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Kolumne

Wohlstand für Alle – aktuell

Roland Tichy sagt, warum Ludwig Erhard heute wieder so wichtig ist

01.12.2015

Bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise fehlen Unterkünfte für den Winter, Helfer, und es mangelt an einer Integration. Dabei werden bis zum Jahresende 1,5 Millionen Migranten gekommen sein – bis 2025 werden aufgrund des Familiennachzugs mindestens zehn Millionen Menschen mehr im Land leben. Viele der Migranten sind deutlich jünger als die Einheimischen; das könnte helfen, der Überalterung in unserer Gesellschaft zu begegnen – aber nur, wenn die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt. Heute sind drei Viertel der Deutschen erwerbstätig. Damit die Zuwanderung nicht zu einer Invasion in die Sozialsysteme wird, muss auch die Mehrheit der Zuwanderer einen Job finden, Männer wie Frauen – und zwar einen, der nicht nur irgendwie, sondern halbwegs gut bezahlt ist, sonst wächst nur die Gruppe der Armen.

 

Noch aber sind die Regeln so, dass der üppige deutsche Sozialstaat Unqualifizierte und Leistungsschwache anlockt, Ausgebildete künstlich vom Arbeitsmarkt fernhält und viele Entrepreneure lieber den Weg in die USA und nach Kanada suchen. Vollversorgung in Massenunterkünften auf niedrigem Niveau ist nicht die Lösung.

Deutschland braucht Industrie


Die Wirtschaftspolitik spielt hier die zentrale Rolle. Sie muss bei den Menschen
ansetzen und daher neu denken. Da viele Zuwanderer über keine Ausbildung ver­fügen oder sogar Analphabeten sind, wird es Jahre dauern, bis sie vermittelt werden können. Für die meisten Neuankömmlinge bieten sich ohnehin nur Arbeitsplätze in der Industrie und Zulieferwirtschaft in einfachen Leistungsstufen an. Deutschland muss daher Industrieland bleiben. Einfache Jobs aber stehen nicht im Zentrum der Politik. Sie hat sich leise auf den Weg gemacht, nur hochqualifizierte und damit letztlich wenige Jobs zu ermöglichen. Das war nicht falsch vor dem Hintergrund einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung. So drängen Energiewende und Umweltauflagen die jobintensive und leider oft „schmutzige“ Wirtschaft außer Landes. Setzt Deutschland die De-Indus­trialisierung fort, kann es nicht einmal mehr die Windkrafträder und Solardächer selbst herstellen, die es für die Energiewende braucht. Aber nicht ein neues Beschäftigungswunder steht im Zentrum der derzeitigen Politik, sondern das Umweltwunder einer gesättigten Gesellschaft.

 

Aber wo sind die Industrien, die Menschen mit niedrigerer Qualifikation Jobs bieten? Es gibt sie nicht, außer vielleicht für Paketboten und in den Lagern der Logistikzentren. Wir brauchen Deregulierung, nur so entstehen Arbeitsplätze, und nicht durch Verbote der Möglichkeiten.

 

Die Politik hat nur formuliert, welche Industrie sie langfristig nicht will. Angesichts von Millionen Zuwanderern folgt auf die De-Industrialisierung ein Verdrängungswettbewerb zwischen gering qualifizierten Einheimischen und Zuwanderern. Dagegen helfen keine Versprechen oder Mindestlöhne, sondern nur eine Neuorientierung. Auch die Industrie ist gefordert: Große Teile der Wirtschaft bejubeln neue Arbeitskräfte, aber es kommen Menschen mit ihren ganz eigenen Voraussetzungen. Dem müssen wir Rechnung tragen; das erfordert ein grundsätzliches Umdenken. Wir brauchen eine zeitgemäße Lösung für die alte Forderung Ludwig Erhards: „Wohlstand für alle.“