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Folge 118

Rotarische Zeitrechnung

Folge 118 - Rotarische Zeitrechnung
© Marcus Schäfer

Bröckedde liegt im Herzen Deutschlands – dort, wo Rhein und Donau in den schönen Bröckeddesee münden. Hier trifft sich im Bröckedder Hof der RC Bröckedde zum Meeting – jeden Mittwoch um 13 Uhr im Salon Hindenburg.

Alexander Hoffmann01.06.2016

Das hochherzige Projekt des RC Bröckedde, gemeinsam mit dem RC Wapswede ein Jugendcamp zu organisieren, zog sich ins fünfte Jahr. Freund Strümpfelmayer, der als Clubmeister damit betraut war, klagte: „Wir sind immer noch nicht über die erste Planungsphase hinausgekommen.“

Präsident Pröpke seufzte: „Das ist halt die rotarische Zeitrechnung. Sie bemisst sich nach Äonen, nicht nach Jahren.“ Strümpfelmayer wollte keine weiteren Äonen warten und gab sein Amt erschöpft auf.

 Ein Nachfolger als Clubmeister war nicht in Sicht, das Projekt Jugendcamp verstaubte in den Akten. Pröpke dachte in einem Meeting angestrengt über einen neuen Clubmeister nach, als Freund Dr. Schlunzbichl zu seinem Vortrag an den Rednerpult schritt. Schlunzbichl, ein Geologe, war ein ernsthafter Wissenschaftler, der das Motto „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit“ pflegte. Den jetzigen Vortrag hatte er zwei Jahre lang in seinen vorlesungsfreien Semestern vorbereitet und im häuslichen Wohnzimmer dreimal probeweise vorgetragen. Als Publikum fungierten die Gattin und Frau Möpsel, seine Zugehfrau. Nach der dritten Probe in Sachen Rhetorik und Mimik hatten die beiden den Vortrag für Rotary-tauglich erklärt.

Die Darbietungen des Geologen waren ob ihrer Länge gefürchtet, einige Freunde hatten vorsorglich Liegestühle und Schlummerkissen mitgebracht. Dr. Schlunzbichl sollte sie nicht enttäuschen. Diesmal beschäftigte er sich mit dem Präkambrium, der Erdfrühzeit. Mit leiernder Stimme führte er die Freunde von der Entstehung der Erde vor rund 4,56 Milliarden Jahren bis zum ersten Auftreten der Tierwelt vor circa 540 Millionen Jahren. Eine Ahnung von Ewigkeit durchwehte den Salon Hindenburg, die Zuhörer spürten den zeitlosen Atem des Kosmos. Der Wein in den Gläsern auf den Tischen verdunstete, selbst die alte Standuhr am Eingang zur Küche tickte langsamer.

 Zum Schluss seines etwa zweieinhalbstündigen Referats verkündete Dr. Schlunzbichl den Wachgebliebenen: „Hunderttausend Jahre sind nichts, nur ein Lidschlag in der Erdgeschichte.“

 Da weckte Strümpfelmayer Präsident Pröpke und flüsterte: „Nehmen Sie doch den Schlunzbichl als Clubmeister. Der bringt Tempo in das Projekt Jugendcamp, der zieht das ratzfatz durch.“

Illustration: Marcus Schäfer

Alexander Hoffmann
Alexander Hoffmann (RC Frankfurt/Main-Römer) ist korrespondierendes Mitglied des RC Bröckedde. Nach langen Jahren als politischer Redakteur bei namhaften Tageszeitungen (zuletzt "Süddeutsche Zeitung") ist Hoffmann heute als Unternehmensberater tätig. Daneben zahlreiche Sachbuchveröffentlichungen zu den Themen Zeitgeschichte und Medizin sowie satirische Beiträge für den Rundfunk. Dem satirischen Düsseldorf-Roman "Der Wolkenschieber" folgten 2019 der Krimi "Hopfen, Malz & Blut" und 2020 der Krimi "Phantom im Wiehengebirge". 2021 erschienen der Krimi "Bommfördes Erbe" und der Roman "Brillanter Abgang". 2022 folgte der Wirtschaftskrimi "Mainopoly". 2023 erschienen der Krimi "Tödliche Eisernte" und die Katzennovelle "Der Chef bin ich".
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