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Titelthema

Die Zukunft unserer Kirchen

Titelthema - Die Zukunft unserer Kirchen
Kirche in Maastricht – Das ehemalige Kreuzherrenkloster aus dem 15. Jahrhundert mit angrenzender goti­scher Kirche wurde in ein Fünf-Sterne-Design­hotel umgewandelt. Auf einem Galeriestockwerk im Hauptschiff entstand ein Restaurant auf Höhe der Glasmalereien des ehemaligen Chorraums © Theodor Barth

Eine Gruppe von Architekten und Denkmalschützern fordert, leer stehende Gotteshäuser in staatliche Stiftungen zu überführen. Doch es gibt bessere Lösungen

Catharina Hasenclever01.09.2025

Neulich in Coesfeld: Der Marktplatz ist belebt, zwei große barocke Backsteinkirchen ragen hinter den Obst- und Gemüseständen auf. Eine ist katholisch, eine evangelisch. Viele Menschen kaufen ein, bleiben für einen kurzen Plausch beieinander stehen, andere kreuzen den Platz auf dem Weg zu ihren Terminen irgendwo sonst in der Stadt. Die beiden Kirchen scheinen vor allem als vertraute Kulissen bereitzustehen. Auch zum Sonntagsgottesdienst, so erfahre ich später, sind die riesigen Räume kaum noch zu füllen. In den hinteren Bänken bleiben viele Plätze frei, nur an Weihnachten ist das Haus voll. 

Mein Ziel ist die evangelische Kirche am Markt. Die Tür steht offen, gleich dahinter finde ich eine einladende Sitzecke mit roten Sesseln. Zu meiner Rechten steht ein roter Einbau aus Holz und Glas – mitten im Kirchenschiff. Dieser besondere Raum ist preisgekrönt. Wie der 60 Quadratmeter große Kubus der Kirche zu mehr Lebendigkeit verhilft, möchte ich live erleben. Noch ist es still in der Marktkirche; später, am Abend, ändert sich das schlagartig, denn dann ist Quiz-Time: Munteres Stimmen-Durcheinander, eine Leinwand mit lustigen Fragen und Bildern, Frauen und Männer unterschiedlicher Generationen suchen und finden Antworten, oft unter großem Gelächter. Dahinter, ganz selbstverständlich, der barocke Hochaltar mit dem Auferstandenen. 

Der neue Kubus ist quasi das Gemeindewohnzimmer im Kirchenraum. 50 Menschen haben bequem darin Platz, und das Heizen für einen Abend kostet nur rund zehn Euro statt 300 Euro für die gesamte Kirche. Auch wenn das Gemeindehaus dafür aufgegeben werden musste: Dieser Plan für eine Zukunft mit Kirche und Gemeinde hat offensichtlich hervorragend funktioniert.

Rund 44.000 Kirchen und Kapellen gibt es in Deutschland, gut 20.000 davon gehören zu evangelischen Gemeinden, die meisten stehen unter Denkmalschutz. Die Sachlage ist vielen inzwischen bekannt: Dieser hohen Dichte an Kirchenbauten steht eine geringe Zahl an Gemeindemitgliedern gegenüber  insbesondere in den östlichen Bundesländern. In der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) gibt es schon jetzt mehr Kirchen (rund 4000) als Konfirmanden (etwa 3500). Und die Zahlen der Kirchenmitglieder sind deutschlandweit deutlich rückläufig, das ist ebenfalls kein Geheimnis. Für eine reine gottesdienstliche Nutzung werden also immer weniger Kirchen gebraucht, und immer weniger von ihnen können unterhalten werden. Manch eine Gemeinde hat ihre Kirche sogar schon verkauft. Einige mussten abgerissen werden, andere wurden zu Wohnheimen, Restaurants, oder auch mal zur Kletterhalle. 

Moment mal – die Kirche bleibt nicht im Dorf? Was für eine fatale Entwicklung! Wie geht das weiter, wie gehen wir damit um?

Kirche in Coesfeld Die evangelische Gemeinde gewann den Preis der Kirchenbaustiftung KiBa 2025 mit einem 60 Quadratmeter großen roten Kubus im hinteren Drittel der barocken Hallenkirche, getrennt beheizbar und multifunktional nutzbar
Kirche in Coesfeld – Die evangelische Gemeinde gewann den Preis der Kirchenbaustiftung KiBa 2025 mit einem 60 Quadratmeter großen roten Kubus im hinteren Drittel der barocken Hallenkirche, getrennt beheizbar und multifunktional nutzbar / MARVIN SCHWIENHEER


Seit der Reformation hat es einen solchen Umbruch für die Kirchen nicht mehr gegeben. Wie viele Gebäude können wir in Zukunft noch unterhalten? In den Bauämtern der Landeskirchen wird der Bestand an Kirchen und Kapellen evaluiert und in Kategorien eingeteilt: Ein Teil der Gotteshäuser wird weiter aus Kirchenmitteln finanziert, für andere hat die verfasste Kirche (perspektivisch) kein Geld mehr. Dieser Trend wird sich weiter verschärfen. Betroffen sind insbesondere jene Gebäude, die – wenn überhaupt noch – nur für wenige Gottesdienste im Jahr geöffnet sind, und für die am Ort keine andere Nutzung infrage kommt. In der Hoffnung auf bessere Zeiten werden sie wetterfest gemacht und abgeschlossen. Zwischen gesichertem Erhalt der Kirchen auf der einen Seite und Bauten mit unsicherer Zukunft auf der anderen tut sich ein weites Feld auf. Nach wie vor sind Ideen und Engagement dringend gefragt.

Die beunruhigende Situation hat eine Gruppe von Architekten und Denkmalschützern mit dem Manifest Kirchen sind Gemeingüter aufgegriffen und dem so wichtigen Thema Kirchenerhalt eine große Öffentlichkeit verschafft. Der Text unterstreicht die Bedeutung der historischen Gebäude für unsere Gesellschaft. Noch besser hätte er gewirkt, wenn beim Nachdenken über Kirchen 
auch deren Eigentümer und langjährig verantwortliche Nutzer – die Kirchengemeinden – mit einbezogen worden wären. Deswegen hat es mich sehr irritiert, dass die Kirche hier nur als „Sachverwalter“ des Bestandes an Kirchenbauten bezeichnet wird, den man zu lange irgendwie hat wirtschaften lassen. Die Autoren ignorieren, wie gut sich Kirchengemeinden als rechtmäßige Eigentümer ihrer Bauten seit Jahrhunderten um ihre Kirchen kümmern, sie erhalten und anpassen. Unsere Kirchen in Deutschland sind sprechende Beispiele dafür, um die wir im Ausland nicht selten beneidet werden. Über Generationen hinweg haben sich immer Menschen gefunden, die in tiefer religiöser Verbundenheit oder Verantwortungsgefühl gegenüber der Kirche im Dorf selbst Hand angelegt und Mittel beigesteuert haben, um diesen baulichen und spirituellen Schatz für kommende Generationen zu bewahren.

Die Hauptthese des kritischen Papiers: Kirchen seien „radikal öffentliche Räume. Daher muss ihre Zukunft mit allen Akteurinnen und Akteuren ausgehandelt werden. (…) Als kulturelles Erbe müssen Kirchen und ihre Kunstwerke daher durch verlässliche Öffnungszeiten, durch wissenschaftliche Forschungs- und Vermittlungsprojekte sowie durch eine weitherzige Nutzungsperspektive allen zugänglich gemacht werden.“ Dazu muss ich richtigstellen, dass Kirchen in Deutschland grundsätzlich jedem offen stehen, der sich dort respektvoll verhält und sich nach den „Öffnungszeiten“ richtet, die die jeweilige Kirchengemeinde anbieten kann. Selbstredend waren die Menschen, die die Kirchen einst und heute erbaut haben, Christen und Kirchenmitglieder und nicht in erster Linie „Bürger“. Trotzdem tauschen sich die Gemeindemitglieder längst mit den Menschen in ihrem Umfeld aus über Nutzung und Zukunft ihrer Kirchenräume. Wir brauchen tragfähige Lösungen und erprobte Beispiele, die für alle Beteiligten gewinnbringend sind. 

Gott sei Dank wünschen sich die meisten Menschen – ganz egal, ob gläubig oder nicht, Kirchenmitglied oder nicht –, dass genau „ihre“ Kirche „im Dorf bleibt“. Davon zeugen die zahllosen Baufördervereine gerade im Osten. In fast allen Dörfern engagieren sich Menschen in diesen Vereinen, meist über Jahre hinweg. Überall in Deutschland gibt es Modelle von Umbauten, Ein- und Anbauten, mit denen Gemeinden ihre meist historischen Gebäude an die heutigen Bedürfnisse anpassen. Ideen gibt es viele, das sehen wir von der Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland (Stiftung KiBa) sehr deutlich. Fast immer ist eine gottesdienstliche Nutzung weiterhin parallel gewünscht und möglich. Es ist eine Zeitenwende: Ging es noch vor Jahren beim Thema Kirchenerhalt vor allem um die Ertüchtigung von „Dach und Fach“, liegt der Fokus heute darauf, den Fortbestand unseres Gebäudeschatzes durch eine einladende Haltung und eine breite Nutzung der Kirchenräume zu gewährleisten. Unsere Spenderinnen und Spender haben verstanden, dass ihre Unterstützung inzwischen auch für den Einbau von Teeküchen und sanitären Anlagen eingesetzt wird – ein gutes Nutzungskonzept immer vorausgesetzt.

Für diejenigen Kirchen aber, die nach allen gemeinsamen Überlegungen ohne Nutzungszukunft dastehen, gibt es derzeit noch keine befriedigende Lösung. Die Autorinnen und Autoren des Papiers fordern „eine neue Stiftung oder Stif-
tungslandschaft. Wird das Eigentum an bedrohten Kirchenbauten und ihren 
Ausstattungen durch eine Stiftung übernommen, verringert sich der wirtschaftliche Verwertungsdruck.“ Das klingt vielleicht plausibel, doch allein durch die Gründung einer Auffanggesellschaft wird sich leider kaum für jede aufgegebene Dorfkirche eine Nutzung finden, geschweige denn deren Finanzierung gesichert. Der Ruf nach (öffentlichen) Geldern führt allein nicht zum Ziel. Vielmehr ist hier jede und jeder Einzelne gefragt. Denn so viel ist klar: Wenn wir unser kirchliches Erbe bewahren und die wunderbaren spirituellen Räume auch noch für unsere Kindern erhalten wollen, dann müssen wir alle aktiv werden. Indem wir uns Ideen für Nutzungs- und Finanzierungskonzepte für die Zukunft der Kirchenbauten am Ort einfallen lassen und gemeinsam umsetzen. 
Die Stiftung KiBa fördert das Engagement für evangelische Kirchen seit bald 30 Jahren. Mit der vielfältigen, kreativen und verlässlichen Hilfe zahlreicher Förderer konnte die Stiftung schon mehr als 2000 Bauvorhaben zum Kirchenerhalt unterstützen. Ein starkes Beispiel bürgerschaftlichen Engagements, für das ich sehr dankbar bin und das Mut macht. 

Unsere langjährige Erfahrung zeigt auch: Trotz der Spendenbereitschaft vieler Unterstützer und Förderer im Land geht nichts ohne den Einsatz der Menschen direkt vor Ort, nichts ohne die Dorf- oder Kiezbewohner. „Unter dem eigenen Kirchturm“ müssen die individuellen Lösungen gefunden und Vorhaben mit langem Atem umgesetzt werden. Die Konzepte dafür sind so einzigartig wie die Kirchen und die Gemeinden selbst. 

Wir brauchen gute Kommunikation und Kompromissbereitschaft in Respekt vor dem sakralen Ort und dem Denkmal. Das ist nachhaltig – und dann bleibt mit der Kirche im Dorf vielleicht auch das Dorf in der Kirche.


Stiftung Kirchenbau
Die 1997 gegründete Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland (Stiftung KiBa) ist eine Stiftung der EKD. Über 2000 Förderungen mit einem Volumen von rund 41 Millionen Euro konnten bisher gegeben werden. Daneben leistet die Stiftung wichtige Lobbyarbeit für den Erhalt und die Nutzung von Kirchen deutschlandweit. Unterstützt wird sie dabei von privaten Stiftern und Spendern und von 3400 Fördervereinsmitgliedern.

Catharina Hasenclever
Catharina Hasenclever ist promovierte Kunsthistorikerin und seit 2018 Geschäftsführerin der Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler (Stiftung KiBa). Sie ist immer wieder begeistert von der Vielfalt, den Geschichten und der Anpassungsfähigkeit der Kirchengebäude in Deutschland.