Kolumne Peter

Holsteiner Blut in persischen Töpfen

by Peter Peter |
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Rhabarber-Saison – lecker! Das doofe Pelzgefühl am Zahn? Ist doch schnell vorbei …

Rhabarber – bei vielen tauchen da Kindheitserinnerungen an ein Frühlingskompott auf. Eine Schüssel voller säuerlicher zartrosafarbener oder hellgrüner Stückchen, die in Zuckerwasser schwimmen und ein bisschen schleimig schmecken. Und dann war da noch das pelzige Gefühl am Zahnschmelz, das, wie uns heute Wikipedia belehrt, von der Oxalsäure kommt, die in den Stangen des Knöterichgewächses angereichert ist.

Kurzum, eine Speise, die polarisiert und vor allem Kinder abschreckt. Vielleicht liegt hierin auch der Grund, warum dieses saisonale Heimatgericht nur selten in unserer Gastronomie serviert wurde – und nicht nur in der Konkurrenz von Mango und Ananas.

Ich selber bin auf Irland- und Englandreisen erst so richtig auf den Geschmack gekommen. Denn auf den Britischen Inseln gehört „rhubarb crumble“ oder „pie“, übergossen mit flüssiger „clotted cream“, zu den authentischsten kulinarischen Erlebnissen. Das hat Tradition: Im 18. Jahrhundert stellten Gärtner fest, dass Speiserhabarber, dessen gastronomisches und botanisches Zentrum eher in russisch-kaukasisch-iranischen Landen liegt, im milden regnerischen Klima Albions prächtig gedieh. Außerdem erwies er sich mit seiner vitaminreichen Säure als preisgünstiger Ersatz für teure Zitrusfrüchte. So entwickelte sich eine ganze Region um Wakefield in Yorkshire zum „rhubarb triangle“. Der Gärtnertrick, die Stangen die letzten Monate in dunklen Gewächshäusern reifen zu lassen, machte sie zarter, süßer, mehr rosa. Früher brachten sie Sonderzüge bis auf die Märkte von Paris. Heute ist es für Londons Starköche wieder Ehrensache, eine Fülle an „rhubarb“-Rezepten zu präsentieren. Jamie Oliver kontrastiert das süße Gemüse mit Lammsattel oder kombiniert es mit Erdbeeren und Meringue zur klassischen Pavlova. Yotam Ottolenghi, der mit vegetarischen Ideen punktet, zelebriert das Farbenspiel von „baked rhubarb“, der mit Muskatnuss gewürzt zu libanesischem Joghurt-Labneh gereicht wird.

Rhabarber als dezidiert antimediterraner Genuss: Natürlich setzt das Geranium in Kopenhagen, das mit nordischer Kost Furore macht, auf diese Stängel und serviert sie gegrillt zu Bienenwachseis. Im White Rabbit in Moskau, das altslawische Kochtraditionen modern interpretiert und sich damit in die Liga der 20 besten Restaurants der Welt kochte, flambiert Chefkoch Wladimir Muchin Schwanenleberterrine mit Rhabarberschaum und Rjaschenka aus saurer Milch! Klingt exotischer als die elsässische Kombi Foie gras plus „confiture de rhubarbe“.

Leichter nachzukochen dürften Anregungen aus persischen und georgischen Kochtöpfen sein. Etwa scharfsaures Tkemali-Chutney, statt mit Mirabellen mit Rheum rhabarbarum bereitet. Oder iranisches Schmorfleisch mit Zwiebeln und ungesüßtem Rhabarber, der botanisch gesehen ja Gemüse ist. Dazu noch ein Rosenwasser-Rhabarber-Scherbet?

Der Rhabarber-Zwieback-Auflauf, den norddeutsche Hausfrauen in den 1970ern zelebrierten, ist etwas aus der Mode. Dafür ist bei uns Rhabarberschorle als Regio-Alternative zu Fanta und Sprite angesagt. Oder Rhabarberschaumwein statt Prosecco. Das Rhabarber-Revival passt wunderbar zum vegetarischen Zeitgeist der kurzen Lieferwege und zur neuen Heimatküche. Und hausgemachter Rhabarberstreuselkuchen bleibt sowieso ein Dauerbrenner zwischen Nordsee und Alpen. Holsteiner Blut heißt unsere beliebteste rot gefärbte Sorte und belegt, dass Rhabarber, der einst angeblich nach einem antiken Namen der Wolga und westmongolischen „Barbaren“ getauft wurde, längst als einheimische Köstlichkeit gilt.

Peter Peter

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