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Die Unsterblichen – Götter Griechenlands

Vom Olymp zum Königsplatz

Florian Knauß11.01.2013

Er sieht aus wie ein griechischer Gott!“ sagt man noch heute, wenn man ideale Schönheit in Worte fassen will. Die Götter der Griechen sind – mit Ausnahme des „Hinkefußes“ Hephaist – von tadellosem Äußeren. Sie sind von menschlicher Gestalt, wenn auch deutlich größer als gewöhnliche Sterbliche. Aber diese Götter sind keineswegs perfekt, weder sind sie allwissend, noch allmächtig, von den Menschen unterscheidet sie ihre Unsterblichkeit.

Bereits unmittelbar nach ihrer Geburt sind sie zu Großem fähig. Artemis assistiert sogleich als Geburtshelferin für ihren Zwillingsbruder Apoll, der wiederum mit seinem Bogen den Python, einen gewaltigen Drachen erlegt, und damit das Heiligtum in Delphi, seine wichtigste Kultstätte, erobert. Am tollsten ist jedoch der Einstand, den Hermes gibt, ein weiterer Sohn des Zeus. Kaum geboren tötet er eine Schildkröte und verwendet ihren Panzer als Resonanzkörper für die von ihm bei dieser Gelegenheit erfundene Lyra. Noch am selben Tag stiehlt er Apoll unbemerkt eine Herde von 50 Kühen. Er verwischt seine Spuren, opfert zwei der Tiere den olympischen Göttern und legt sich wieder bei seiner Mutter in die Windeln. Als sein Bruder doch von dem Raub erfährt und Hermes zur Rede stellt, argumentiert das Knäblein listig, er sei doch viel zu klein, um zu wissen, was eine Kuh sei. Apoll zerrt ihn daraufhin zum Göttervater, wo Hermes dem Bruder seinen Bogen stiehlt, erneut Lügengeschichten auftischt und beinahe sogar einen Meineid schwört. Zeus muss über die Schwindeleien seines jüngsten Sohnes lachen, verlangt aber die Rückgabe der Kühe.

Vertraut und fremd

Die griechischen Götter sind uns bei aller Vertrautheit mit dem antiken Mythos ganz fremd, gerade aufgrund ihrer allzu menschlichen Schwächen. Verwirrend ist ferner ihre große Zahl. „Alles ist voll von Göttern“, so dass selbst der böotische Dichter Hesiod, der gegen 700 v. Chr. mit seiner Theogonie („Entstehung der Götter“) die einzige große „theologische“ Dichtung der Griechen verfasst, einräumen muss, dass es weit mehr als die von ihm darin aufgeführten über 300 Götter gebe. Aus der Vielzahl ragt ein überschaubarer Kreis heraus, die nach ihrem gemeinsamen Wohnsitz und Versammlungsort auf dem Götterberg benannten „olympischen“ Götter. Sie bilden gewissermaßen eine große Patchwork-Familie. Der Himmelsgott Zeus und seine Brüder, Poseidon, der Gott des Meeres, und Hades, Herrscher der Unterwelt, teilen die Welt unter sich auf, die Erde und der Olymp sind ihnen gemeinsam. Auch ihre Schwestern Hera, Demeter und Hestia gehören dazu. Weitere Olympier hat Zeus mit verschiedenen Frauen gezeugt. Durch seine Kinder, Athena, Hermes, Artemis und Apoll, die ihm gehorchen, sichert sich der „Vater der Götter und der Menschen“ seine Herrschaft. Dagegen bleiben seine Kinder aus der Ehe mit seiner Gattin Hera, der Kriegsgott Ares oder die Geburtshelferin Eileithyia, relativ schwach. Die zahlreichen Kinder der übrigen Götter gehören nicht zu den Olympiern.

Bezeichnenderweise haben nicht Propheten oder Priester die griechische Religion geformt, sondern Dichter. Es gibt keine heilige Schrift. Die Theogonie ist keine Sammlung von verbindlichen Glaubenssätzen, sie beschreibt nur die Entstehung der göttlichen Ordnung, und spätere Dichter berichteten den Mythos oft abweichend. Zudem wurde ein und dieselbe Gottheit an verschiedenen Orten oft in ganz unterschiedlicher Form verehrt.

Wie eingangs am Beispiel des Hermes geschildert, sind die Götter nur selten moralische Vorbilder. Ihr Handeln steht oft im Widerspruch zu den Normen der antiken menschlichen Gesellschaft. Sie lügen und stehlen, streiten und intrigieren, halten wenig von ehelicher Treue und verfolgen Unschuldige mit eifersüchtigem Hass. Freilich ist für die Sterblichen der Zweck göttlichen Handelns nicht immer erkennbar. So leitet Zeus bei seinen zahlreichen Liebschaften nicht niederer Geschlechtstrieb. Die von ihm gezeugten Kinder dienen höheren Zielen. Hesiod nennt die Olympier „Geber des Guten“ und preist ihre Herrschaft als gerecht. Über die Einhaltung der von Zeus gesetzten Ordnung wachen seine Kinder. Die Bestrafung von Frevlern ist immer wieder Thema der antiken Bildkunst und steht im Skulpturenschmuck der großen Tempel wie auf Vasenbildern den Menschen mahnend vor Augen.

Schon für die antiken Menschen war das oft widersprüchlich oder gar unmoralisch wirkende Handeln der Götter problematisch. Platon tadelt Homer und Hesiod für das moralisch verwerfliche Bild, das sie von den Göttern zeichnen. Der Philosoph spricht sich dafür aus, ihre Schriften zu zensieren, weil er die schädliche Vorbildwirkung auf junge Menschen fürchtet.

Götterorte

Die Götter konnten überall verehrt werden, aber sie hatten auch Lieblingsorte, wo sie besondere Verehrung erfuhren. Vor allem in ihren Heiligtümern spielte sich das religiöse Leben ab. Denn die antike Religion bestand aus dem Vollzug kultischer Riten: Spende, Opfer, Votiv und Gebet. Ein Tempel, dessen Überreste heute meist das eindrucksvollste Zeugnis bilden, gehörte nicht zur notwendigen Ausstattung eines griechischen Heiligtums. Dagegen war ein Altar wegen der dort zu vollziehenden Opferhandlungen unverzichtbar. Heiligtümer genossen besonderen Schutz, sie boten dem Verfolgten Asyl, dienten aber deshalb auch als Banken. Griechische Kulte standen auch Nichtgriechen offen, großartige Weihungen orientalischer Herrscher zeugen davon. Umgekehrt war das griechische Pantheon offen für weitere Götter. Und so kamen im Lauf der Jahrhunderte zahlreiche neue Kulte hinzu, griechische, wie der des Heilgottes Asklepios, ebenso wie nichtgriechische, etwa der ägyptischen Isis, seit dem Hellenismus spielte der Kult des (postum) vergöttlichten Herrschers eine zunehmend große Rolle. All diese Gottheiten konnten nebeneinander verehrt werden. Erst der christliche Glaube, der keine anderen Götter duldete und – anders als etwa der mosaische Glaube – keine ethnischen Grenzen kannte, bedrohte und zerstörte schließlich die alte Religion.

Die Ausstellung „Die Unsterblichen – Götter Griechenlands“ in den Antikensammlungen und der Glyptothek präsentiert eine bunte Vielfalt an Götterbildern aus den reichen Münchner Sammlungsbeständen, vermehrt um Leihgaben aus dem In- und Ausland. Eine vergoldete Statue der Athena auf den Stufen der Antikensammlungen vermittelt eine Vorstellung vom Aussehen eines antiken Kultbildes. Die Götterschau macht anschaulich, wie omnipräsent die Unsterblichen im Leben der Menschen waren, versucht aber auch, eine verständliche Ordnung in die auf den ersten Blick verwirrende Fülle zu bringen. Sie ermöglicht es dem Besucher, die wichtigsten Götter an ihren charakteristischen Attributen zu erkennen, ihre jeweiligen Charaktere und Fähigkeiten kennenzulernen. Breiten Raum nimmt das in der Bildkunst immer wieder neu gestaltete Handeln der Götter ein, ihre Versammlungen, Liebschaften, Streitigkeiten und Kämpfe, aber auch ihr Beistand für die Sterblichen. Schließlich wirft die Ausstellung einen Blick in ein griechisches Heiligtum. Sie zeigt, wie sich der Einzelne der von ihm verehrten Gottheit in Opfer und Gebet näherte, gibt ein Bild von den Weihgaben, die dort in großer Zahl standen. Diese reichten von den prächtigen Statuen, die Städte und mächtige Einzelne stifteten, bis hin zu den preiswerten Tonvotiven, mit denen der einfache Pilger den Gott günstig gewogen stimmenoderihm für erwiesene Wohltat danken wollte – und die wir aus christlichen Wallfahrtskirchen in ganz ähnlicher Form kennen.