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Buch der Woche

Schauplätze eines vergessenen Krieges

In »Unter Wüstensöhnen« erzählt Veit Velzke die fast unglaubliche, aber reale Geschichte, einer Expedition, die den Leser an kaum bekannte entlegene Kriegsschauplätze des Ersten Weltkriegs führt: in das Osmanische Reich und das Reich des persischen Löwen.

30.11.2014

An einem strahlenden Augusttag im Jahr 1934 erlebte der kleine fränkische Ort Niederlamitz1 ein seltsames Schauspiel.2 Deutsche, türkische und persische Fahnen wurden entrollt und unter der Beteiligung sämtlicher Wehrvereine der Region sowie örtlicher Amtsautoritäten schritt man zur Enthüllung eines der ungewöhnlichsten Denkmale des Ersten Weltkriegs. An der Hauptstrecke Berlin – München gelegen und für den Bahnreisenden gut sichtbar, präsentierte sich seit jenem 26. August 1934 in langer Front die monumentale Erinnerungsstätte der deutschen Orientexpeditionen. Vor dem erhöhten Postament und dem mehrfach gestuften Gesims aus hellem Stein hoben sich zehn dunkle Syenitsäulen ab. Die Attika trug in großen Lettern die Inschrift »Irak Afghanistan Iran. Den Orient-Expeditionen des Gr. Generalstabes «.

Die später ergänzte Gefallenentafel hielt in ihrer Endfassung 1939 die Namen der Toten der »deutschen Gesandtschaft in Iran«, der »in deutschen Diensten stehenden schwedischen Offiziere der iranischen Gendarmerie und Polizei« sowie »der Expedition Klein im Irak und in Iran« fest, deren Tote ausdrücklich als kaiserlich-ottomanische oder deutsch-ottomanische Heeresangehörige bezeichnet wurden.

Es folgten darauf die entsprechenden Namen »der Expedition Ritter v. Niedermayer in Iran und Afghanistan«, »der Expedition von Hentig in Iran und Afghanistan«, »der Expedition Wassmuss in Südiran« und »der Expedition von Scheubner-Richter in Kurdistan«. Die Abschlussformel lautete: »Für die gemeinsame Sache starben ferner den Heldentod 123 türkische, arabische, persische, indische und afghanische Waffengefährten.«

Die Weiherede hielt der evangelische Pfarrer des Ortes. Daraufhin legte der Major a. D. Fritz Klein einen Kranz für die Gefallenen der nach ihm benannten Expedition nieder und Dr. med. Fritz Niedermayer tat ein Gleiches für die Expeditionen Niedermayer und von Hentig. Kleins ehemaliger persischer Dolmetscher Ahmed Nicrawan ehrte die Toten mit einem Kranz im Namen der persischen Regierung. Es wurde Salut geschossen und die Musik intonierte die deutsche, türkische und persische Nationalhymne. Beim anschließenden Festessen begru?ßte Niedermayer die Gäste, dann folgten die Ansprachen Nicrawans (in Per-sisch), des Inders Nay(ec)k (in Gudscharati), des Majors der früheren persischen Gendarmerie de Maré (in Schwedisch), des Konsuls Weber (in Schweizerdeutsch) und schließlich die Festrede Fritz Kleins.

Von den Teilnehmern der Orientexpeditionen waren etwa 30 erschienen, darunter auch Kleins ehemaliger Adjutant Edgar Stern-Rubarth. Wegen seiner jüdischen Wurzeln sollte ihn bereits zwei Jahre später die Politik der Nationalsozialisten ins englische Exil treiben.

Expeditionsführer Klein hatte seinem alten Vizewachtmeister Andreas Reul6, seines Zeichens nun technischer Leiter der Granitwerke seines Vaters in Kirchenlamitz, die Anregung zum Denkmalbau gegeben, ohne freilich erst die monumentale Umsetzung seines Wunsches im Entferntesten geahnt zu haben. Über die letztendliche Gestaltung des Denkmals und seines Standortes ließ Reul, der den Bau auf Firmenkosten finanzierte, seinen früheren Kommandeur entscheiden.

Bei aller Internationalität von Festakt und Monument, bei aller Großzügigkeit des Denkmalbaus springt doch das Fehlen ranghoher politischer und militärischer Repräsentanten ins Auge. Zwar konnte man mit einer Königlichen Hoheit, der Fürstin zu Wied und von Albanien, aufwarten, aber offizielle Vertreter des Deutschen Reiches oder anderer Staaten fehlten völlig. Reichsaußenminister von Neurath und Botschafter a. D. Rudolf Nadolny sandten lediglich Telegramme. Vom Auswärtigen Amt erschien nur Geheimrat Fritz Seiler, der früher selbst zur Expedition Niedermayers und von Hentigs gehört hatte. Im Auswärtigen Amt dürfte allerdings die verkürzende Deklaration der deutschen Orientexpeditionen in der Denkmalinschrift als Unternehmungen des Großen Generalstabs wenig Sympathie erzeugt haben. So waren die Expedition Klein 1914/15 wie auch die Expedition Niedermayer/Hentig sowohl dem Auswärtigen Amt wie dem Generalstab gleichzeitig unterstellt gewesen. Unklare Kompetenzverhältnisse also – wobei Klein und Niedermayer sich eindeutig dem Generalstab zugeordnet fühlten und das von der deutschen Botschaft in Konstantinopel vertretene Primat der osmanischen Politik ablehnten.

Wie ein Nukleus ließ der Denkmalakt in Kirchenlamitz 1934 rückwirkend Rahmenbedingungen der Expedition Klein deutlich werden, alte Frontlinien und die randständige Position ihrer Kriegsführung im Orient aufscheinen. Den Kommandounternehmungen der Expedition, ihrer Allianz mit den Stämmen sowie überhaupt dem deutschen militärischen Engagement in Persien wurde im Allgemeinen kein besonderer militärischer Wert zugemessen, ihre Protagonisten galten häufig als Abenteurer, als eigenwillig und unbotmäßig, wie es an den Memoiren militärischer Autoritäten wie General Liman von Sanders und Oberstleutnant von Kiesling ablesbar ist.

Daneben zeigte der Einbezug des indischen Redners Nay(ec)k, der zum Nachrichtendienst der Expedition Klein gehört hatte,9 die großen Dimensionen auf: das Endziel Indien, dessen Abfall vom britischen Weltreich die beiden Expeditionen Klein und Niedermayer/ Hentig über Persien und Afghanistan vorbereiten sollten. Schließlich verlängerte die Tatsache der Finanzierung des Denkmals ohne jedwede öffentliche Unterstützung, allein über die persönlichen Ressourcen der Expedition, den eigenwilligen Kurs von Fritz Kleins Truppe in ihre eigene Nachgeschichte hinein.

Schließlich wurde in Kirchenlamitz die geistige Entwicklung deutlich, die Major Klein in der Auseinandersetzung mit den Erfahrungen seiner Expedition und der geistigen Überlieferung des Orients inzwischen zurückgelegt hatte. So, als wollte er noch einmal die Probe auf das Exempel seiner Eigenwilligkeit machen, verkündete Major Klein in seiner Festrede eine ungewöhnliche Botschaft: Der eigentliche Sinn seiner Expedition, so legte er nahe, habe in einer geistigen Befruchtung von östlichem und westlichem Denken bestanden. Die »weltanschauliche Lösung der Zukunft« sei die »schöpferische Verschmelzung dieser beiden Grundtypen. Der meditierende, phantasievolle Orientale braucht etwas vom nackten Tatsachensinn des Okzidentalen und umgekehrt.«

Die Gegenwart suche nach neuen Werten und Formen, die auf die Überwindung der Gegensätze abzielten. Deutschlands Gegner würden nicht mit ihren eigenen materiellen Waffen geschlagen werden, sondern »mit einer neuen Idee des Zusammenlebens der Völker«. Der Materialismus solle geistig überwunden werden. Auch wenn der Major in seiner Festrede zeittypische Bezüge zum Nationalsozialismus aufnahm, seine Ideale einer friedlichen Weltgesellschaft von geistiger, nicht materieller Auseinandersetzung entsprachen durchaus nicht den Eckpunkten des nationalsozialistischen Weltbildes. Inzwischen hatte Fritz Klein mehr als zehn Jahre in einer geistigen Klausur als Erkenntnistheoretiker zugebracht, die ihn zum Leitbegriff einer »schöpferischen Toleranz« geführt hatte: eine Vorstellung, die dem Kampf als Lebensinhalt diametral entgegengesetzt war. »Geist« als innerstes Wesen des Menschen stellte für ihn eine nicht durch Vererbbarkeit übertragbare Potenz dar.

Nach mehreren Versuchen, als Geschäftsmann dauerhaft Fuß zu fassen, und Verlusten durch die Inflation entschied sich Fritz Klein ab 1924 – auf der Grundlage der Pension als verabschiedeter Major – sein Leben in den Dienst geistiger Aufgaben zu stellen. Seine integrale Philosophie, die als Vorbedingung einer schöpferischen Weiterentwicklung die Suche nach der Einheit in den Gegensätzen zum Prinzip erhob,10 war stark von orientalischem Gedankengut inspiriert. Sie fand Gestalt in verschiedenen erkenntnistheoretischen Werken wie »Logos und Bios« (1929) oder »Das Weltgesetz und seine Funktionselemente. Totalität – Trinität« (1931), die, wenn überhaupt, in kleinen Auflagen erschienen. Aus einem reisenden Abenteurer zu neuen Ufern war nun ein schreibender geworden, der seine Entdeckungen in der Welt des Geistes machte, in beiden Fällen aber ganz dem eigenen Kompass folgte.

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1. Hauptmann Kleins Mission

Im August 1914 rückte Fritz Klein ins Feld und musste die Zerschlagung seines Regimentes und seiner Kompanie in der »Schlacht in Lothringen« miterleben. Am 22. August zählte seine Kompanie nur noch 13 Mann. Bis zum 31. August verlor das Regiment 50 Offiziere (davon 20 tot) und 2.000 Mann – damit also mehr als die Hälfte seiner Offiziere und seines gesamten Bestandes.189 Weitere verlustreiche Kämpfe und ein gescheiterter Durchbruch auf Amiens führten am Ende zum Resultat einer zweimaligen nahezu kompletten Auffüllung des Regimentes innerhalb von zwei Monaten. Lähmungserscheinungen veranlassten den Bataillonsarzt, Klein am 8. Oktober 1914 zur Ausheilung in die Heimat zu schicken. Klein wird später von Bagdad aus in einem Brief in die Heimat erstaunlich offen davon sprechen, er habe die Front »zerbrochen an Leib und Seele« verlassen müssen. In seinen Kriegserinnerungen ging der Hauptmann hart mit einer Brigade- und Divisionsführung ins Gericht, »die moderne Waffenwirkung ignorierte(n) und mit nervöser Überhastung die Leute verständnislos in den Tod trieb«. Es sei eben ein Fehler gewesen, bemerkte der Hauptmann sarkastisch, der niederen Generalität nicht gleich beim Ausrücken den Pour-le-Mérite zu verleihen.

Klein nutzte nach all den schockierenden Erfahrungen an der Westfront den Genesungsurlaub dazu, sein Schicksal wieder selbst in die Hand zu nehmen, und wandte sich an einen alten Freund im Kriegspresseamt, um nach einer Verwendung im Orient nachzusuchen. Die prompte Antwort per Telegramm erfolgte bereits tags darauf, am 20. Oktober 1914, und berief ihn zur Vorstellung in den Stellvertretenden Generalstab nach Berlin.

Fritz Klein hatte Glück. Denn gerade in jenen Tagen machte man sich in Berlin Gedanken über ein Kommandounternehmen, bei dem militärischer Sachverstand sowie persische Landes- und Kulturkenntnisse gefragt waren. Im September 1914 hatte Ministerresident Freiherr von Oppenheim Gespräche mit Robert Wönckhaus geführt,192 dem Chef der Hamburger Firma Robert Wönckhaus u. Co., die damals mehrere Handelshäuser am Persischen Golf und in Bagdad betrieb. Klein wird später in seinen Erinnerungen davon sprechen, dass die Anregung für die »Unternehmung gegen die Ölquellen am persischen Golf« von der Firma Wönckhaus ausgegangen sei.

Wönckhaus hatte eine Art verdeckte Unterstützung für die Zerstörung der Anlagen der Anglo-Persian Oil Company in Abadan und die Sprengung der englischen Pipeline zwischen Schuschtar und Abadan zugesagt.195 In der Gesellschaft, die die Ölvorkommen am Karun ausbeutete, hielt die englische Regierung die Mehrheit der Aktienanteile. Tatsächlich war hier die britische Kriegsführung an einem empfindlichen Nerv zu treffen, da die Royal Navy bereits vor einigen Jahren begonnen hatte, die Flotte von der Kohleversorgung auf den Ölbetrieb umzustellen. Daneben erhoffte sich Baron Oppenheim von diesem Schlag gegen die britische Weltmachtstellung einen starken Widerhall in der islamischen Welt und eine Unterstützung seiner Insurrektionspläne in den entsprechenden Kolonialgebieten der Entente.

Der Plan machte nun mehrere Wandlungen durch. Wönckhaus schlug vor, den Mündungsraum des Schatt al-Arab durch die Versenkung des Dampfschiffes »Ekbatana« der Hapag (Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft) zu sperren und das englische Ölzentrum in Abadan nach dem türkischen Kriegseintritt von einem osmanischen Kanonenboot beschießen zu lassen. Der Generaldirektor der Hapag Albert Ballin sagte Oppenheim am 7. Oktober zwar seine Hilfe durch Kapitän und Mannschaft der »Ekbatana« zu, sprach sich aber am 13. Oktober, zusammen mit Wönckhaus, für eine maßgebliche Änderung des Planes aus: die Zerstörung der Anlagen erscheine vom wirtschaftlichen Standpunkt aus wenig zweckmäßig. Vielmehr solle man die Ölquellen »in unsere Hände bringen«. Unter Führung des Wönckhaus Associés Thomas Brown könnten wenige hundert Leute diese Aufgabe mit Unterstützung der türkischen Regierung lösen. Für Wönckhaus und Ballin, dessen Hamburg- Amerika-Linie bereits einen regelmäßigen Fracht- und Passagierverkehr am Persischen Golf unterhielt,200 eröffnete sich hier eine bestechende Perspektive.

Ein Spitzengespräch im Auswärtigen Amt am 20. Oktober 1914, genau an dem Tag, an dem Klein nach Berlin gerufen wurde, folgte im Wesentlichen diesen Überlegungen. In der Besprechung, an der vom Auswärtigen Amt Baron Oppenheim und Baron Langwerth von Simmern, Vertreter von Generalstab und Admiralstab, von der Hapag die Herren Ballin und von Holtzendorff sowie Wönckhaus und sein Teilhaber Brown teilnahmen, betonten Ballin und Wönckhaus nochmals ihr wünschenswertes Ziel: »Deutschland die Hand auf dieses Ölgebiet legen« zu lassen. Etwa 500 Mann, so Wönckhaus, würden ausreichen, um mit türkischer Unterstützung die Besetzung zu vollziehen. Namentlich von Nordindien aus könnten unter dem Eindruck von Kämpfen am Persischen Golf »gefährliche Aufstandsbewegungen in Britisch-Indien« hervorgerufen werden.

Allerdings sprach man sich dafür aus, wohl unter Einfluss der beteiligten Stabsoffiziere, erst eine Vorexpedition eines Generalstabsoffiziers und wenn möglich eines bei der Hapag beschäftigten Marine-Reserveoffiziers sowie Oberleutnant Niedermayer an den Golf zu ent-senden, um die Lage zu sondieren.201 General- und Admiralstab hatten sich damit das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen. Von der zivilen Führung aus Wirtschaftskreisen (Thomas Brown) war nicht mehr die Rede. Auch Niedermayer, der sich mit seiner Afghanistanexpedition in Konstantinopel befand, hatte bereits erklärt, einen Teil seiner Kräfte für das Karununternehmen abzustellen.

In der Person Kleins wurde nun dieser »Generalstabsoffizier« gefunden. General von Manteuffel, der Chef des in Berlin verbliebenen Stellvertretenden Generalstabs, hatte nach seinem Treffen mit Klein am 22. Oktober dessen Übernahme befürwortet und ihn drei Tage später gegenüber dem Auswärtigen Amt mit Bezug auf die Konferenz vom 20. Oktober namhaft gemacht. Allerdings noch vorbehaltlich der Zustimmung des Generalstabschefs, die dann Anfang November erfolgte. Hauptmann Klein war damit vom Generalstab als Führer der Vorexpedition etabliert, mit dem Auftrag, die Durchführbarkeit einer Besetzung des Ölgebietes zu prüfen. Als ehemaliger an die Gesandtschaft in Teheran attachierter Offizier und durch seine persischen Sprachkenntnisse schien er für diese Aufgabe prädestiniert.

Jedoch änderten der osmanische Kriegseintritt und die Anlandung britischer Streitkräfte am 6. November 1914 in Abadan die Situation grundlegend. Türkische Einheiten wurden in Richtung Basra abgedrängt, während noch Generalstabschef Falkenhayn am 7. November die Zerstörung der englischen Anlagen bei Abadan durch die Garnison in Basra anmahnte. Der deutsche Botschafter drahtete zwei Tage später an das Auswärtige Amt, nur noch eine größere militärische Unternehmung gegen das Ölgebiet am Karun verspreche Erfolg. Die in Mesopotamien stehende türkische Division »schlechter Soldaten« sei hierfür zu schwach, die Absendung der deutschen Herren erscheine zwecklos, bevor nicht energische türkische Operationen bevorstünden.

Damit schien das Unternehmen Klein vor dem »Aus« zu stehen, bevor es überhaupt begonnen hatte. Mit der ihm eigenen Energie griff der Hauptmann nun in die Dinge ein und gab dem Karunplan eine neue Richtung. Eine wirksame türkische Hilfe sei nicht gewiss, eine Vorexpedition nicht nötig, ja schädlich, weil sie den Gegner warnen würde. Dagegen nahm er eine Kontaktaufnahme zu persischen Stämmen in den Blick. Zur Mitnahme des Wönckhaus- Teilhabers Brown bezog Klein wegen dessen geschäftlicher Privatinteressen eine entschieden ablehnende Position.

So gab der St. Generalstab das Telegramm des deutschen Botschafters in Konstantinopel vom 9. November mit dem Bemerken an des Große Hauptquartier weiter, Hauptmann Klein halte den Anschlag auf das Karun-Ölgebiet dennoch für durchführbar und wolle sich der Hilfe der Bachtiaren und einflussreicher einheimischer Scheichs bei Basra bedienen. Wegen eines fehlenden Transportweges durch das offiziell neutrale Rumänien hatte das St. Kriegsministerium die Aufstellung eines Expeditionskorps, die erwähnten 500 Mann, inzwischen abgelehnt. Kleins Plan einer Allianz mit persischen Stämmen schien nun die einzige Möglichkeit, die Sache weiter in Fluss zu halten.

Die Auflage des Auswärtigen Amtes, die an der Konferenz vom 20. Oktober beteiligten Instanzen von St. Generalstab, Admiralstab und Hapag für seine Kursänderung zu gewinnen, erfüllte Hauptmann Klein umgehend. Der Anschlag auf das persische Ölgebiet sollte nun »ohne grössere deutsche militärische Kräfte« mit Hilfe der Stämme der Bachtiaren, Kaschgai und Sejid Taleb erfolgen. Holtzendorff trug auch Kleins Entschluss mit, von einer Mitnahme Browns abzusehen. Die Firma Wönckhaus schien nun keine Rolle mehr zu spielen und wurde in die zentralen Entscheidungsprozesse nicht mehr einbezogen. Das Auswärtige Amt teilte der Botschaft in Konstantinopel am 11. November die neue Sachlage und die sofortige Abreise Kleins in die osmanische Hauptstadt mit. Die Zustimmung des Generalstabschefs im Großen Hauptquartier zur neuen Orientierung des Karununternehmens traf im Auswärtigen Amt am 25. November 1914 ein.

Die Zielformulierung eines »Anschlages« vermied eine eindeutige Festlegung auf »Besetzung « oder »Zerstörung« und auch Klein beschrieb in seinen Kriegserinnerungen die doppelte Möglichkeit, seinem Auftrag gerecht zu werden. Er machte aber deutlich, dass der Generalstab eher an eine Zerstörung dachte: »Der Generalstab glaubte durch die Zerstörung einen Schlag ins Herz der britischen Admiralität führen zu können, und durch ihre evtl. Besetzung ein wichtiges Objekt in die Hand zu bekommen.« Auch wies die Formulierung »Anschlag« weniger in Richtung einer Besetzung, selbst wenn man sich diese Möglichkeit noch offenhielt. So hatte militärischer Pragmatismus angesichts der eigenen sehr beschränkten Ressourcen über wirtschaftliche Ausbeutungsinteressen gesiegt. Es scheint kein Zufall, dass gerade die Firma, die den Anstoß für die Besetzungsvariante gegeben hatte, nämlich Wönckhaus,213 und sich selbst für die Führung der Expedition ins Spiel gebracht hatte, jetzt aus der weiteren Planung der Karunexpedition ausschied.

Hauptmann Klein hatte dem Unternehmen nun seinen eigenen Stempel aufgedrückt, den Schlag gegen die englische Ölversorgung am Persischen Golf ohne größere deutsche Truppen und ohne osmanische Kräfte, gestützt auf einheimische Stämme, für durchführbar erklärt. Dies war ein signifikanter Wandel gegenüber der bisherigen stark auf türkische Hilfe setzenden und das türkische Primat anerkennenden deutschen Kriegspolitik, wie sie auch die Überlegungen Oppenheims bestimmte. Unterstützung fand Klein beim Generalstab, der mit seiner Zustimmung die Klein’sche Mission ermöglichte. Hier liegt der Anfang einer selbständigen deutschen Persienpolitik, die allerdings nicht der Position der deutschen Botschaft in Konstantinopel entsprach. Damit waren zukünftige Reibungen vorprogrammiert.

Mit dieser neuen Kursbestimmung hatte Hauptmann Klein die Existenz seiner Expedition gesichert. Auch war es ihm mit seinem aktiven Eingreifen gelungen, vom ausersehenen Füh-rer einer Vorexpedition zum Leiter der Expedition selbst zu avancieren. Dass der Hauptmann nicht gesonnen war, sich die Zügel aus der Hand nehmen zu lassen, zeigt ebenfalls seine erfolgreiche Abwehr wirtschaftlicher Einflussnahmen durch die Ausschaltung des Wönckhaus- Teilhabers Brown aus dem Teilnehmerkreis der Expedition.

Das Unterstellungsverhältnis des Hauptmanns war alles andere als eindeutig. Vom Generalstab eingesetzt und protegiert, wurde seine Angelegenheit in der Politischen Abteilung unter Legationsrat Nadolny bearbeitet. Allerdings war die Ausführung seiner Mission an das Auswärtige Amt überwiesen worden: »Demgemäss war das auswärtige Amt meine Behörde, mit der ich meine dienstlichen Geschäfte regelte.« Hier fiel die Expedition Klein in das Ressort von Legationsrat von Langwerth-Simmern mit Legationsrat von Wesendonk als zuständigem Mitarbeiter, »also von vorneherein ein verwickeltes Unterstellungsverhältnis«.214 – Tatsächlich handelte es sich um eine unglückliche Kompromisslösung, die Kleins Expedition umso stärker in das Spannungsfeld zwischen Generalstab und Auswärtigem Amt bzw. der deutschen Botschaft im Osmanischen Reich rückte.

Veit Veltzke: Unter Wüstensöhnen. Die deutsche Expedition Klein im Ersten Weltkrieg. Nicolai-Verlag, Berlin 2014. 400 seiten, 34,95 Euro.