https://rotary.de/gesellschaft/er-war-eine-zierde-von-rotary-a-25371.html
Rotary Aktuell

Er war eine „Zierde“ von Rotary

Rotary Aktuell - Er war eine „Zierde“  von Rotary
Thomas Mann an seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer an der Poschingerstraße in München, Sommer 1930 © Picture Alliance/Keystone

Am 6. Juni vor 150 Jahren wurde der deutsche Schriftsteller und Nobelpreisträger Thomas Mann geboren. Eine Rückschau auf sein Leben und seine Verbindung zu Rotary.

01.06.2025

Am 12. Februar 1942 notierte Thomas Mann in seinem Tagebuch: „… aber ich wurde Ehren-Mitglied“. Eine Woche nach dem Einzug ins neue Haus in Pacific Palisades, im Umzugschaos, war er mit seiner Frau zum Lunch im Rotary Club West-Los Angeles eingeladen. Man hatte beide abgeholt, „viele Vorstellungen, die Mahlzeit, dann Introduktion und mein Vortrag. Das ist abgetan, aber ich wurde Ehrenmitglied.“

Nach einem Besuch des „Ministers“ des Clubs überbrachte ihm der Präsident, Frederick Redman, am 2. April die „Ehrenkarte“. Leider notierte Thomas Mann nicht, ob er diese Geste – fast genau neun Jahre nach seinem Rauswurf in München am 4. April 1933 – als Wiedergutmachung, als Auszeichnung oder als Selbstverständlichkeit ansah. Seine Notiz über diese Wiederaufnahme wirkt beiläufig. Kein Wort auch über Rotary, nachdem er Ende 1941 an der Northwestern University in Evanston einen Vortrag gehalten hat, wo doch Rotary International seine Zentrale hat. Aber wir wissen, dass er gelegentlich den Rotarian las.

Austritt aus Rotary erwogen

Ganz anders, wie ausführlich und häufig Thomas Mann 1933 aufschrieb, wie sich Rotary ihm gegenüber verhielt. Er war am 11. Februar von München zu einer Vortragsreise nach Amsterdam, Brüssel und Paris aufgebrochen und begann am 24. seinen geplanten Winterurlaub in der Schweiz. Die Ereignisse in Deutschland seit der Machtübernahme beunruhigten ihn außerordentlich. Er hatte sich den Hass der Nationalsozialisten zugezogen, Goebbels wollte ihm schon vor Monaten verbieten, sich einen deutschen Schriftsteller zu nennen. Er wollte nicht nach Deutschland zurückkehren, weil seine Verhaftung drohte. Als die Preußische Akademie der Künste Mitte März von ihren Mitgliedern eine uneingeschränkte Loyalitätsverpflichtung zur neuen Regierung verlangte, trat er aus und erwog auch seinen Austritt aus Rotary. Die Gründe dafür bleiben spekulativ, möglicherweise wegen häufiger Abwesenheit, denn tatsächlich hatte er im Clubjahr 1931/32 nur an 13 Meetings teilgenommen, und seit Mitte 1932 finden sich keine Einträge mehr über ihn in den Wochenberichten.

Vor diesem Hintergrund erfuhr er am 6. April in Lugano von seinem Rauswurf bei Rotary und notierte: „Ein neues Zeichen für den Geisteszustand in Deutschland. Sehr unheimlich. Mein Austritt beschlossene Sache.“ Er fragte sich, ob er „auf den Widersinn im Verhalten des Clubs hinweisen“ solle, war aber noch entsetzter, als er zwei Tage später, am 8. April, den Brief mit der „trockenen Mitteilung der Streichung [seines] Namens“ erhielt: „Ihre längere Abwesenheit von München hindert uns, mit Ihnen über Ihre Zugehörigkeit zum hiesigen Club zu sprechen. Sie dürften aber die Entwicklung in Deutschland genügend verfolgt haben, um zu verstehen, dass wir es für unvermeidlich halten, Sie aus unserer Mitgliederliste zu streichen.“

Thomas Mann konnte es kaum glauben: „[Der Brief] kam mir unerwartet. Hätte es nicht gedacht. Erschütterung, Amüsement und Staunen über den Seelenzustand dieser Menschen, die mich, eben noch die ‚Zierde‘ ihrer Vereinigung, ausstoßen, ohne ein Wort des Bedauerns, des Dankes, als sei es ganz selbstverständlich. Wie sieht es aus in diesen Menschen? Wie ist der Beschluß dieser Ausstoßung zustande gekommen?“

Keine zwei Wochen später erfuhr Thomas Mann von der massiven Kampagne gegen ihn im Anschluss an seinen Münchener Vortrag am 10. Februar über Richard Wagner. Er äußerte sich entsetzt über dieses „hundsföttische Dokument“, fühlte einen „Choc von Ekel und Grauen“, war deprimiert von dem „verwilderten und gemeinbedrohlichen Geisteszustand in Deutschland“ und staunte, weil sechs der 44 Unterzeichner des Protestes rotarische Freunde sind. Wieso dieser „lärmende, mit erschreckender Gehässigkeit unternommene Angriff“ gegen ihn, „den Freunde, Rotary-Brüder, Künstler, Kameraden, bis dahin mir scheinbar wohlgesinnte, ja ergebene Menschen gegen mich unternommen“ haben?

Tatsächlich sind bis heute alle Erklärungsversuche für den Hinauswurf von Thomas Mann unbefriedigend geblieben. Einiges deutet auf eine vor allem von Wilhelm Leupold – Direktor der Münchener Zeitung, der eine starke Abneigung gegen den Nobelpreisträger hegte – initiierte „geheim geplante Aktion oder gar Intrige einiger weniger aus dem Kreis des Vorstands oder vorstandsnaher Personen“; mangels Vorstandsprotokollen bleibt die Frage ungeklärt.

Sein Name war in aller Munde

Es war nicht übertrieben, wenn Thomas Mann von sich als der „Zierde“ des RC München schrieb. Er war 1928 eines der Gründungsmitglieder, hatte im März 1929 kurz nach der Charterfeier des Clubs seinen ersten Vortrag anlässlich Lessings 200. Geburtstag gehalten. Sein Name war in aller Munde, die Auflage der 1901 erstmals erschienenen Buddenbrooks inzwischen sechsstellig, und seit spätestens 1927 war er im Gespräch für den Nobelpreis für Literatur. Die Nachricht von der Verleihung erreichte ihn im November 1929, eine Woche später wurde er im Meeting gefeiert, „als unser[en] Freund, auf den wir stolz sind, und den wir mit und ohne Nobelpreis als noblen Geist und noble Seele und wahrhaften Rotarier lieben“. Der Festredner, Emil Preetorius, sprach von „Stolz und Liebe“, mit dem sie als „Rotarier, der engere Freundeskreis“, auf ihn blickten. „Allen Rotariern Münchens“ sei gewissermaßen „zugefallen, was heute Thomas Mann […] zum Weltenehrenbürger des Geistes“ mache. Der Preisträger dankte mit einem Toast „auf unsere Gemeinschaft, […] Welt-Rotary und insbesondere unser[en] Münchner Club“. Das Protokoll notiert, der Beifall sei von einer „auch für den temperamentvollen Münchener Club ungewöhnlichen Stärke“ gewesen.

Die Ehrungen für Thomas Mann strahlten auf ganz Rotary aus: Im Oktober 1929 las man im Rotarier: „Die 150.000 Männer, die über alle Erdteile hin in ‚Rotary‘ vereint sind, dürfen stolz darauf sein, dass dieser Dichter zu ihnen gehört.“ Der RC Stockholm gab einen besonderen Empfang und würdigte seine Werke, die „von rotarischen Gedanken und rotarischer Welt- und Lebensanschauung erfüllt“ seien. Auf der Rückreise folgte ein ähnlicher Empfang beim RC Kopenhagen.

Im September 1930 war Thomas Mann prominenter Redner auf der Rotary-Regionalkonferenz in Den Haag und erhielt dafür „stürmischen Beifall“ seines Clubs. Selbstverständlich berichtete er über all diese Ereignisse auf den Meetings in München, über die meisten Reden und Ereignisse wurde im Rotarier berichtet. In diesem deutschen ebenso wie im amerikanischen Mitgliedermagazin Rotarian erschienen Texte und Reden von ihm. Es gab nur wenige Rotarier, über die so viel und so oft berichtet wurde. Er war eine „Zierde“ von Rotary – und das weltweit.

Deutschlandbesuch nach 16 Jahren

Es ist bezeichnend, dass Thomas Mann seinem ClubLaudator von 1929 nicht verzieh, dass er Rotarier blieb: „Ich stellte ihn [Anfang September 1934] offen wegen seines Nichtaustritts aus dem Rotary Club zur Rede. Seine eigene Gefährdung in jener Zeit, nun ja. Er hat, persönlich, von Hitler den Eindruck eines ordinären und schlechtrassigen, aber ‚guten‘ Menschen, der ‚aus dem Gefühle‘ lebt. Ich danke.“

Nach 16 Jahren, im Juli 1949 bei seinem ersten Deutschlandbesuch, betrat Thomas Mann erstmals wieder das Meeting-Hotel seines Clubs, das Vier Jahreszeiten. Er war überrascht über das luxuriöse Menü und erinnerte gewiss die Meetings, als er selbst dort gefeiert wurde. Aber Kontakte mit Rotary in Deutschland sind nicht bekannt. Bislang fand sich kein Foto, auf dem Thomas Mann ein Rotary-Abzeichen trug.

Hermann Schäfer


 

Hermann Schäfer

Die Rotary Clubs im Nationalsozialismus. Die ausgeschlossenen und diskriminierten Mitglieder. Ein Gedenkbuch

Wallstein Verlag 2024,

892 Seiten, 38 Euro