeigen die Perspektiven von Additive Manufacturing. Geschäftsmodelle, die hier im kleinen Maßstab im Consumer-Bereich entstehen, haben das Potential, ganze Industriebranchen zu verändern.


Die Autoren:

Prof. Dr. Reinhart Poprawe (RC Aachen) ist Direktor des Fraunhofer Instituts für Lasertechnik (ILT) in Aachen und Inhaber des Lehrstuhls für Lasertechnik an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen.

Christian Hinke ist Geschäftsführer des Forschungscampus Digital Photonic Production am Fraunhofer Institut für Lasertechnik.
www.ilt.fraunhofer.de