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Eine doppelte Transformation

Titelthema - Eine doppelte Transformation
Durch den Umstellungskurs von 1:1 waren die DDR-Betriebe nach der Währungsunion nicht nur gegenüber ihren Wettbewerbern im Westen nicht mehr konkurrenzfähig, sondern auch gegenüber jenen im früheren Ostblock. © fotofinder / Schicker Fotodesign

Die Umwandlung der DDR-Planwirtschaft nach 1989 hatte nicht nur Folgen für Ostdeutschland.

Philipp Ther01.10.2018

Im Ausland wird Deutschland seit einigen Jahren als wirtschaftliches Erfolgsmodell wahrgenommen. Doch wie schnell Aufschwung und Niedergang einander ablösen können, zeigt der Rückblick auf die späten neunziger Jahre. 1999 bezeichnete der Economist Deutschland als „den kranken Mann des Euro“. Damals schien die Bundesrepublik in einem Teufelskreislauf aus geringem Wachstum, steigender Arbeitslosigkeit und Staatsschulden gefangen.

Die damalige Situation war nicht zuletzt eine Folge der wirtschaftspolitischen Entscheidungen des Jahres 1990. Bis vor kurzem wäre diese These auf taube Ohren gestoßen. Doch die Wahlerfolge der AfD in den ostdeutschen Ländern und zuletzt die Geschichte der Treuhand des Bochumer Historikers Marcus Böick haben eine überfällige Debatte über die Fehler bei der Privatisierung ausgelöst. In den neunziger Jahren wurde reflexhaft der bankrotten DDR die Schuld an den damaligen Problemen gegeben. Doch das ist nach der Lektüre des mehr als 700 Seiten langen Buches so nicht mehr möglich. Eine Aufarbeitung dieses Teils der gesamtdeutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte erscheint auch deshalb als ratsam, um neue Ideen dafür zu sammeln, wie der zum Erliegen gekommene Aufholprozess zwischen Ost und West wieder an Fahrt gewinnen könnten.

 

Eine Erweiterung Westdeutschlands

Die Wirtschaftsreformen in den fünf „Neuen Ländern“ – so nannte man sie 1990 ein wenig paternalistisch – zielten auf eine rasche Angleichung an den Westen ab.

Der Ausgang des Kalten Krieges wurde nicht nur in der Bundesrepublik, sondern im gesamten Westen als Bestätigung des eigenen Systems verstanden. „Der Sozialismus hat verloren, der Kapitalismus hat gewonnen“, so schrieb das Magazin The New Yorker Anfang 1989. Bald darauf verabschiedeten der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank und das US-Finanzministerium den „Washington Consensus“. Dieses ökonomische Standard- rezept für Krisenstaaten, den mosaischen Geboten gleich als Dekalog formuliert, war zunächst für die schuldengeplagten Länder Lateinamerikas gedacht, wurde dann aber vor allem im postkommunistischen Europa angewandt. Dort gaben die Chicago School of Economics rund um den Nobelpreisträger Milton Friedman und ihre lokalen Anhänger wie der damalige tschechoslowakische Finanzminister Václav Klaus und sein polnischer Kollege Leszek Balcerowicz den Ton an.

In der Deutschland war die Asymmetrie der Macht zwischen West und Ost jedem Fernsehzuschauer bewusst, der den riesigen, massigen Helmut Kohl neben dem zierlichem, zerbrechlichen Lothar de Maiziere sah, der nach den letzten Volkskammerwahlen vom März 1990 die Verträge zur deutschen Einheit aushandeln musste. Die Art der Wiedervereinigung wurde dadurch festgelegt, dass sie nicht nach dem dafür eigentlich vorgesehenen Paragraphen 146 des Grundgesetzes, sondern nach Paragraph 23 als „Beitritt“ der fünf Neuen Länder vollzogen wurde. Es handelte sich somit um eine Erweiterung Westdeutschlands und nicht um eine Vereinigung zweier gleichberechtigter Staaten.

 

Der Absturz der Ostmark

Bevor die Übermacht des Westens sich politisch manifestierte, zeigte sie sich auf den Finanzmärkten. Im Winter 1989/90 sank der Wechselkurs der Ostmark gegenüber der DM auf 7:1 und zeitweise noch viel niedriger. Im Währungsverfall spiegelten sich die wirtschaftlichen Probleme der DDR und die schlechten Erwartungen bezüglich ihrer Zukunft wider. Die Abwertung war aber schon seit langem in Gang gekommen. Während die DDR in den 1980er Jahren offiziell und beim Zwangsumtausch für Westdeutsche auf der Parität der Ostmark beharrte, halbierte die DDR-Außenhandelsbank den internen Verrechnungskurs zur DM. 1988 betrug der strikt geheim gehaltene Kurs nur noch 4,40 Ostmark für eine DM, weil die DDR ihre Waren nur zu diesem billigen Umtauschkurs absetzen konnte.

Illegale Geldwechsler bezahlten in den Hinterhöfen von Ostberlin oder Leipzig den ungefähr gleichen Kurs, der Schwarzmarkt bildete die ökonomischen Verhältnisse somit weit besser ab als die offiziellen Wechselkurse. Der Verfall der Ostmark nach der Öffnung der Mauer bedeutete, dass die ohnehin niedrigen Gehälter und Löhne in der DDR weiter entwertet wurden. Ähnlich wie in Polen oder Tschechoslowakei konnte schon eine Tankfüllung Benzin oder eine kaputte Waschmaschine die Haushaltskasse einer Familie aus dem Lot bringen. Auch dieser wirtschaftliche Absturz und die allgemeine Verunsicherung erklären, warum der Ruf „Wir sind ein Volk“ im Herbst und Winter 1989/90 immer lauter wurde.

Im Frühjahr 1990 kursierte bereits ein anderer Slogan: „Kommt die DM, bleiben wir, kommt sie nicht, geh´n wir zu ihr!“ Der letzte Halbsatz bezog sich auf die drohende Massenauswanderung wegen der wirtschaftlichen Misere der DDR. Im ostdeutschen Wahlkampf von 1990 bot die CDU einen naheliegenden Ausweg an: eine schnelle Wiedervereinigung und auf dem Weg dorthin die Wirtschafts- und Währungsunion. Die CDU hielt dieses Wahlversprechen, schon am 1. Juli 1990 war die Wohlstandsikone D-Mark auch im Osten das offizielle Zahlungsmittel – was damals in Berlin, Leipzig und anderen Städten mit Freudenfesten gefeiert wurde. Doch wie kam es angesichts der rapiden Abwertung der Ostmark nach dem Mauerfall zum Wechselkurs von 1:1?

Die Bundesbank warnte vor dem ökonomischen Risiko einer zu starken Aufwertung und trat für einen Kurs von 2:1 ein. Vertreter der DDR-Staatsbank argumentierten sogar für einen Kurs von 7:1, weil das der wirtschaftlichen Leistungskraft entsprochen und der ostdeutschen Wirtschaft ermöglicht hätte, mit der westdeutschen Industrie zu konkurrieren. Aber letztlich fällte die Bundesregierung eine politische Entscheidung. Die drohende Massenabwanderung von Ost nach West war das immer wieder bemühte Argument, das die Situation in Deutschland in der Tat von allen anderen postkommunistischen Staaten unterschied.

 

Die Lage in Ostmitteleuropa

Wegen des nationalen Überschwangs und der traditionellen Orientierung der bundesdeutschen Eliten auf den Westen wurde in den internen und öffentlichen Debatten übersehen, was in der unmittelbaren Nachbarschaft geschah. Die Währung der Tschechoslowakei, neben der DDR der wohlhabendste Ostblockstaat, sank im Winter 1989/90 ebenfalls drastisch. Der Kurs fiel auf etwa 15 Kronen für eine DM. Im Unterschied zur Bundesregierung nahm die tschechoslowakische Regierung diese Abwertung hin. Der Finanzminister Václav Klaus wollte ähnlich wie Polen und Ungarn mit einer verbilligten Währung den Export ankurbeln, die sozialistischen Großbetriebe retten und die Arbeitslosigkeit niedrig halten. Diese Strategie funktionierte bis zur tschechischen Bankenkrise von 1996 recht gut. Während die Abwertung die Exporte der Tschechoslowakei etwa um den Faktor drei verbilligten (sofern man den offiziellen Wechselkurs als Ausgangspunkt nimmt), bedeutete die Währungsunion für die ostdeutsche Wirtschaft eine vierfache Verteuerung ihrer Ausfuhren gegenüber dem Verrechnungskurs von 1988. Damit war vorherbestimmt, dass ostdeutsche Produkte – man könnte symbolisch einen PKW der Marke Wartburg herausgreifen – niemals mit einem Škoda oder anderen tschechischen Waren konkurrieren konnten und sich Produktionsverlagerungen in der Industrie meistens über Ostdeutschland hinweg ereignen würden.

Auf die Währungsunion folgte ein zweiter Schock für die ostdeutsche Wirtschaft, die rasche Liberalisierung des Außenhandels. Durch den Beitritt zur Bundesrepublik und zugleich zur EG fielen – wie im Washington Consensus prinzipiell vorgesehen – sämtliche Handelsschranken. Diesem Konkurrenzdruck war die ostdeutsche Wirtschaft nicht gewachsen.

Eine dritte Besonderheit der deutschen Transformation war die radikale Privatisierung, bei der ein grundlegender Marktmechanismus außer Acht gelassen wurde. Zeitweilig unterstanden der Treuhand 12.534 Unternehmen mit mehr als vier Millionen Beschäftigten. Allein bis Ende 1992, also in einem Zeitraum von nur zwei Jahren, wurden mehr als 10.000 Betriebe verkauft. Wenn derart viele Unternehmen auf den Markt geworfen werden, muss deren Preis drastisch sinken. So kam es statt des erwarteten Gewinns von rund 600 Milliarden DM zum Treuhand-Verlust von 270 Milliarden DM, pro DDR-Bürger waren das mehr als 15.000 DM. Ende 1994 verkündete die Bundesregierung mit Stolz die Auflösung der Treuhand, weil die Privatisierung nunmehr abgeschlossen sei. Doch bei den meisten privatisierten Unternehmen wurde die Produktion einfach eingestellt. Wie Böick errechnet hat, blieb in den von der Treuhand verkauften Betrieben nur jeder vierte Arbeitsplatz erhalten. Diesen Strukturbruch haben vor allem Städte mittlerer Größe, deren Wohlstand von wenigen großen Fabriken abhing, bis heute nicht verkraftet.

 

Alternativen zur Schocktherapie?

Diese kritischen Anmerkungen zur deutschen Schocktherapie – die im Unterschied zu Polen nie als solche benannt wurde – legen die Frage nahe, ob es Alternativen dazu gegeben hätte. In den frühen neunziger Jahren wurde das selbstverständlich ausgeschlossen, damals wurden die Reformen in der Regel als „alternativlos“ bezeichnet. Ein realistischer Umrechnungskurs bei der Währungsunion hätte zahlreiche ostdeutsche Wähler enttäuscht und ein noch größeres Gefälle bei den Löhnen, Gehältern und Renten erzeugt. Wären deshalb tatsächlich noch mehr Menschen aus Ost- nach Westdeutschland abgewandert, wie befürchtet? Diese Frage lässt sich ex post nicht mehr beantworten, doch auch so, trotz der sozialen Abfederung der Reformen und der Transferzahlungen von West nach Ost zogen in nur vier Jahren 1,4 Millionen Menschen aus den östlichen in die westlichen Bundesländer. Insofern wurde das weiter gesteckte Ziel der Währungsunion, die Menschen in Ostdeutschland zu halten, nicht erreicht.

Bei der Privatisierung gab es, wenn man über die Bundesrepublik hinausblickt, durchaus Alternativen. So führten zum Beispiel Polen und Tschechien große Unternehmen von strategischer Bedeutung unter staatlicher Regie weiter und verkauften sie erst Ende der neunziger Jahre oder noch später. Dies bedeutete nicht, dass die Unternehmen weiter Verluste machten wie vor 1989, denn sie mussten profitorientiert wirtschaften, was in einigen Fällen auch gelang.

Am ehesten „alternativlos“ war die Liberalisierung des Außenhandels bzw. der Öffnung des ostdeutschen Markts. Eine Verzögerung hätte sich wohl nur im Rahmen eines eigenen Zollgebiets, anderer Einfuhrbeschränkungen oder einer Sonderwirtschaftszone machen lassen. So verfuhr die Volksrepublik China in mehreren Regionen, in der EU wäre dies jedoch schwer durchsetzbar gewesen. Außerdem hätte eine Sonderwirtschaftszone in Ostdeutschland eine härtere ökonomische Konkurrenz für die alten Bundesländer mit sich gebracht – daran gab es ebenfalls kein Interesse.

Hätte man den Verlust der Treuhand in Höhe von 270 Milliarden Euro in die Gründung neuer Unternehmen gesteckt, hätte sich vielleicht ein Aufschwung von unten, aus der Gesellschaft heraus, ergeben. Doch die DDR-Bürger, die den Sprung in die Selbstständigkeit wagten und Arbeitsplätze schufen, schnitten im Vergleich zu anderen Berufsgruppen und zu den neuen Unternehmern in Polen und Tschechien schlecht ab. Die Selbstständigen erlebten relativ häufig einen sozialen Abstieg und im ungünstigen Fall den Bankrott ihrer Betriebe. Die ostdeutsche Berufsgruppe, die am wenigsten Einbußen hinnehmen musste, waren die Staatsdiener – sofern sie nicht wegen einer Stasi- oder SED-Vergangenheit ihren Posten verloren. Aufgrund der Währungsunion und der Ausweitung des Tarifsystems auf die fünf neuen Bundesländer erlebten die Ost-Beamten einen spürbaren Gehaltszuwachs. Das galt erst recht für die vielen Westdeutschen, die mit „Buschzulagen“ in den Osten geschickt wurden. Doch von ihnen abgesehen hatte die Bundesregierung offenbar wenig Visionen, welche gesellschaftlichen Schichten und Eliten Ostdeutschland voranbringen sollten. 

Der Preis für diese Mischung aus nationaler Selbstbezogenheit, Neoliberalismus und fehlenden gesellschaftlichen Visionen war ein präzedenzloser wirtschaftlicher Einbruch. Die ostdeutsche Industrieproduktion sank bis Mitte der 90er Jahre auf 27 Prozent des Niveaus von 1988. Kein anderes postkommunistisches Land, nicht einmal das im Krieg befindliche ehemalige Jugoslawien, erlebte einen derart drastischen Rückgang. Infolgedessen verließen, wie erwähnt, bis 1994 1,4 Millionen Ostdeutsche ihre Heimat. Diese Zahl entsprach ziemlich genau den in der Tschechoslowakei neu gegründeten Unternehmen (die CSSR hatte fast so viele Einwohner wie die DDR, insofern ist sie recht gut vergleichbar).

Der Absturz der ostdeutschen Wirtschaft überforderte den Bundeshaushalt und vor allem die Sozialversicherungen, die für die Millionen Arbeitslosen direkt oder indirekt einstehen mussten. So wurden die Kosten für die Frühverrentungen der Rentenkasse aufgebürdet, die Krankenkassen leisteten ebenfalls hohe Transferzahlungen. Doch die Pazifizierung der ostdeutschen Transformationsverlierer durch Sozialleistungen war auf die Dauer nicht finanzierbar. Die Sozialbeiträge, die Steuern und Staatsschulden stiegen in den neunziger Jahren immer weiter, was schließlich zu Lasten des Wachstums in der gesamten Bundesrepublik ging. Das vereinigte Deutschland hatte sich in eine Sackgasse manövriert, Bundeskanzler Kohl musste sich einen „Reformstau“ vorwerfen lassen, der spätere „Reformkanzler“ Gerhard Schröder gewann die Wahlen von 1998.

 

Nachgeholte Reformen

Die Hartz-Reformen vollzogen dann nach der Jahrtausendwende viele Maßnahmen nach, die andere postkommunistische Staaten Anfang der 1990er Jahre durchgesetzt hatten. Die Sozialleistungen wurden beschränkt, ein Bündel aus Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierungen sollte nach einem kurzfristigen Schock einen langfristigen Aufschwung bringen. Ein Novum der rot-grünen Arbeitsmarkt- und Sozialreformen war, dass sie Westdeutsche genauso hart trafen wie Ostdeutsche, wenngleich letztere wegen der hohen Dauerarbeitslosigkeit mehr unter den Einschnitten litten.

Infolge der Hartz-Reformen stieg die soziale Ungleichheit in Deutschland von einem ursprünglich fast skandinavischen Niveau auf das von anderen postkommunistischen Ländern wie der Slowakei. Das Grundproblem liegt wie in der gesamten EU darin, dass die derzeitige Wirtschaftsordnung vor allem jenen Ländern, Regionen und sozialen Gruppen zu Gute kommt, die bereits gut aufgestellt sind. Dagegen fallen andere Teile Europas und seiner Gesellschaften wirtschaftlich zurück und haben schlechte Zukunftsperspektiven.

Hartz-IV bedeutete in mancher Hinsicht eine Umkehrung der Strategie des Jahres 1990. Während die Währungsunion eine rasche Angleichung an den Westen zum Ziel hatte, brachten Hartz-IV und vor allem der Billiglohnsektor eine Anpassung der Arbeitskosten an die damals in Polen und der Tschechischen Republik gängigen Löhne mit sich. Man kann daher von einer Kotransformation der gesamten Bundesrepublik sprechen.

Insgesamt summierten sich die Nettotransferleistungen in dem Vierteljahrhundert von 1990 bis 2015 auf mindestens 1,5 Billionen Euro (netto bedeutet in diesem Fall, dass die Rückflüsse von Ost nach West bzw. Zahlungen in den gesamtdeutschen Staatsaushalt, z.B. durch Steuern ostdeutscher Bürger, einbezogen sind). In den Spitzenjahren waren es sogar bis zu hundert Milliarden Euro, die für die Modernisierung der Infrastruktur, die erwähnten Privatisierungen und vor allem Sozialleistungen ausgegeben wurden.

 

Eine denkwürdige Bilanz

Trotz dieser Geldflüsse erwirtschafteten die neuen Bundesländer im Jahr 2015 pro Kopf nur gut zwei Drittel des westdeutschen Bruttoinlandsprodukts (diese Angaben beruhen auf kollationierten Wirtschaftsdaten für alle fünf Bundesländer, vgl. dazu die erweiterte Neuauflage meines Buches von 2016). Die Tschechische Republik, die ohne die Unterstützung eines „großen Bruders“ im Westen auskommen musste, hat eine ähnliche Wirtschaftskraft erreicht – ohne die eingangs erwähnten Transferzahlungen.

Die Geschichte Deutschlands nach dem Fall der Mauer ermöglicht also kritische Fragen in verschiedene Richtungen, einerseits gegenüber den neoliberalen Reformrezepten der frühen neunziger Jahre und nach der Jahrtausendwende, andererseits gegenüber der Wirksamkeit staatlicher Entwicklungsprogramme. Unabhängig vom Resultat dieser Debatten kann man heute schon vorwegnehmen, dass die gegenwärtigen wirtschaftlichen und politischen Probleme Ostdeutschlands sich nicht mehr auf die DDR schieben lassen. Man sollte kritisch debattieren, welche langfristigen Folgen die massive gesellschaftliche Verunsicherung durch Massenarbeitslosigkeit, die Abwanderung von Ost nach West und deren Verarbeitung in der gesamtdeutschen Öffentlichkeit ab 1990 hatte.

Philipp Ther
Prof. Dr. Philipp Ther ist Professor für die Geschichte Ostmitteleuropas an der Universität Wien. Zuletzt erschien "Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europa" (Suhrkamp 2016) univie.ac.at

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