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Die Situation des Strommarktes und die wirtschaftlichen Chancen der Energiewende

Ökonomische Potentiale

Vor vier Jahren wurde – als Reaktion auf die Reaktor-Katastrophe im japanischen Fukushima – in Deutschland der Ausstieg aus der Kernenergie und der Ausbau einer nachhaltigen Versorgung mittels erneuerbaren Energien beschlossen. Über den richtigen Weg zu diesem Ziel wird seitdem gestritten. Kritikpunkte sind u.a. die steigenden Strompreise und die Frage, wie die durch Wind- und Wasserkraft gewonnene Energie zu den Verbrauchern kommt. Anmerkungen zu einem Kernthema unserer Volkswirtschaft und Gesellschaft.

Claudia Kemfert01.07.2015

Die Energiewende hat zum Ziel, den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung von heute etwa 28 Prozent bis zum Jahre 2050 auf 80 Prozent zu erhöhen. Bis zum Jahre 2022 werden die restlichen Atomkraftwerke abgeschaltet. Außerdem geht es darum, die Energieeffizienz zu verbessern; das heißt, sowohl im Gebäudeenergiebereich als auch die Mobilität auf Nachhaltigkeit umzustellen.

Die Stromerzeugungsstrukturen werden sich stark verändern, hin zu mehr dezentralen Energieversorgungsstrukturen, in denen erneuerbare Energien, Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen und intelligente Verteilnetze sowie Speicherlösungen ineinander verzahnt werden. Dazu bedarf es auch eines effektiven Lastmanagements, welches Angebot und Nachfrage gut aufeinander abstimmt. All diese Entwicklungen werden enorme Innovationen hervorbringen, durch Investitionen werden Zukunftsmärkte erschlossen.

Unattraktive Marktsituation

Die Aufgabe der Energiewende ist es somit, das Stromsystem umzubauen, hin zu mehr Dezentralität, Flexibilität und Dynamik, inklusive intelligenter Netze, einer optimalen Steuerung von Angebot und Nachfrage und mittelfristig mehr Speicher. Derzeit gibt es allerdings massive Strom-Angebots-Überkapazitäten durch alte Kohle- und Atomkraftwerke sowie phasenweise erneuerbare Energien. Durch die Überkapazitäten sinkt der Strompreis an der Börse, billiger Strom aus Deutschland wird exportiert. Allerdings wird nur ein sehr geringer Teil des Stroms tatsächlich zu negativen Preisen „verschenkt“, im Jahre 2012 waren es gerade einmal 0,03 Prozent des Stromangebots. Dennoch hat das Überangebot und der niedrige Börsenpreis Folgen: die Wirtschaftlichkeit von konventionellen Kraftwerken wird geschmälert. Aus diesem Grund und aufgrund der Tatsache, dass die CO2-Preise auf einem historisch niedrigen Niveau sind, sind Braunkohlekraftwerke derzeit noch immer wirtschaftlich. Daher ist der Einsatz von Braunkohlekraftwerke angestiegen, mit ihm die Treibhausgasemissionen. Aufgrund des massiven Strom-Angebotsüberschusses und der damit verbundenen niedrigen Strom-Börsenpreise rechnen sich dadurch die für die Energiewende notwenigen Geschäftsmodelle nicht, inklusive der innovativen und flexiblen Gas-Kraftwerke und Pumpspeicherkraftwerke.


Wenn die Bundesregierung das Klimaschutz-Ziel ernst nimmt, muss neben dem Gebäudeenergie- und Mobilitäts- vor allem der Stromsektor einen erheblichen Beitrag zur Emissionsminderung leisten. Dies kann nur geschehen, wenn vor allem alte ineffiziente Kohle-Kraftwerke ersetzt werden – durch erneuerbare Energien und auch Kraft-Wärme-Kopplung sowie Gas-Kraftwerke. Alte, ineffiziente Kohle-Kraftwerke sorgen nicht nur für einen enormen Strom-Angebots-Überschuss, sondern sie produzieren zu viele Treibhausgase. Zudem sind sie zu unflexibel in der Kombination mit erneuerbaren Energien. Anders als von ihren Befürwortern behauptet, eignen sich Kohle-Kraftwerke nicht als Brückentechnologie für eine nachhaltige Energiewende. Gas-Kraftwerke sind für diese Rolle viel besser geeignet, da sie flexibler sind als Kohle-Kraftwerke und weniger Treibhausgase verursachen. Doch diese neuen, effizienten und für die Energiewende so wichtigen Gas-Kraftwerke stehen immer öfter still, da sie sich nicht rechnen.

Obwohl es Überkapazitäten gibt, wünscht sich der Großteil der Energiebranche dennoch zusätzliche Subventionen über sogenannte Kapazitätsmärkte. Derartige Subventionen würden jedoch in erster Linie mehr Geld für alte ineffiziente Kraftwerke bereitstellen, das flexible System hin zur Energiewende eher behindern und den Strompreis unnötig verteuern. Statt neue Subventionen für fossile Energien zu zahlen, sollte besser der Strommarkt aufgeräumt werden. Nur mit einer Marktbereinigung wird man wieder ausreichende Knappheitspreise an der Börse erreichen können, damit sich diese Situation wieder verbessert. Würden die ältesten, ineffizientesten Kohle-Kraftwerke aus dem Markt verschwinden, könnte eine doppelte Dividende erzielt werden: Der Markt wäre bereinigt, die Strompreise an der Börse könnten steigen, zudem würden die Klima-Ziele erreicht werden können.

Sinnvolle Dezentralisierung

Je mehr eigene Kapazitäten vor Ort, vor allem auch im Süden Deutschlands, und auch Speicher hinzugebaut werden, desto weniger Stromtrassen werden benötigt. Wir dürfen nicht vergessen, dass in Deutschland ein gut funktionierendes Stromnetz existiert, das durch Optimierung der Übertragungsnetze, aber vor allem durch den Ausbau intelligenter Verteilnetze durchaus in der Lage sein kann, den veränderten Erzeugungsstrukturen der Energiewende Herr zu werden. Ohne Zweifel, überschüssiger Windstrom aus dem Norden muss in den Süden transportiert werden können. Jedoch hängt der Erfolg der Energiewende weniger am sofortigen Ausbau neuer Stromautobahnen als vielmehr von der weiteren Unterstützung und Umsetzung der Energiewende vor Ort.

Der europäische Emissionsrechtehandel ist derzeit ein Totalausfall: Der Markt krankt an zu vielen Zertifikaten und somit einem zu niedrigen Preis für CO2-Zertifikate. Der Emissionsrechtehandel krankt noch immer an zu hohen Zuteilungen der Emissionszertifikate in den Anfangsjahren, dem wirtschaftlichen Einbruch und der statischen Festlegung von Emissionsminderungszielen sowie der Zunahme von zusätzlichen Zertifikaten aus dem Ausland. Selbst mit einer Reparatur des Emissionsrechtehandels, wie ihn Europa vorsieht und Deutschland glücklicherweise unterstützt, wird der CO2-Preis nicht auf ein ausreichend hohes Niveau steigen, damit der Kohle-Überschuss aus dem deutschen Strommarkt verschwindet. Auf den ohnehin sehr niedrigen CO2-Preis werden diese Maßnahmen vermutlich nur wenig Einfluss haben. Statt 7 Euro pro Tonne würden 40 bis 60 Euro pro Tonne CO2 benötigt werden, um ausreichend finanzielle Anreize für den Einsatz von Gas- statt Kohlekraftwerke zu geben.

Bundesenergieminister Gabriel hat einen Vorschlag unterbreitet, wie das Problem gelöst werden könnte: Sein Vorschlag sieht vor, dass alte fossile Kohle-Kraftwerke eine Art Sonderzahlung leisten müssen. Die überschüssigen CO2-Emissionszertifikate der alten Kraftwerke würden nach diesem Vorschlag zudem aus dem Markt entfernt, sodass es keine negativen Wirkungen auf den Europäischen Emissionsrechtehandel haben dürfte. Somit erscheint dieser Vorschlag sinnvoll, tatsächlich die notwendige Marktbereinigung zu erreichen.

Die Energiewende bietet enorme wirtschaftliche Chancen. Schon heute gibt es fünfmal so viele Beschäftigte im Bereich der erneuerbaren Energien als in der Kohleindustrie. Wenn man nicht nur den Bereich der erneuerbaren Energien, sondern auch der Energieeffizienz hinzunimmt, würden es weitaus mehr Beschäftigte sein. Um so wichtiger wäre es, heute den Strukturwandel hin zu einem Umbau der Energieversorgung mit erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz einzuleiten und in den kommenden Jahrzehnten zu begleiten. Das Energiesystem muss flexibler, intelligenter und ganzheitlicher werden. Dazu werden intelligente Netze und mittelfristig auch Speicher weitaus mehr benötigt als fossile Energien und alte Strukturen.

Das Geschäftsmodell im Energiesektor ändert sich somit grundlegend. Dazu bedarf es Innovationen, neuer Technologien und neuer Geschäftsfelder. In der Vergangenheit haben vor allem mittelständische Unternehmen, Bürger und Stadtwerke in die Energiewende in Deutschland investiert, nur zu geringen Teilen die großen Energieversorger. Die Energiewende bietet enorme wirtschaftliche Chancen, grundsätzlich für alle Energieanbieter. Es hängt vom Management der Energiekonzerne ab, ob sie sich darauf einlassen. E.on hat einen mutigen und klugen Schritt in die neue Energiewelt gemacht, auch EnBw gestaltet sich seit einiger Zeit um. Vattenfall will in Deutschland das Kohlegeschäft verkaufen. Nur RWE hängt doch sehr an den alten Strukturen und wird mit dem Wandel die größten Probleme bekommen. Nur wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Die Märkte gehören denen, die sie sehen. 

Claudia Kemfert
Prof. Dr. Claudia Kemfert (RC Berlin–Kurfürstendamm) leitet seit 2004 die Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist seit 2009 Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der privaten Universität, der Hertie School of Governance, in Berlin. Von 2004 bis 2009 hatte sie außerdem die Professur für Umweltökonomie an der Humboldt-Universität inne. Zuletzt erschien „Das fossile Imperium schlägt zurück. Warum wir die Energiewende jetzt verteidigen müssen“ (Verlag Murmann 2017). claudiakemfert.de