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Gedanken zum Amt des Papstes

Symbol der Einheit der Christenheit

In seinem publizistischen Schaffen als Hochschullehrer, Kardinal und Papst hat Benedikt XVI. sich wiederholt zur Stellung des Pontifex in der katholischen Kirche geäußert. Eine Auswahl.

Benedikt XVI.10.03.2013

Der Petrusdienst – Person und Institution

Das Wir der Kirche beginnt mit dem Namen desjenigen, der namentlich und als Person zuerst das Christusbekenntnis vortrug: »Du bist der Sohn des lebendigen Gottes« (Mt 16,16). Merkwürdigerweise wird ja gewöhnlich die Primatsstelle erst von Mt 16,17 an gerechnet, während in der Sicht der Alten Kirche der entscheidende Vers zum Verständnis des Ganzen der Vers 16 ist: Petrus wird Fels der Kirche als Träger des Credo, ihres Glaubens an Gott, der konkret Glaube an Christus als Sohn und eben damit Glaube an den Vater und darin Trinitätsglaube ist, den nur der Geist Gottes vermitteln kann. […] Die Verse 17–19 erscheinen in der Sicht der Alten Kirche nur als die Auslegung von Vers 16: Das Credo zu sprechen ist nie eigenes Werk des Menschen, und so kann der, der im Gehorsam des Bekenntnisses sagt, was er aus sich selbst nicht sagen kann, auch tun und werden, was er aus Eigenem nicht tun und werden könnte. In dieser Sicht besteht die Entgegensetzung nicht, die bei Augustinus sich zuerst andeutet und seit dem 16. Jahrhundert die theologische Szenerie beherrscht; hier entsteht ja die Alternative: Ist Petrus als Person das Fundament der Kirche, oder ist das Bekenntnis das Fundament der Kirche? Die Antwort lautet: Das Bekenntnis gibt es nur als persönlich verantwortetes, und daher ist das Bekenntnis an die Person gebunden. Umgekehrt ist nicht eine sozusagen metaphysisch-neutral betrachtete Person das Fundament, sondern die Person als Träger des Bekenntnisses – eines ohne das andere würde den Sinn des Gemeinten verfehlen.

[…] Die Wir-Einheit der Christen, die Gott in Christus durch den Heiligen Geist unter dem Namen Jesu Christi und von seiner in Tod und Auferstehung beglaubigten Zeugenschaft her gestiftet hat, ist ihrerseits durch persönliche Träger der Verantwortung für die Einheit zusammengehalten und stellt sich noch einmal personalisiert in Petrus dar – in Petrus, der einen neuen Namen erhält und insofern über sein bloß Eigenes hinausgehoben wird, aber eben doch in einem Namen, durch den er als Person mit persönlicher Verantwortung beansprucht ist. In seinem neuen, das historische Individuum überschreitenden Namen wird Petrus zur Institution, die die Geschichte hindurchgeht (denn auch dies, die Fortsetzbarkeit und Fortsetzung, ist in der Neubenennung enthalten), aber doch so, dass diese Institution nur als Person und in namentlicher und persönlicher Verantwortung existieren kann.

Primat des Papstes

Es scheint mir bisher viel zu wenig bedacht zu sein, dass die beiden großen Schübe, von denen her die Primatslehre und der Primat überhaupt sich zu seiner vollen Gestalt entwickelt hat, nicht aus unitarischem Interesse, sondern aus pluralistischen Erfordernissen gekommen sind. Es sind zwei Schübe, die den Primat so gestaltet haben, wie er heute ist. Der erste ist der Kampf um die abendländische Kirchenfreiheit, das heißt der Kampf um die Unterscheidung von Staat und Kirche. […] Das ist der eine Schub mit Gregor VII. als exemplarischer Figur. Gerade das Heraustreten der Nichtidentität von Staat und Kirche, die fundamentale Pluralität überhaupt, auf der das Eigene der Kirche steht, lebte von diesem Einheitsorgan. Und das andere ist eben der Impuls gesamtkirchlicher Basisbewegungen – wie man die Ordensbewegungen des 13. Jahrhunderts nennen müsste, in denen die Dynamik des Apostolats der Gesamtkirche die ortsgebundene Seelsorge befruchtet und ergänzt hat. […] Die Situation war so, dass das überlieferte Mönchtum sich mittlerweile reibungslos in die bischöfliche Ordnung der Kirche integriert hatte, weil sich die einzelnen Klöster grundsätzlich auf ihr Territorium beschränkten und in die eigentliche apostolische Arbeit der Seelsorge nicht eingriffen. Nun aber traten mit einem Mal durch die Bettelorden seelsorgliche Bewegungen auf, die von einer Zentrale her dynamisch über den ganzen Kontinent hinweg mit Predigt und Beichtgottesdienst in direkter Konkurrenz zur normalen Seelsorge standen. Der Kampf des Weltklerus gegen die Bettelorden ist auch ein Zeichen für das Ringen um den Ausbruch aus der feudalen Ordnung in die Moderne hin zu beweglicheren Reformen des Wirtschaftslebens und in diesem Sinne eine Konfrontation verschiedener Geschichtsepochen. In diesem Streit ist es wie in allen menschlichen Streitigkeiten, dass nicht eine Seite allein Recht hat, sondern beide haben je auf ihre Weise Recht und Unrecht. Aber richtig ist sicher, dass die Bettelorden in einem erstarrenden System eine neue Dynamik der Verkündigung des Evangeliums geschaffen haben, dass mit ihnen auf eine neue Weise die Gesamtkirche als solche als eine lebendige Realität in den einzelnen Ortskirchen fühlbar und wirksam wurde, dass erst mit diesem Instrument die Gesamtkirche als Gesamtkirche handlungsfähig und so auch wieder missionarisch geworden ist. […]

Mir scheint, dass die beiden Tatbestände, die dem Primat seine Form gaben, so etwas wie eine aus der Praxis der Kirchengeschichte und ihrer Erfahrung kommende Verifikation des Petrusamtes sind und dass beide auch nach wie vor von höchster Bedeutung sind. Denn auch heute und heute mehr denn je gilt, dass nur das Petrusamt, die Realität der Universalkirche, die Unterscheidung der Teilkirchen von Staat und Gesellschaft gewährleisten kann. Und ebenso erleben wir auch heute wieder das Phänomen von unten kommender überörtlicher apostolischer Bewegungen, in denen neue Charismen aufbrechen und die örtliche Seelsorge beleben. Auch heute finden solche Bewegungen, die nicht auf das bischöfliche Prinzip unmittelbar zurückgeführt werden können, ihren theologischen und praktischen Anhalt am Primat, der so weiterhin ein Faktor eines lebendigen und fruchtbaren Pluralismus in der Kirche gerade dadurch bleibt, dass er ihre Einheit zu einer konkreten Realität macht und nicht zu einem abstrakten Prinzip.

Vom I. zum II. Vatikanischen Konzil

Das Erste Vatikanische Konzil hat genau in dem Augenblick stattgefunden, in dem als Folge des deutsch-französischen Krieges im Herzen Europas zwei neue große Nationalstaaten entstanden sind: Deutschland und Italien. Und gleichzeitig damit ist der Kirchenstaat, die weltliche Macht des Papsttums, endgültig von der Landkarte und aus unserer Geschichte verschwunden. In diesem Augenblick hat das I. Vaticanum die rein geistige, von allem weltlichen Ballast gelöste Gestalt des Papsttums ans Licht gestellt, sie wieder neu beschrieben aus der Nachfolge des irdisch machtlosen Christus als Nachfolge ohne irdische Macht, wie auch Petrus, der Fischer, ohne Macht ihm nachgegangen war bis zur Kreuzigung in Rom hin.

So können wir aus alledem etwas von Trost und Trauer der Vergänglichkeit verspüren: Trost, dass vieles versunken ist, was sich groß aufgeplustert hat; vielleicht auch Trauer über manches, das wir gerne bewahrt gesehen hätten. Wichtig aber ist, dass in dem Augenblick, in dem das nationale Prinzip seine Triumphe feierte, die Nation geradezu angebetet wurde, das Konzil dem das Prinzip der Einheit gegenübergestellt hat. […]

Es ist auch heute dringlich. Denn gewiss, wir stehen inzwischen in so vielen politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen und Abhängigkeiten, dass daraus niemand mehr aussteigen kann. Aber umso mehr wollen wir im Geistigen und Religiösen uns dann in unsere Eigenwelt, in unsere Eigenbrötelei zurückziehen. Da wird das Gewissen, das oft doch nur ein Deckwort für unsere eigenen Wünsche und Meinungen ist, zur letzten Instanz erklärt, oder vielleicht die Gruppe, mit der wir uns sympathisierend fühlen. All das hat je seinen eigenen Rang, aber es behält ihn nur dann und ist nur dann wahr und recht, wenn es sich einfügt in die große Wahrheit unseres Einsseins vom Vater-Gott her, von Jesus Christus her. Deswegen sollten wir auch heute dankbar sein, dass es den Papst als Bezugspunkt der Einheit gibt, als sichtbare Kraft der Einheit; sollten wir anerkennen, dass Einheit nicht nur Gabe ist, sondern auch ihre Forderungen an uns stellt und erst dann uns reich machen kann; sollten uns mühen, das Unsrige in die große Einheit einzubringen, damit wir dann auch von den anderen empfangen können.


Buch-Tipp

Grundbegriffe eines Pontifikats
Zum Jahr des Glaubens, das Benedikt XVI. zum 50. Jahrestag des II. Vatikanischen Konzils ausgerufen hatte, stellte der Verlag Herder ein kleines Lesebuch aus seinen Werken zusammen.

   Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.
   Theologisches ABC
   Ein Lesebuch von Abba bis Zweifel
   Herausgegeben von Robert Zollitsch
   240 Seiten, Herder 2012
   ISBN 3-451-32558-6



 Benedikt XVI.
Benedikt XVI. war von 2005 bis zu seinem Rücktritt am 28. Februar 2013 der 265. Papst der römisch-katholischen Kirche. Zuvor war er unter seinem bürgerlichen Namen Joseph Ratzinger Kurienkardinal und Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre (seit 1981) sowie Erzbischof von München und Freising (seit 1977). Schon als junger Universitätsprofessor erwarb sich Joseph Ratzinger den Ruf als einer der größten Theologen unserer Zeit. Während des Zweiten Vatikanischen Konzils gehörte er zu den Beratern des Kölner Erzbischofs Joseph Kardinal Frings. Zu seinen wichtigsten Schriften gehören „Einführung in das Christentum“ (München 1968), „Der Geist der Liturgie“ (Herder 2000) sowie die Trilogie „Jesus von Nazareth“ (Herder 2007–2012). Im Freiburger Herder-Verlag erscheinen seit 2008 auch die „Gesammelten Schriften“ Joseph Ratzingers (JRGS).  2016 wurde  "Benedikt XVI. Letzte Gespräche" (München, Droemer) veröffentlicht. www.herder.de