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Zur Lage im Euro-Land

Geld allein macht nicht glücklich

Nicolaus Heinen16.02.2015

Das neue Zauberwort lautet „Quantitative Easing“. Hinter diesem Fachbegriff der Geldpolitik verbirgt sich im Kern ein gigantisches Anleiheaufkaufprogramm, das EZB-Präsident Mario Draghi am 22. Januar in Frankfurt der Öffentlichkeit vorstellte. Ab März wird die EZB im großen Stil Anleihen von Euro-Ländern und europäischen Institutionen aufkaufen. Zusammen mit den fortgesetzten Aufkäufen von Pfandbriefen und verbrieften Forderungen wird sich diese quantitative Lockerung der Geldpolitik auf monatlich bis zu 60 Milliarden Euro belaufen. Zugleich sollen die Konditionen für zweckgebundene Kredite an Banken zur Finanzierung von Projekten kleiner und mittelständischer Unternehmen (TLTRO) noch einmal um 0,1 Prozentpunkte abgesenkt werden. Über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren dürfte sich die Bilanz der EZB um über 1,1 Billionen Euro ausweiten. Die Aufkäufe beschränken sich nicht auf Anleihen aus den Krisenstaaten. Vielmehr orientieren sie sich am Kapitalschlüssel der EZB und damit an der Wirtschaftsleistung der Euro-Länder: Bundesanleihen werden am häufigsten gekauft, gefolgt von den Anleihen Frankreichs und Italiens.

Hauptgrund für das Programm ist die Angst vor Deflation. In zahlreichen Ländern der Euro-Zone ist die Teuerung in den letzten Jahren enorm gesunken, da die wirtschaftliche Aktivität am Boden liegt. Die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben dazu geführt, dass Unternehmen sich in ihren Investitionen zurückhalten und Konsumenten ihre Kaufentscheidungen aufschieben. So lag die Teuerung im Euro-Raum im letzten Jahr nur noch bei 0,4 Prozent. Im laufenden Jahr dürfte sie 0,2 Prozent betragen. Der sinkende Ölpreis hat diese Entwicklung in den letzten Quartalen nochmals zugespitzt. Gerade deshalb befürchten nicht wenige Volkswirte, dass die niedrigen Inflationsraten auf Dauer in eine Deflation münden: In Erwartung sinkender Preise für Güter und Dienstleistungen könnten sich Konsumenten bei Kaufentscheidungen, die nicht zwingend notwendig sind, noch stärker zurückhalten. Dieser Nachfragerückgang würde wiederum zu noch niedrigeren Preisen führen. Unternehmensinsolvenzen wären die Folge – und auch Privatinsolvenzen würden in Anbetracht sinkender Löhne bei gleichbleibender finanzieller Belastung aus festverzinslichen Darlehen und Hypotheken nicht ausbleiben. Die Risiken für das Finanzsystem würden insgesamt steigen und die Kreditvergabe weiter stocken.

„Quantitative Easing“ soll sicherstellen, dass es nicht dazu kommt. Die EZB kauft Staatsanleihen nicht von den Mitgliedstaaten selbst, sondern von Banken am Sekundärmarkt. Das frische Geld könnte dann – so die Annahme – die Kreditvergabe an Unternehmen der Realwirtschaft befeuern oder unmittelbar in Unternehmensanleihen investiert werden. Da die zusätzlichen Mittel auch im Ausland investiert werden könnten, geriete zudem der Euro unter Abwertungsdruck. Dies wäre gut für den Export. All dies soll dafür sorgen, dass das Preisniveau wieder ansteigt.

Cui bono?

Rein formal betrachtet bewegt sich die EZB damit wohl innerhalb ihres vertraglich vereinbarten geldpolitischen Mandats, Preisstabilität im Euro-Raum zu gewährleisten. Diese ist definiert als unter, aber nahe bei 2 Prozent jährlicher Inflationsrate in der mittleren Frist. Risiken und Nebenwirkungen sind jedoch nicht ausgeschlossen. Denn ein willkommener Nebeneffekt für die Finanzminister der Euro-Zone ist, dass durch „QE“ ein neuer struktureller Käufer am Anleihemarkt auftritt. Der Nachfrageüberhang senkt die Zinsen, die Staaten an den Kapitalmärkten zahlen müssen, wenn sie sich refinanzieren. Da dies die Finanzierung von Defiziten erleichtert, könnte allerdings auch der Spar- und Reformdruck sinken. Nicht wenige Ökonomen sehen im „Quantitative Easing“ daher eine verdeckte Form der Staatsfinanzierung durch die EZB.

Unabhängig davon ist es im aktuellen Umfeld nicht sicher, ob das neue Programm der EZB den selbstgesteckten Zielen gerecht werden kann. Das wirksamste Gegenmittel gegen Deflation ist ein höheres gesamtwirtschaftliches Aktivitätsniveau. Langfristig wird dies immer vom Kapitalstock einer Volkswirtschaft bestimmt. Dieser wächst durch Investitionen – nicht aber durch Konsum oder Staatsausgaben. Das Investitionsniveau in der Euro-Zone ist jedoch niedrig.

In Zeiten rekordtiefer Niedrigzinsen liegen die Ursachen der geringen Investitionstätigkeit der Unternehmen weniger in der mangelnden Finanzierungsbereitschaft von Banken als in den gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. In einem schwachen reformpolitischen Umfeld kann der Appetit des Privatsektors auf Investitionen nicht steigen, da die Renditeerwartungen niedrig bleiben. Erste Strukturreformen sind in den Krisenstaaten Südeuropas und Frankreich zwar ersichtlich. Das reformpolitische Momentum hat jedoch in den letzten Jahren nachgelassen. Gerade deshalb ist auch der Erfolg des ambitionierten Investitionsprogramms der Europäischen Kommission aus letztem November noch offen, das über eine Kofinanzierung mit öffentlichen Mitteln zusätzliche Investitionen der Privatwirtschaft in Höhe von 315 Milliarden Euro mobilisieren möchte.

Wirksamkeit fraglich

Geld allein macht nicht glücklich. Diese Erkenntnis kommt in der aktuellen Debatte leider zu kurz. Diese konzentriert sich viel zu stark auf Finanzierungsinstrumente für Investitionen – nicht jedoch auf die Voraussetzungen, unter denen Unternehmen gerne investieren. Doch auf sie kommt es an.

Für Neuinvestitionen müssen zunächst geeignete Voraussetzungen geschaffen werden. Passende wirtschaftspolitische Maßnahmen sind beispielsweise die Liberalisierung von Arbeits- und Dienstleistungsmärkten, eine geringere Belastung von produktiven Faktoren wie Arbeit und Kapital durch Steuern und Abgaben oder der Abbau von Bürokratie. Zudem können bessere Rahmenbedingungen für die grenzüberschreitende Unternehmensfinanzierung auf den Kapitalmärkten (sogenannte Kapitalmarktunion) es Unternehmen ermöglichen, sich leichter Wagniskapital für Innovationen und Akquisitionen zu beschaffen – und zugleich Unternehmensgründungen erleichtern. All dies würde das Umfeld der Unternehmen auf Wettbewerbsfähigkeit trimmen. Die Renditeerwartungen würden steigen und neue Investitionen nach sich ziehen. Und die Gefahr einer schädlichen Deflationsspirale wäre gebannt.

Wie geht es weiter? Die Geldpolitik hat geliefert. Die Fiskalpolitik hat mit der jüngsten Lockerung des Sparkurses in vielen Ländern ebenfalls geliefert – und ist mittlerweile an ihre Grenzen gelangt: Zu hoch sind heute die Schuldenstände in den Krisenstaaten, als dass noch ausreichend Spielraum für weitere Konjunkturprogramme bestehen würde. Der Ball liegt daher nun wieder bei der Wirtschaftspolitik.

Reformer gesucht

Wer könnte in der Debatte die richtigen Impulse setzen? Den Regierungen der Krisenländer dürfte nach dem Erstarken populistischer Kräfte – zuletzt in Griechenland – die Lust auf weitere Reformen endgültig vergangen sein. Auch bilateraler Druck – etwa durch die starken Länder der Euro-Zone – hat sich als wenig erfolgversprechend erwiesen, denn er erzeugt Abwehrreaktionen. Auch Brüssel wirkt hilflos: Noch im November bemängelte die Europäische Kommission, dass nur 1 Prozent aller wirtschaftspolitischen Empfehlungen aus Brüssel vollständig umgesetzt werden. Konsequenzen werden trotzdem nicht gezogen: Denn auch wenn das europäische Regelwerk durchaus die Möglichkeit zu einer stärkeren Sanktionierung bei wirtschaftspolitischem Fehlverhalten bietet, hat sich die Kommission bislang diplomatisch zurückgehalten und von ebendiesen Möglichkeiten keinen Gebrauch gemacht.

Der EZB verbietet das geldpolitische Mandat eine direkte Einmischung in die Wirtschaftspolitik der Euro-Länder. Dies hat zuletzt auch noch einmal der Europäische Gerichtshof bestätigt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die EZB kein wirksames Agenda-Setting betreiben könnte. Dies gilt allzumal, weil sie kraft ihrer neuen Geldpolitik längst eine wirtschaftspolitische Gravitation entfaltet hat, der sich die Mitgliedstaaten nicht mehr entziehen können.
Am Ende steht die Erkenntnis, dass Druck von außen nur begrenzt wirksam und möglich ist. Die erfolgreiche Umsetzung bedarf der Einsicht der betroffenen Länder in ihre Notwendigkeit und die damit verbundenen positiven gesamtwirtschaftlichen Effekte. Dabei wäre der Zeitpunkt für einen neuen reformpolitischen Impuls günstig: Niedrige Energiepreise, der aktuell schwache Außenwert des Euro und insgesamt positive Aussichten für die Weltkonjunktur haben zuletzt ein vielversprechendes Umfeld geschaffen, in dem sich eine höhere Wettbewerbsfähigkeit ohne große Verzögerung auszahlen und in höheren Wachstumsraten niederschlagen dürfte. All dies ist kein Hexenwerk: Das ehemalige Krisenland Irland zeigt, dass Strukturreformen schneller wirken als Bedenkenträger ihre Kampagnen schmieden können.

Für einen solchen mutigen Reformkurs hat die EZB im Januar ein komfortables Zeitfenster von zwei Jahren geschaffen. Nun liegt es an den Euro-Ländern, diese Chancen zu ergreifen und ihren gewonnenen Handlungsspielraum mit frischen Ideen und neuem Reformelan verantwortungsvoll auszufüllen. „Quantitative Easing“ wäre dann eine erste Erfolgsgeschichte im nunmehr fünf Jahre währenden Projekt der Euro-Rettung. Wird es ihnen gelingen? In zwei Jahren wissen wir mehr.