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Die vergessene Orient-Expedition des preußischen Hauptmanns und osmanischen Majors Fritz Klein und seiner Männer

Mission in der Wüste

Veit Veltzke14.11.2014

Zwanzig Jahre waren vergangen, als der frühere Adjutant einer der denkwürdigsten deutschen Orientexpeditionen des Ersten Weltkriegs, Edgar Stern-Rubarth, zur Feder griff und seine Erinnerungen an die wohl abenteuerlichste Zeit seines Lebens niederschrieb. Der Titel seiner englischsprachigen Memoiren lautete „Playing Lawrence On The Other Side“ und stellte den Bezug zu dem damals weltbekannten britischen Archäologen, Geheimagenten und Offizier Thomas Edward Lawrence her, der die vom Sultan abgefallenen Araberstämme im Hedschas-Raum unter der Parole der arabischen Freiheit bei ihren Überfällen und Kommandounternehmungen unterstützte. Als Edgar Stern-Rubarth seine Erinnerungen verfasste, befand sich der aus einer jüdischen Frankfurter Unternehmerfamilie stammende Journalist bereits in seinem Londoner Exil, in das ihn die Nationalsozialisten getrieben hatten. Gleichzeitig arbeitete sein ehemaliger Kommandeur Fritz Klein, nach dem die einstige Expedition ihren Namen trägt, in seiner selbstgewählten Einsiedelei im heimischen Dahlbruch bereits lange Jahre an seinem zweiten großen Lebensprojekt: der geistigen Vereinigung von Orient und Okzident in einer eigenen Philosophie.


In den Reihen der Kleinschen Expedition hatten auch drei frühere Ausgräber aus Assur gestanden: Walter Bachmann, nach dem großen Krieg Landeskonservator in Sachsen, sowie Conrad Preusser und Hans Lührs, alle drei im Auftrag der Deutschen Orient-Gesellschaft tätig. Sie verstärkten die kulturelle Kompetenz des Unternehmens, zu dem ferner Kaufleute, Studenten verschiedener Disziplinen, Abenteurer und eben Archäologen gehörten. Besonders Lührs und Preusser werden zentrale und sensible Aufgaben im Rahmen der Kleinschen Mission übernehmen, die neben arabischen und türkischen Sprachkenntnissen auch die Fähigkeit zum Einleben in fremde Kulturen voraussetzten. Ein albanisch-türkisches Begleitkommando, Armenier, arabische und afrikanische Diener, Pferdeknechte und Köche vervollständigten die Gruppe und gaben fast ein Abbild des Osmanischen Vielvölkerreiches. Den Sammelpunkt bildete Aleppo mit seiner mächtigen Zitadelle.


Ein fast vergessener Kriegsschauplatz
Die Geschichte der Mission besitzt einen beachtlichen, erst jetzt entdeckten historischen Stellenwert für den Kriegsverlauf im Orient in den Jahren 1914–16. Dass Deutschland und das Osmanische Reich vier Jahre lang zusammen als Verbündete kämpften und die türkische Seite mit einer Todesrate von mindestens einem Viertel aller eingesetzten Soldaten eine der höchsten Verlustziffern des Ersten Weltkriegs aufwies, ist fast völlig aus dem allgemeinen Bewusstsein entschwunden. Ebenso wenig präsent ist das Wissen um die Hoffnungen, die sich in der islamischen Welt mit Deutschland verbanden: Da das Reich – im Gegensatz zu Russland, England und Frankreich – keine direkten kolonialen Ambitionen im orientalischen Raum besaß, sah man es als natürlichen Partner im Befreiungskampf gegen die europäischen Kolonialmächte. Auch für Deutschland war das Bündnis mit dem Osmanischen Reich von immensem militärischen Wert. Nicht nur wurde der Transport von Entente-Truppen über das Schwarze Meer an die europäische Ostfront verhindert, sondern zugleich die Bindung gegnerischer Kräfte in einer Größenordnung von weit mehr als einer Million Soldaten erreicht, die in Europa fehlten. Außerdem hoffte man auf deutscher Seite mit der religiösen Autorität des Sultans in seiner Eigenschaft als Kalif, der den verbindlichen Dschihad erklären konnte, einen Schlüssel in der Hand zu haben, um die Fackel des Aufstands in den muslimischen Kolonialgebieten der Entente entzünden zu können.


Die Expedition Klein wurde im Auftrag des Großen Generalstabs und des Auswärtigen Amtes im Spätherbst 1914 aufgestellt. Ihr Ziel: das von England kontrollierte Ölgebiet am Persischen Golf einzunehmen oder die britischen Ölleitungen zu sprengen. Letzteres gelang ihr unter Führung von Hans Lührs im Frühjahr 1915 mehrmals erfolgreich in gemeinsamen Aktionen mit arabischen Stämmen und unter enormen finanziellen Verlusten für den britischen Gegner. Mit einem geschickten diplomatischen Schachzug vermochte es Klein, erfolgreich für seine Sache unter der schiitischen Bevölkerung zu werben. Als erste Europäer überhaupt wurden der Kommandeur und seine Begleiter von der schiitischen Geistlichkeit in Kerbela im Januar 1915 empfangen und gewannen sie für den Erlass einer Fatwa, die den Krieg an der Seite der Mittelmächte zur Befreiung der Muslime aus der „Sklaverei“ der Entente erklärte. Zwar hatte bereits Sultan Mohammed V. Reschad den „Dschihad“ für alle Muslime verkündet, aber als sunnitischer Kalif in der schiitischen Welt damit wenig Widerhall gefunden.


Vor allem von einem Vertreter der Geistlichkeit, Scheich Ali, in dessen Haus Klein und seine Begleiter logieren durften, zeigten sich die deutschen Gäste beeindruckt. Ali erlaubte ihnen einen Blick auf das Grab Husseins zu werfen, einen der beiden höchsten schiitischen Märtyrer, vor dem die deutschen Offiziere salutierten. Insgesamt unterstrich die deutsche Gruppe in Kerbela durchaus ihre kulturelle Kompetenz und Scheich Ali seine „Liberalität“, der Klein und Stern scherzhaft den muslimischen Pilgertitel „Kerbeladji“ zusprach. Gegenüber den von England stark umworbenen irakischen Araberstämmen trugen der Hauptmann und seine Expedition dazu bei, ihren Abfall vom deutsch-osmanischen Bündnis zu verhindern.


Als „menzil müfettis“ (Generaletappenchef) der osmanischen Truppen im Irak mit Sitz in Bagdad und „Kaiserlich-ottomanischer Major“ half Klein 1915 mit seiner Expedition, die militärische Lage für die türkischen Truppen in Mesopotamien zu stabilisieren. In der Region Bagdad unterstanden ihm sämtliche Militärfabriken, alle Mühlen und Bäckereien, die türkische Flottille auf Euphrat und Tigris sowie die Bagdader Ölvorräte. Als die Kohlelieferungen ausblieben und der Schiffsverkehr zu erliegen drohte, sandte Klein im Februar 1915 den zu seiner Truppe gehörigen Bergingenieur Blumenau auf Entdeckungsreise, der in der Nähe der Stadt Kifri ein Kohlevorkommen feststellte. Klein ließ hier kurzerhand ein Bergwerk errichten, ernannte Preusser zeitweilig zum Inspekteur und verpflichtete Beduinenstämme für den Kohletransport auf den Rücken ihrer Kamele.


Als Militärbefehlshaber in Westpersien seit Herbst 1915 eingesetzt, führte der Hauptmann zusammen mit persischer Gendarmerie und Stammeskriegern in dem von Russen und Briten aufgeteilten Land bis Anfang 1916 einen erfolgreichen Entlastungskrieg gegen weit überlegene russische Truppen und verhinderte das Vordringen der Streitkräfte des Zaren auf irakisches Gebiet sowie deren Vereinigung mit den Briten. Der osmanische Sieg bei Kut-al-Amara vom 29. April 1916, wo britische Truppen in Divisionsstärke in Gefangenschaft gerieten, wurde dadurch mit abgesichert.


Nachwirkungen der Expedition
In der Rückschau empfanden sich die Angehörigen der Expedition als deutsche „Lawrences von Arabien“ und das durchaus zu Recht. Spiegelverkehrt zu T.E. Lawrence, der den Kampf von Araberkontingenten gegen den osmanischen Sultan vorantrieb, leisteten sie ihren Beitrag, um die Araberstämme des Irak im osmanisch-deutschen Bündnis zu halten.


Betrachtet man die individuellen Wirkungen dieses Einsatzes, so fallen vor allem der Kommandeur und sein Adjutant ins Auge. Hauptmann Fritz Klein repräsentierte den Typ des weltläufigen preußischen Offiziers westlicher Prägung. Aus einer Siegerländer Industriellenfamilie stammend, verbrachte der Berufsoffizier seine Militärzeit ganz überwiegend bei einem rheinischen Infanterie-Regiment, meldete sich 1904 für eine einjährige Weltreise ab und wurde zwischen 1910 und 1913 jeweils für ein Jahr als Militärattaché an die Gesandtschaften in Rio de Janeiro, Kairo und Teheran abkommandiert. Schon in jenen Jahren widmete sich der Offizier, vom Dienst nicht allzu sehr beansprucht, den frühen Hochkulturen Ägyptens und Vorderasiens. Nach seiner Orient-Mission 1914–16 entwickelte sich Klein zum heftigen Kritiker der Kriegsziel- und Innenpolitik der 3. Obersten Heeresleitung und machte Kapitalismus und Imperialismus bei allen Kriegsparteien für die Katastrophe des Krieges verantwortlich. Ernüchtert war auch das spätere Fazit seiner Mission: Der „Heilige Krieg“ sei nur ein „scheinheiliger Krieg“ gewesen, da sowohl die persischen wie arabischen „Glaubenskämpfer“ ihren Einsatz überwiegend vom geschäftlichen Standpunkt aus betrachteten. Nach dem Krieg verbrachte Klein seine Jahre als erkenntnistheoretischer Philosoph und erstrebte eine geistige Verschmelzung von Orient und Okzident. Kein anderer der militärischen Führer im Orient, auch T. E. Lawrence nicht, sollte sich so weit von den imperialistischen Grundlagen seiner Expedition und den Denkgewohnheiten seines sozialen Umfeldes entfernen.


Sein Adjutant Stern (später Stern-Rubarth) fand in der geistigen Auseinandersetzung mit dem reichhaltigen orientalischen Kosmos zu einem erstaunlichen journalistischen Berufsweg. In den Jahren vor Kriegsausbruch hatte er Romanistik, Geschichte und Volkswirtschaft in Deutschland und Frankreich studiert. Als der eigentliche Orientromantiker der Expedition setzte er sich mit den Erscheinungsformen orientalischen Lebens und seiner Kultur intensiv auseinander und veröffentlichte noch während der Mission Beiträge in führenden deutschen Presseorganen. Der Adjutant befürwortete durchaus ein starkes wirtschaftliches Engagement Deutschlands in der Türkei, forderte aber die peinliche Wahrung der türkischen Souveränität, den Erhalt des osmanischen Kalifats als staatliche Klammer sowie die Achtung und Wahrung der islamischen Kultur. Nach Kriegsende machte Stern eine beeindruckende Karriere als führender journalistischer Vertreter des Liberalismus, war so von 1919–1925 Chefredakteur des Ullstein-Verlages, danach des Wolffschen Telegraphenbüros und hier offiziöses Sprachrohr Gustav Stresemanns, dem er auch als Berater in verschiedensten Angelegenheiten diente. 1936 emigrierte Stern-Rubarth nach London und half mit, für die britische Armee eine Art biographisches Handbuch zu erstellen, nach dem führende Ämter in Nachkriegsdeutschland besetzt werden sollten. Der erste Name auf Stern-Rubarths Liste lautete – Konrad Adenauer. Sein Verwendungsvorschlag: „Reichskanzler“.

Veit Veltzke
Dr. Veit Veltzke (RC Wesel-Dinslaken) ist Direktor des Preußen-Museums NRW. Zu seinen Schriften gehören u.a. „Rheinland, Westfalen und Preußen. Eine Beziehungsgeschichte“ (Aschendorff 2009) und „Für die Freiheit – gegen Napoleon. Ferdinand von Schill, Preußen und die deutsche Nation“  (Böhlau 2009). www.preussenmuseum.de

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