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Peters Lebensart

Lunch for One

Peters Lebensart - Lunch for One
© Jessine Hein/Illustratoren

Früher allenfalls bei Germanen, Mönchen, Päpsten und Kaisern Praxis, heute Alltag und mancherorts gar als Akt der Entspannung zelebriert: allein essen

Peter Peter01.03.2022

Sua cuique mensa: Jeder hat seinen eigenen Tisch. Die germanische Tendenz zum separierten Essen war schon dem römischen Historiker Tacitus als eigenartig aufgefallen. Denn in den antiken mediterranen Kulturen galt ein Essverhalten, das sich bis heute mit dem neugriechischen Begriff paréa umschreiben lässt. Man tafelte in gemeinsamer Runde, ja lud sich sogar Parasiten ein: Mitesser auf dem Speisesofa, die die Mahlzeit mit witziger Unterhaltung würzten.

Erst die frühchristlichen Eremiten kultivierten das Alleinessen als Askese. Der heilige Benedikt haust in einer unzugänglichen Grotte, zu der ein Bruder täglich ein Brot am Seil herablässt. Ansonsten galt allein essen als Notfall, schon weil die Generationen unter einem Dach wohnten und Single-Haushalte rar waren. Verbannte, Flüchtlinge, Räuber, Reisende und arme Witwen mussten oft notgedrungen sich allein sättigen – der Makel des Ausgestoßen-, ja Aussätzigseins haftete diesem Verhalten an.

Oder der Erhöhung. Er papa magna sempre solo – der Papst isst immer allein, sagte ein römisches Sprichwort. Für einen Pontifex konnte es keine gleichrangigen Tischgenossen oder gar Genossinnen geben.

Dieses Denken auf die Spitze trieben die Monarchen des Absolutismus mit ihrem Tafelzeremoniell. Nur Ihre Majestät isst, Hof und Bittsteller schauen zu. Bei den grands couverts speist der Sonnenkönig Ludwig XIV. stellvertretend (und üppig) für den ganzen Staat.

Kulinarische Zeitenwende: Mit der Eröffnung der ersten Restaurants in Paris ergeben sich auf einmal Perspektiven für neugierige Alleinesser. Vorher bedeutete öffentliche Verpflegung Herberge mit Gemeinschaftstisch und Einheitstagesgericht – wie heute noch in Pensionen mit table d’hôte. Jetzt gab es Speisekarten, individuelle Wahlmöglichkeiten. Zugleich sorgte der elegante Rahmen vieler Etablissements dafür, dass es schick wurde – jedenfalls für Herren –, allein zu dinieren. Gut nachzulesen bei den französischen Romanciers.

Tempi passati. In unserer beschleunigten Arbeitswelt ist Soloessen Alltag geworden. Gemeinsam bei Tische sitzen nimmt auch im Familienkreis ab, oft holt sich jeder selbst seine Mahlzeit aus dem Froster. Die IT-Nerdin bestellt sich klischeemäßig ihre Pappschachtelpizza ins Office, der Assistent löffelt seine mitgebrachte Avocado-Bowl aus. Kaffeehaushabitués alten Schlags runzeln die Stirn über To-go-Kaffee – das kultivierte Alleingenießen im Schutzraum des von anderen Alleingenießern bevölkerten Cafés wird durch gehetztes Konsumieren in der totalen Öffentlichkeit der Straße oder einer U-Bahn-Station ersetzt.

All das hat plausible Gründe. Es ist praktisch. Es spart Zeit. Man muss sich nicht mit anderen unterhalten, kann vielleicht sogar dabei nachdenken. Und man unterliegt dabei kaum sozialer Kontrolle. Aber das sind Beispiele eines lieblosen Umgangs mit Essen und letzten Endes mit dem Körper. Habe ich denn für mich selbst keine Zeit? Es geht auch anders. In Schweden zelebriert das Restaurant „Bord för En“ den radikalen Einzeltisch. „Du allein“ im angesagten Bistro, das kann auch ein Akt der Muße, der Entspannung, eine kleine Auszeit sein. Sich bewusst etwas gönnen, sich für ein paar Augenblicke verwöhnen lassen, nachdem frau erfolgreich darauf bestanden hat, nicht an den Katzentisch für Single-Gäste gesetzt zu werden. Oder doch für den modischen community table optiert hat. Diese Momente kulinarischer Emanzipation können eine Schule der Genussfähigkeit und des Einklangs mit sich selbst sein. Nicht nur beim Business-Lunch. Auch beim mutigeren solo dining.

Peter Peter

Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.

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