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Der tolle Pöbel und das Schwert der Tyrannen

Der Bauernkrieg war mehr als der Kampf zwischen Martin Luther und Thomas Müntzer. Und er war mehr, als in den Veranstaltungen zum 500. Jahrestag diskutiert wird.
Im Jahr 2025 gibt es eine unüberschaubare Zahl von Veranstaltungen zum 500. Jahrestag des Bauernkriegs von 1525. Landesausstellungen und ähnliche Veranstaltungen heben darauf ab, die Ereignisse vor 500 Jahren als Vorläufer der heutigen Demokratie darzustellen. Memmingen bezeichnet sich mit Stolz als „Stadt der Freiheitsrechte“ und verleiht in Anlehnung an die „Zwölf Artikel“, eines der zentralen Dokumente von 1525, den „Memminger Freiheitspreis“. Andere Städte und Regionen schließen sich mit ihren eigenen Schriften an, erwähnt seien nur Salzburg mit seinen „24 Artikeln“ oder die „Fürstenpredigt“ Thomas Müntzers.
Allerdings wäre es eindimensional, in didaktischer Reduktion stromlinienförmige Verbindungen zur heutigen Demokratie zu ziehen. Ohne Zweifel hätte ein Sieg der Bauern einen gewaltigen Modernisierungsschub gebracht. Indessen sind Umbrüche wie die von 1525 mit Turbulenzen verbunden, die nicht in das Gesamtbild edler Demokraten passen. Das bezieht sich nicht nur auf die gut erforschte Bluttat von Weinsberg. Hier waren knapp zwei Dutzend Adlige von den Bauern ermordet worden – eine Zahl, die angesichts Zehntausender getöteter Bauern gering erscheint.
Andere Aspekte des Bauernkriegs wurden bislang weithin ignoriert. So spielte Alkohol im Bauernkrieg eine wichtige Rolle. Vielerorts begannen die Aufstände in Wirtschaften, wo man die Zwölf Artikel beriet, und – vom Alkohol beschwingt – zur Tat schritt. Die bäuerlichen Aktionen wurden keineswegs grundsätzlich im Alkoholnebel durchgeführt; politische Forderungen standen stets im Vordergrund. Aber das gemeinsame Trinken war nicht marginal. Nicht selten heißt es, dieser oder jener Akteur sei so „voll gewest“, dass er sich an nichts erinnern könne. Das mag gelegentlich eine Verteidigungsstrategie gewesen sein, um mildernde Umstände zu bekommen. Aber die Beispiele sind so häufig, dass man am alkoholisierten Ablauf mancher Aktion nicht zweifeln kann. So meinte einer der Bauern: „ytzo sein sy in der herschafft vnd musten die hern entlaufen“, sein Kamerad sah das Ziel des Umsturzes eher darin, dass er „wolt och fressen vnd saufen, was da wär“.
Es verwundert angesichts all dessen nicht, dass die Obrigkeiten nach dem Zusammenbruch der bäuerlichen Bewegung entsprechendes „Zutrinken“ verboten. Etlichen „Aufrührern“ wurde auf Lebenszeit untersagt, Wirtschaften zu besuchen.
Ein ständiges Kommen und Gehen
Umbrüche wie 1525 bringen geschäftstüchtige Revolutionäre hervor. Die Bauernhaufen waren organisiert wie Landsknechtshaufen. Beutemachen war für Bauern und Landsknechte legitim. Ein „Beutemeister“ sollte für gerechte Verteilung der Beute aus Klöstern und Burgen sorgen. Das funktionierte nicht immer. So schaffte es ein an der Plünderung des nahe der symbolträchtigen Burg Hohenstaufen gelegenen Klosters Lorch beteiligter Gastwirt, die erbeuteten Bettladen und Tische in seine Wirtschaft abzutransportieren, wo er sie gut brauchen konnte. Die Zwölf Artikel forderten die Gleichheit aller Menschen. Der Fall des Wirts zeigt, dass es in Revolutionen rasch Leute gibt, die gleicher sind als andere und die neue Lage in ihrem Sinne nutzen.
Die Heterogenität der Bauernhaufen wurde lange Zeit wenig beachtet. Neuere Untersuchungen zeigen, dass da ein ständiges Kommen und Gehen war: Aus einem Dorf stießen Bauern dazu, andere zogen wieder ab. Überall wurden die Einwohner aufgefordert, bewaffnet beim nächsten Bauernhaufen zu erscheinen. Wer erscheine, dem gelte brüderliche Liebe, wer aber nicht erscheine, den werde man „dermassen [heim] suchen, das zu besorgen, euch nit wol komen werde“. Entsprechend zogen viele Bauern den Haufen mit gemischten Gefühlen zu. Etliche baten bald um Urlaub, weil man zu Hause den Hof versorgen müsse. Es gibt sogar Fälle, in denen die Bauern drohten, ihre Anführer zu töten, weil man fürchtete, von ihnen in sinnlose Schlachten geführt zu werden.
In einem einzigartigen Fall lässt sich mit Zahlen nachweisen, wie die Stimmung unter den Bauern war: Bei den Bauern, die später den erwähnten Hohenstaufen zerstörten, wurde abgestimmt, ob man künftig moderat oder gewaltsam vorgehen solle. 3432 Gemäßigte standen 1060 Gewaltbereiten gegenüber.
Aufforderungen, die Zwölf Artikel anzuerkennen und der Bewegung beizutreten, gingen nicht nur an die Bauern, sondern auch an Reichsstädte und Adlige. Die Städte verweigerten sich meist. Von den Adligen traten oft kleinere Grafen- oder Freiherrengeschlechter bei, wie die Grafen von Wertheim, von Löwenstein, von Hohenlohe oder die Schenken von Limpurg sowie niederadlige Ritter, am berühmtesten Götz von Berlichingen und Florian Geyer. Hatten die Adligen nach den Weinsberger Vorfällen einfach Angst, genauso massakriert zu werden? Oder hofften sie, in einem revolutionierten Reich an Einfluss zu gewinnen? Die Einzelfälle sind unterschiedlich: Götz gilt als Opportunist, der sich von den Bauern rasch absetzte, als er vor Würzburg deren militärische Unfähigkeit erkannte. Florian Geyer wurde von allen möglichen politischen Systemen als Ausnahmeadliger gesehen, der sich hinter die bäuerlichen Forderungen gestellt habe: Der NS-Staat feierte ihn, eine Division der Waffen-SS trug seinen Namen, und in der DDR war die Menge der Florian-Geyer-Straßen kaum zu zählen. Die neuere Forschung ist bei Geyer zurückhaltender und beurteilt ihn eher als (gescheiterten) Versöhner zwischen den streitenden Parteien.
Jede Schlacht ein Fiasko für die Bauern
Angesichts der Heterogenität der Bauernhaufen war deren militärische Leistungsfähigkeit begrenzt. Die im Rahmen der überall vorhandenen milizartigen Aufgebote unzureichend geübten, schlecht geführten und durch ständige Fluktuation geschwächten Bauernhaufen waren den professionellen Söldnerheeren nie gewachsen. Alle Schlachten endeten mit einem Fiasko für die Bauern. Die Schätzungen gehen – alle Schlachten zusammen – von 50.000 bis 100.000 gefallenen Bauern aus. Dabei ist man allerdings auf die übertreibenden Zahlenangaben der Chroniken angewiesen. Gesamtuntersuchungen fehlen bisher.
Wie war das Vorgehen der siegreichen Herren nach dem Zusammenbruch der bäuerlichen Bewegung? Die Rache der Herren durchlief verschiedene Phasen. Die erste Phase waren die Schlachten selbst mit hohen blutigen Verlusten unter den Bauern. In einer zweiten Phase kam es zu spontanen Vergeltungsaktionen nach den Schlachten: Tatsächliche oder vermeintliche Rädelsführer der Bauern wurden ohne weiteres Prozedere hingerichtet. In einer dritten Phase beauftragten die Sieger die regionalen Herrschaften, die „Anfänger“ der Bauern abzuurteilen. Große Territorialherren übernahmen das auch selbst. Unter den Siegern gab es wahre Bluthunde wie den Bischof von Würzburg, den Markgrafen von Brandenburg-Ansbach und den Herzog von Lothringen, die jeweils zwischen 200 und 300 Aufständische hinrichten ließen. Die Habsburger waren kaum moderater. Im Sundgau und im Breisgau ließen sie etwa 60 Menschen exekutieren. Der Markgraf galt geradezu als sadistisch, weil er zusätzlich auch noch etwa 60 Menschen blenden, also ihnen die Augen ausstechen ließ (was sogar zum Protest seiner obrigkeitstreuen Geistlichen führte, die das als unchristlich kritisierten).
Folter war an der Tagesordnung
Im Südwesten des Reiches dirigierte der Schwäbische Bund diese Aktionen. Die von ihm beauftragten Reichsstädte und kleineren Territorialherren, denen eher an einer Beruhigung der Verhältnisse als an wütenden Rachemaßnahmen lag, mussten dem Bund beweisen, dass sie es ernst mit der Wiederherstellung der alten Ordnung meinten. Mit anderen Worten: Eine gewisse Zahl von „Anfängern“ musste abgeurteilt werden. Teils sind Vernehmungsprotokolle erhalten und geben Einblick in ein grausiges Vorgehen: Folter war an der Tagesordnung, um weitere Erkenntnisse zu erpressen. Meist baten die Opfer um schnelle Enthauptung, um weiterer Marter zu entgehen. Nach damaligen Maßstäben waren das ordnungsgemäße Verfahren mit Vernehmung, Abwägen der Delikte und formellem Urteilsspruch. Die Zahl der Hinrichtungen schwankte: Manchmal war es nur eine einzige, meist weniger als zehn, selten einmal etwa 20. Nicht immer wurde hingerichtet. Häufige Strafen waren das Abhauen der Schwurfinger oder die Brandmarkung, gelegentlich die Ausweisung aus dem Land. Hin und wieder finden sich auch Freisprüche.
In der dritten Phase findet man Leute, die aus nicht erkennbaren Gründen wichtige Fürsprecher hatten, sei es am Hof der Statthalter-Regierung im damals habsburgisch besetzten Stuttgart, sei es der rheinische Kurfürst oder andere Prominente. Sogar einzelne Reichsstädte wachten eifersüchtig darauf, dass ihre Bürger, wenn sie im Gebiet anderer Reichsstädte als Bauernführer aktiv gewesen waren, nicht in deren Hand gerieten, sondern zu Hause Schutz genossen – so Nördlingen, das ein Auslieferungsersuchen von Schwäbisch Hall gegen einen Bauernkanzler ablehnte.
Wer in eine vierte Phase der Abrechnung kam, hatte die besten Chancen: Man konnte vor eines der großen Gerichte ziehen, etwa vor das kaiserliche Hofgericht oder das Reichskammergericht. Dort zogen sich manche Verfahren jahrelang hin wie das des Matern Feuerbacher, des Anführers der württembergischen Bauern. Er kam ungeschoren davon. Viel weniger bedeutende Bauernführer hatten ihre Leben eingebüßt. Manchmal empfahlen die Anwälte nach langem Prozessieren ihren adligen Auftraggebern auch, das Verfahren einzustellen, weil es nur Kosten verursache und nichts dabei herauskomme.
Ohne Schwurfinger zum Schultheiß
Neben harten Urteilen gab es auch mildere. Nicht wenige Herren führten zwar pro forma Verfahren durch, legten auch Wert darauf, dass die eigenen Untertanen erneut huldigten und Treue schworen, verzichteten aber auf Folter und harte Strafen. Es gab stattdessen Geldstrafen, kurze Haft, Verbote, Waffen zu tragen und Gaststätten zu besuchen, oder es wurden Bürgen aufgeboten, die für künftiges Wohlverhalten der Angeklagten geradezustehen hatten. Vollends verdrehten sich die Fronten, wenn auswärtige Herrschaften finanzielle Forderungen gegen die eigenen Untertanen erhoben. Die waren schon schwer belastet durch eine „Schatzung“ des Schwäbischen Bundes, also eine Art Strafsteuer. Dazu kamen noch Schadenersatzforderungen von Geschädigten. All das belastete die Untertanen schwer – und man kann feststellen, dass die eigenen Herren sich oft hartnäckig wehrten, wenn die eigenen Untertanen von auswärts mit solchen Forderungen überzogen wurden.
Vollends in kaum erforschtes Gebiet stößt man vor, wenn man das Schicksal vieler Verurteilter untersucht. Lokalstudien aus dem Elsass und aus BadenWürttemberg bringen erstaunliche Ergebnisse: Man muss nicht nur Feuerbacher nennen, der nach seinem Freispruch ein hohes Amt am badischen Hof in Pforzheim versah. Neben ihm gab es viele bislang Unbekannte: So werden zum Beispiel nach 1525 Bauernführer als Bürger in Straßburg aufgenommen oder erscheinen in verschiedenen Gemeinden wieder als Schultheißen und Inhaber sonstiger Ämter, als ob nichts gewesen wäre. Darunter sind sogar Leute, denen man die Schwurfinger abgeschlagen hatte. Überhaupt betonten verschiedene Herrschaften, ihre Untertanen seien am Bauernkrieg ja kaum beteiligt gewesen, und wenn, dann nur als belanglose Mitläufer. Die wenigen mit mehr Schuld hätten ja längst ihre gerechte Strafe erhalten. Die bösen Ideen seien sowieso von außen gekommen.
Fazit: Wesentliche Themen des Bauernkriegs sind gut erforscht. Seine Ursachen, die Rolle der Religion (Luther gegen Müntzer), der Medien, der programmatischen Schriften, der Verlauf des Krieges, die Gründe für das Scheitern. Daneben sind andere Aspekte kaum Gegenstand des Interesses gewesen. Hier bleibt noch viel zu tun.

Prof. Dr. Gerhard Fritz war von 2002 bis 2020 Professor für Geschichte an der PH Schwäbisch Gmünd. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte und Erforschung von Adel, Klöstern, Städten, Dörfern, Militär, Kriminalität, Sexualität, EgoDokumenten sowie der Wechselwirkung von Wirtschaft, Technik und sozialen Strukturen.
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