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Autombilität im Wandel

Unfallfreie Straßen als treibende Kraft

Gerhard Steiger beschreibt, wie neue Sensoren die Sicherheit im Straßenverkehr und die Sparsamkeit der Automobile erhöhen.

Gerhard Steiger 15.09.2013

utofahren ist den vergangenen Jahren immer sicherer geworden. In den etablierten Märkten in Europa und Amerika ist es gelungen, die Zahl der Verkehrstoten mit einem Bündel an Maßnahmen signifikant zu senken. Allein die Firma Bosch konnte mit der Entwicklung des Antiblockiersystems, der elektronischen Airbag-Steuerung und dem Elektronischen Stabilitäts-Programm (ESP) als Zulieferer der Automobilindustrie diese Tendenz positiv beeinflussen. Treibende Kraft für alle Weiterentwicklungen ist die „Vision Zero“, also Null Unfälle. Niemand soll im Straßenverkehr zu Schaden kommen, idealerweise soll gar kein Unfall geschehen. Immer leistungsfähigere Assistenzsysteme unterstützen den Weg zum verletzungsfreien und schließlich unfallfreien Autofahren. Schon bald werden einzelne Fahraufgaben vollständig von der Elektronik übernommen.

Ein großer Treiber für die Verbreitung sicherheitssteigernder Funktionen in Europa wird das neue Bewertungsschema von Euro NCAP in den kommenden Jahren sein. So wird von 2014 an das höchste Prädikat „Fünf Sterne“ nur noch vergeben, wenn mindestens eine Assistenzfunktion an Bord ist. Ab 2016 ist ein umfassender, vorausschauender Fußgängerschutz zum Erreichen der Höchstwertung Pflicht. Diese wird nur vergeben, wenn tatsächlich auch mindestens jedes zweite verkaufte Fahrzeug die Sicherheitstechnik an Bord hat.

ELEKTRONISCHE ASSISTENTEN

Wir gehen mit den von uns entwickelten Assistenzfunktionen noch weiter. Der ultraschallbasierte Einparkassistent beispielsweise lenkt bereits heute selbsttätig in eine Parklücke: Der Fahrer muss lediglich Gas geben und bremsen. Demnächst übernimmt das System auch das noch, und in zwei Jahren wird der Fahrer diesen Vorgang neben dem Auto stehend mit seinem Mobiltelefon steuern können. Keinen Engpass kennt künftig auch die Spurunterstützung: So entwickeln wir einen Baustellenassistenten, der auf Basis unserer Stereo-Videokamera mit leichten Lenkbewegungen exakt selbst zwischen Betonwand und Lkw-Bordwand führt. Bereits 2014 geht der Stauassistent von Bosch in Serie. Er kann auf Autobahnen im Stau die Führung übernehmen – das heißt, er bremst bei Bedarf bis zum Stillstand, beschleunigt und lenkt ganz automatisch innerhalb der eigenen Fahrspur. In den Folgejahren werden die Funktionen immer höhere Geschwindigkeitsbereiche und komplexere Fahrsituationen abdecken und eines Tages als Highway- Pilot die Fahrt von der Autobahnauffahrt bis zur Ausfahrt vollautomatisch ermöglichen.

Auch auf anderen Gebieten treiben wir die Realisierung neuer Assistenzfunktionen voran. Der sogenannte iBooster ist ein elektromechanischer Bremskraftverstärker, der ganz ohne Vakuum arbeitet. Er unterstützt elektronisch gesteuert und ist konzipiert für all die Fahrzeuge, die umfassend „segeln“ oder über mehrere Kilometer oder durchgängig rein elektrisch fahren und dadurch motorseitig gar keinen Unterdruck mehr erzeugen. Doch auch die Fahrerassistenz profitiert von der neuen Technik. Der iBooster verstärkt den Bremsdruck des Fahrers mittels eines Elektromotors. Im Vergleich zur pneumatischen Lösung kann der Druck dadurch dreimal schneller aufgebaut und über die elektronische Steuerung wesentlich genauer geregelt werden. Ein großer Vorteil für Notbremsfunktionen, aber auch für ein sanftes automatisches Abbremsen im Stau, wo der Druck bislang über die ESP-Pumpe aufgebaut wurde.

Bereits seit 2000 fertigen wir Radarsensoren, die den Abstand und die Relativgeschwindigkeit zu vorausfahrenden Fahrzeugen messen. Im Frühjahr 2013 haben wir den millionsten Radarsensor gefertigt, der das 77-Gigahertz-Frequenzband nutzt. War die erste Million nach 13 Jahren erreicht, so wird die zweite Million innerhalb eines guten Jahres vom Band laufen. Aktuell fahren wir die Fertigung eines Radarsensors hoch, der eine verbesserte Abstandsmessung, eine wesentlich bessere Objekttrennung und kompakte Bauweise vereint. Im Heck eingesetzt, überwacht er den „toten Winkel“ und warnt beim Rückwärts-Ausparken vor querendem Verkehr.

ELEKTRONISCHE AUGEN

Nicht die Scheinwerfer sind also mehr die „Augen“ des Autos, sondern die elektronischen Sensoren. Ein weiteres wichtiges Erzeugnis für mehr Verkehrssicherheit ist unser Stereo-Videosensor, mit dem wir 2014 unsere Multi-Purpose-Kamera ergänzen. Durch die Kombination zweier Optiken bietet er eine schnelle und genaue 3D-Messung von Objekten bei einer Reichweite von über 50 Metern. Als erster Zulieferer realisieren wir allein auf Basis dieses Sensors einen verbesserten Fußgängerschutz. Vervollständigt wird die Liste der Sensoren mit dem Navigationssystem. Dieses erfasst zwar nicht sein direktes Umfeld, aber es liefert basierend auf seinen digitalen Kartendaten und der voraussichtlichen Route des Fahrers den sogenannten „elektronischen Horizont“ – eine detaillierte, weit vorausschauende Information über den Streckenverlauf, die in den kommenden Jahren zunehmend um Krümmungs-, Steigungs- und Fahrspurinformationen erweitert wird.

Mit diesen Informationen kann die Navigation besonders energieeffiziente Routen empfehlen und bei Elektrofahrzeugen wesentlich exakter die verbleibende Reichweite berechnen. Bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor lässt sich dadurch, abhängig vom Straßennetz, ungefähr zehn Prozent Kraftstoff sparen. Geschwindigkeitsbegrenzende Elemente wie Ortseinfahrten, Kurven oder Tempolimits lassen sich in der Routenführung berücksichtigen. Liefert das System daher einige hundert Meter im Voraus das Steigungsprofil der Straße, kann der Fahrer zum richtigen Zeitpunkt den Hinweis erhalten, den Fuß vom Gas zu nehmen, um die Fahrzeuggeschwindigkeit möglichst ohne Bremse abzubauen. Allein dadurch ist eine Treibstoffeinsparung von rund sieben Prozent auf Landstraßen erreichbar – segelt das Fahrzeug dabei mit ausgeschaltetem Motor, sogar rund 15 Prozent.

ZUVERLÄSSIGE DATEN

Je umfassender die Fahrerunterstützung ist, desto wichtiger ist die vorausschauende Information. Künftige Fahrerassistenzsysteme nutzen zunehmend hochaktuelle, zuverlässige Daten. Für deren Erfassung bauen wir derzeit eine entsprechende Infrastruktur auf. Diese sammelt von Smartphones und Fahrzeugsensoren während der Fahrt erfasste Daten und wertet sie auf einem zentralen Server aus, um damit Navigationskarten zu ergänzen. Ein Beispiel ist unsere iPhone-App „MyDriveAssist“. Die von der Smartphone-Kamera „im Vorbeifahren“ erfassten Verkehrszeichen werden erkannt, dem Fahrer angezeigt, aber auch anonym an einen zentralen Server in der Cloud gemeldet. Wird diese auf dem Server gesammelte und verifizierte Information an andere Fahrzeuge übermittelt und dem elektronischen Horizont mitgeteilt, kann eine Vielzahl von Funktionen weiter verbessert werden.

Mit diesem Crowd-Sourcing der Verkehrsdaten schaffen wir eine technologische Voraussetzung für künftige hochautomatisierte Fahrfunktionen. Langfristig werden Fahrzeuge auch direkt miteinander kommunizieren können. Mehr als 90 Prozent aller Unfälle werden durch menschliche Fehler verursacht. Es ist daher eine logische Konsequenz, den Autofahrer möglichst umfassend zu unterstützen und ihm schließlich gewisse Fahraufgaben ganz abzunehmen. Für eine echte Serienreife des automatisierten Fahrens müssen aber noch einige grundlegende technische Meilensteine erreicht werden. Zum Beispiel muss das Fahrzeug sein Umfeld vollständig erfassen. Für diese 360 Grad-Abdeckung werden wir die Informationen unterschiedlicher Sensortechnologien zusammenführen. Die Navigationsdaten müssen hochaktuell und zuverlässig sein. Die Position des Fahrzeugs zu den in der Karte angegebenen und mittels Sensorik erfassten Umgebungsobjekten ist bis auf einige Dezimeter genau zu ermitteln. Hierzu müssen GPS-Technik zur Grobortung und Umfeldsensorik zur Feinortung zusammenwirken.

Ein Schlüssel zum Erfolg von Assistenzsystemen sind die Bedienkonzepte. Funktionen, die immer weitreichendere Fahraufgaben übernehmen, müssen intuitiv erfassbar und bedienbar sein. Bosch untersucht und erarbeitet daher intensiv die unterschiedlichen Ansätze und wird beispielsweise Head-up-Displays nutzen. Informationen wie Fahrempfehlungen oder Abstandswarnung werden wir mit neuen Visualisierungsverfahren auf Basis der „Augmented Reality“, einer erweiterten Realität, wirklichkeitsnah in die reale Verkehrssituation einblenden. Das Auto wird künftig also vernetzt sein mit zahlreichen Endgeräten und fahrzeugrelevanten Apps. Damit der hohe Sicherheitsstandard in der Fahrzeugelektronik erhalten bleibt, werden jedoch die fahrrelevanten Funktionen wie die Fahrerassistenz strikt vom Infotainment getrennt.

Gerhard Steiger
Gerhard Steiger ist Vorsitzender des Geschäftsbereiches Bosch Chassis Systems Control der Robert Bosch GmbH. Der Geschäftsbereich Chassis Systems Control von Bosch entwickelt Komponenten, Systeme und Funktionen der Fahrzeugsicherheit, -dynamik und Fahrerassistenz. www.bosch.de