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Im Fokus Müttergesundheit

Viele Todesfälle sind vermeidbar

Die Senkung der Müttersterblichkeit ist eine der globalen Aufgaben, die Rotary vorrangig verfolgen will. Die Erfolgsaussichten sind gut.

Matthias Schütt13.09.2013

Die gute Nachricht zuerst: Die Müttersterblichkeit ist weltweit zwischen 1990 und 2010 um fast die Hälfte gesunken: 47 Prozent, ein stolzer Erfolg. Und jetzt die schlechte Nachricht: Noch immer sterben jeden Tag 800 Frauen weltweit an Komplikationen, die mit Schwangerschaft und Geburt zusammenhängen. Das sind fast 300.000 Mütter im Jahr und entspricht der Bevölkerung einer Großstadt wie Karlsruhe. Zur furchtbaren Wahrheit gehört auch dies: 99 Prozent aller Todesfälle ereignen sich in Entwicklungsländern – und nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) könnten die meisten vermieden werden.

Die globale Bedeutung dieser Tragödie ergibt sich aus der Tatsache, dass Müttergesundheit immer mindestens zwei Menschen betrifft: die Mutter und ihr Kind, das in mütterlicher Obhut die besten Voraussetzungen für den Start ins Leben findet. Deshalb setzt die Weltgemeinschaft seit Jahren mit Nachdruck auf die Stärkung der Mütter. Sie ist eins der acht im Jahr 2000 verabschiedeten Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten Nationen: Um drei Viertel soll bis 2015 die Zahl der Todesfälle gegenüber 1990 zurückgehen. Das liegt allerdings trotz der Fortschritte noch in weiter Ferne.

Einer von sechs Schwerpunkten

Auch die Rotary Foundation hat die Gesundheit von Mutter und Kind zu einem von sechs Schwerpunkten gemacht, die allein mit Spendenmitteln gefördert werden sollen. Zu dieser Wahl mag beigetragen haben, dass mit Past-Gov. Robert Zinser (RC Ludwigshafen-Rheinschanze) ein Rotarier den Nutzen entsprechender Konzepte mehrfach unter Beweis gestellt hat. Zinser, der 1995 mit einem Ko-Governor in Nigeria ein bahnbrechendes Projekt entwickelte, gelang der Nachweis, dass mit einem kombinierten Ansatz aus Beratung/Aufklärung, Geräteausstattung und Training von medizinischem Personal erstaunliche Verbesserungen möglich sind. Die im Zuge dieser Arbeit entstandene Rotarian Action Group for Population and Development (RFPD) bildet mit über 8000 Mitgliedern allein in Deutschland das Sammelbecken der Unterstützer, das sind viele Rotarier, aber auch Rotaracter und Inner Wheelerinnen.

Die Freiwilligenärzte der German Rotary Volunteer Doctors (GRVD) widmen sich diesem Aufgabengebiet schwerpunktmäßig in Nepal. Hier kommen neben der allgemeinen Armut noch besondere topografische Herausforderungen hinzu. Viele Einwohner im Himalaja leben in unwegsamen Bergdörfern. Sie sind damit oft von allen staatlichen Leistungen abgeschnitten und schutzlos, wenn medizinische Hilfe benötigt wird. Das gilt nicht zuletzt für die Betreuung von (werdenden) Müttern.

Aufklärung nötig

Die Stiftung BISS (eine Privatgründung von Past-Gov. Bernhard Scharf, RC Schriesheim-Lobdengau, und seiner Frau Ingeborg, IWC Schriesheim-Weinheim), deren Aktivitäten in Nepal vom GRVD koordiniert werden, finanziert die Arbeit von drei Hebammen, die Aufklärung über Familienplanung, Frauenleiden und Müttergesundheit in die Bergdörfer bringen und auch Untersuchungen vornehmen können.
Für den GRVD-Asienbeauftragten Jörg Bahr zeigt sich in Nepal, dass medizinische Maßnahmen nur ein Teil der Lösung sind, die Ursachen liegen tiefer: „Müttergesundheit hängt vor allem von Bildung ab. Da es zu wenig Schulen gibt und Frauen im Hinduismus allgemein benachteiligt sind, fehlen oftmals grundlegende Kenntnisse über Gesundheit, Familienplanung und Hygiene. Diese Themen greifen die Hebammen auf, die zehn- bis zwölfmal im Monat für mehrere Tage in die Berge gehen. Parallel dazu muss in Schulen investiert und auch das Netz der Outreach-Kliniken vergrößert werden.“ Damit sind die bislang 23 Krankenstationen gemeint, in denen die Hebammen ihren Dienstsitz haben und die kleinere Operationen vornehmen können. Für größere OPs reisen Ärzte aus Dhulikhel oder anderen Zentralkliniken an. Jüngstes Projekt von GRVD/BISS in Nepal ist eine Datenerhebung in 1000 Haushalten, um herauszufinden, ob das Training der Hebammen zu dauerhaften Verhaltensänderungen führt.

Unterernährung, Infektionen, Gebärmutterhalskrebs sowie die bleibenden Folgen vorausgegangener Geburtsverletzungen wie Fisteln, Senkungen von Uterus und Vagina nennt Jürgen Wacker, RC Bruchsal-Bretten, als die häufigsten Ursachen für Frauenleiden. Der Chefarzt einer Frauenklinik ist seit den 1980er Jahren in der Entwicklungshilfe tätig, hat ein Handbuch über „Obstetrics unplugged“ (Geburtshilfe ohne Stecker) geschrieben und engagiert sich bis heute in Burkina Faso. Hier hat er in der Hauptstadt Ouagadougou eine Klinik gegründet, die mit Unterstützung seines Clubs ausgebaut wird.

Kein isoliertes Problem

Sein Ansatz ist ähnlich dem der RFPD, allerdings betont er die ärztliche Zuwendung als entscheidenden Faktor: „Mit dem Stethoskop sind die Ergebnisse nicht schlechter als mit Ultraschall, wenn die Ärzte engagiert bei der Sache sind. Entscheidend ist, dass die Frauen in die Klinik kommen.“ Einen bemerkenswerten Rückgang der Sterblichkeitsrate erzielte die Gesundheitspolitik in Burkina Faso, als die traditionellen Dorfhebammen in die klinische Betreuung einbezogen wurden. Besondere Fürsorge benötigen Frauen, die wegen der rituellen Beschneidungen (Genitalverstümmlung) nur mit großen Schwierigkeiten entbinden können. Wackers Ziel ist es, diese Frauen trotz der Vernarbungen im Vaginalbereich so auf die Geburt vorzubereiten, dass ihr Kind auf normalem Wege zur Welt kommt.

Auch dieses Beispiel zeigt, dass Müttergesundheit nicht isoliert als Versorgungsproblem betrachtet werden darf. Wer die Ursachen der hohen Sterberaten angehen will, muss weiter ausholen und die traditionelle Geschlechterpolitik hinterfragen. Wo Mädchen nach wie vor keinen Schutz vor Genitalverstümmlung oder auch früher Verheiratung haben und Frauen von grundlegenden sozialen Rechten ausgeschlossen bleiben, kann man allenfalls auf Symptome reagieren. Auch wenn zur Müttergesundheit nicht mehr gehört als adäquate Ernährung, Infrastruktur, ein förderndes Umfeld, medizinische Basisversorgung und eine Klinik in der Nähe.






 

Matthias Schütt

Matthias Schütt ist selbständiger Journalist und Lektor. Von 1994 bis 2008 war er Mitglied der Redaktion des Rotary Magazins, die letzten sieben Jahre als verantwortlicher Redakteur. Seither ist er rotarischer Korrespondent des Rotary Magazins und seit 2006 außerdem Distriktberichterstatter für den Distrikt 1940.