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„Holt sie euch!“
Die AfD sei im Osten so stark, weil das politische Berlin die Sorgen der Menschen nicht ernst nehme, sagt der Unternehmer Clemens Ritter von Kempski
Herr Ritter von Kempski, nach der Enteignung Ihrer Familie in der DDR erhielten Sie nach der Wende Kaufrechte für Forstflächen im Südharz und realisierten diese bei Stolberg. Als leidenschaftlicher Jäger begannen Sie mit der Vermietung kleiner Jagdhäuser, im Jahr 2003 erwarben Sie aus einer Insolvenz masse ein Hotel, das zu DDR-Zeiten ein Kinderferienlager war, und begannen, dieses zu sanieren. Was war Ihr Antrieb?
Der Antrieb war der Wunsch, wieder eigenen Grund und Boden unter die Füße zu bekommen, weil beide Elternteile ihre Besitzungen in Schlesien und Ungarn verloren hatten. Ich hatte schon mehrmals versucht, in Ostdeutschland Forstflächen zu kaufen, aber erst bei dieser großen Ausschreibung hat es im Jahr 1994 geklappt.
Sie sind Düsseldorfer, Ihre Frau ist Hamburgerin. Warum Sachsen-Anhalt?
Das hat etwas mit Wurzelfindung zu tun. Zunächst sind wir gependelt, aber schon bald haben wir unsere Zelte in Düsseldorf abgebrochen, weil wir uns hier so wohlgefühlt haben. Bei Ihrer Vita hätten Sie eine erfolgreiche medizinische Laufbahn in den USA oder in Großbritannien einschlagen können. Aber Sie wurden Hotelier im Südharz. Warum? Es kommt ja darauf an, was man möchte. Ich habe nach Chancen gesucht und sie hier im Südharz gefunden. Hier gab es nicht nur Forstflächen, sondern auch das großartige Umfeld für meine Familie. Ich war ja auch mal in Fürth und München, aber so etwas wie hier hätte ich dort ebenso wenig gefunden wie in Düsseldorf.
Kommen wir einmal zur Gegenwart und blicken auf die politische Deutschlandkarte: Da sieht es so aus, als würde das Land mehr als drei Jahrzehnte nach der Einheit exakt entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze wieder auseinanderbrechen. Was macht das mit Ihnen?
Sie haben recht, dass es drei Jahrzehnte nach der Einheit nach wie vor themenbezogene Ost-West-Unterschiede gibt. Wir sollten aber endlich damit aufhören, auf politischer Ebene von Ost und West zu sprechen. Zu Zeiten der Teilung war das gut und sinnvoll, aber das ist überholt, das tut uns allen nicht gut. Wir sollten diese Begriffe nur noch zur geografischen Verortung nutzen, so wie wir Nord-, Mittel- und Süddeutschland sagen.
Sie meinen, wenn ich Sie frage, ob Sie West- oder Ostdeutscher sind, sagen Sie …
… Deutscher. Einfach nur Deutscher, geboren in Düsseldorf und lebe in Stolberg. Schauen Sie auf die Regionen und die bemerkenswerte Volkspluralität. Allein die vielen Dialekte. Ein Oberfranke ist kein Ostfriese, und ein Sachse aus der Lausitz ist kein Uckermärker. Diese Pluralität auch der neuen Bundesländer ist gewaltig und bietet für unser Land eine besondere Chance. Es gibt sie eben nicht mehr – den Westdeutschen und den Ostdeutschen. Das ist platt und unterkomplex. Die Wahrheit ist vielfältiger.
Ihre Belegschaft kommt aus der Region, Sie engagieren sich im Gemeinderat und sind gut vernetzt. Sind die Menschen in Sachsen-Anhalt wirklich zu einem guten Teil politisch rechts oder rechtsextremistisch eingestellt?
In meinem Landkreis Mansfeld-Südharz, den ich wirklich beurteilen kann, haben bei der Europawahl 36 Prozent AfD gewählt, aber die sind noch lange nicht rechtsextrem, das ist doch Blödsinn. Genau wie Cornberg in Hessen, wo 30 Prozent AfD gewählt haben. Die tragen doch auch keine braunen Stiefel! Die Menschen hier haben ein sehr gutes Gefühl für Gerechtigkeit, Ungerechtigkeit und dafür, was für ihre Region gut ist. Und die Parteien der demokratischen Mitte haben eben keine glaubhaften Antworten gefunden auf die Sorgen der Menschen und dadurch das Vertrauen der Wähler verloren.
Aber warum wählen sie dann AfD?
In meinem Bundesland protestiert man, historisch bedingt, anders als im Rheinland. Diese andere Denke hat übrigens dazu geführt, dass es hier im Osten eine Revolution gab, die zu einem der erfolgreichsten Vorbilder jüngster deutscher Geschichte geworden ist. Und auf einmal soll diese Art der Lebenseinstellung falsch sein? Nein, diesen Opportunismus kann ich nicht teilen!
SPD-Chefin Saskia Esken sagte nach der Europawahl sinngemäß, ihre Partei habe keine Fehler gemacht. Also offenbar muss man den Menschen im Osten nur etwas deutlicher die Demokratie erklären.
Das ist eine so bodenlose Frechheit! Der Wahlerfolg der AfD ist eine klare Warnung an die derzeitige Regierung, aber auch Ausdruck der Enttäuschung über die vorherige Regierung. Die eigenen Karriereambitionen und die Selbstbeschäftigung vieler Politiker innerhalb eines dekadent erscheinenden Machtapparates im politischen Berlin haben zu einer gefährlichen Entfremdung vom Wähler geführt. Vor 35 Jahren hat dies übrigens zum Sturz des Berliner SEDRegimes beigetragen.
Ist das nicht zu leicht, den Aufstieg der AfD nur auf die Fehler der Ampel zurückzuführen?
Klar, auch die Landesregierungen müssen sich angesprochen fühlen. Aber zum Beispiel ist unser Ministerpräsident Reiner Haseloff ein Fels in der Brandung, weil er hochauthentisch dicht bei den Menschen steht – und hat bei der Landtagswahl 37 Prozent bekommen. Wir werden die Entwicklung einer AfD doch nicht kleinkriegen, indem wir versuchen, sie zu verbieten. Wir müssen die Menschen und ihre Sorgen ernst nehmen und ihnen echte Lösungen anbieten.
Welches sind denn die Sorgen der AfD-Wähler in Sachsen-Anhalt?
Schauen Sie einmal zehn Jahre zurück: Pegida wurde abgetan als Aufmarsch von Neonazis in Dresden. Dabei haben auch ganz normale Bürger ihre Sorgen vorgetragen und gegen eine zu wenig kontrollierte Zuwanderung demonstriert. Merkels Migrationspolitik war sicher gut gemeint, aber schlecht gemacht. Heute erleben die Menschen, dass sie sich in manchen Regionen am Abend nicht mehr sicher durch ihre Städte und Dörfer bewegen können. Ich sage nicht, dass das alles wahr ist, aber die Sorgen der Menschen sind real. Im Rheinland protestieren die Menschen anders, hier wählen einige halt die AfD. Aber darum sind sie noch lange nicht rechts oder sogar rechtsradikal.
Bei Pegida sind schon Rechtsradikale mitmarschiert, und Sie werden doch nicht leugnen wollen, dass auch ein Teil der heutigen AfDWähler dem rechten Lager zuzuordnen ist.
Es ist ein trauriger Fakt, dass es gesichert rechtsextremistische Gruppierungen um Björn Höcke gibt – so wie auch in anderen AfD-Verbänden. Aber wenn NRW drei Prozent Radikale hätte und Thüringen sechs Prozent, dann ist das zwar doppelt so viel, aber weiterhin weit weg von einer Mehrheit. Das heißt doch andersherum, dass der weitaus größte Teil der jetzt wählenden Menschen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg in der Mitte der Gesellschaft lebt und denkt. Und ich kann den demokratischen Parteien nur zurufen: Holt sie euch!
Wie blicken Sie denn auf die bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg?
Wenn ich Saskia Esken und Olaf Scholz zuhöre, nehme ich nach wie vor kein Gespür für die Menschen aus meinem Umfeld wahr. Die Parteien werden die Quittung dafür kriegen. Und wenn die AfD weitere Zuläufe erhält, werden wir sehen, welche Brandmauern es wirklich geben kann. Wenige Wochen vor den Landtagswahlen stellt Bundeskanzler Scholz sich hin und sendet die Botschaft aus, es ist doch eigentlich alles gut, wir brauchen nur Geduld. Im Ernst: Hat der irgendwas mitbekommen?
Ich verstehe, dass Sie dieses Thema so emotionalisiert, Sie leben und wirken ja schließlich genau an der ehemaligen Grenze …
Das Bild, das vom politischen Osten gezeichnet wird, ist falsch. Schlichtweg falsch! Man heftet uns hier ein Image an, das einfach nicht stimmt. Ich bin Touristiker und liebe es, Menschen aus ganz Deutschland und Europa in unserer Region zu begrüßen. Jeder, der zu uns kommt, egal von woher, wird feststellen, dass er hier herzlich willkommen ist. Jeder wird freundliche, offene Menschen kennenlernen, obwohl wir 36 Prozent AfD-Wähler haben. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Natürlich können wir einen Teil der AfD-Wähler vergessen, aber der Großteil könnte durch eine bessere Politik der demokratischen Parteien zurückgewonnen werden – da bin ich mir ganz sicher.
Wenn Sie mir die Bemerkung gestatten: Für mich verkörpern Sie ein altes, konservatives Bürgertum, das sich an traditionellen Werten orientiert.
Ja. Und? Ich habe mal den Versuch gemacht und den Wahl-O-Mat zur Europawahl bedient. Wenn man für gewisse traditionelle Werte steht, landet man da ganz schnell bei einer AfD-Übereinstimmung von 70 Prozent. Übrigens: Haben Sie gesehen, wie viele Jungwähler zur AfD gegangen sind? Das hat doch nichts damit zu tun, dass die rechtsextrem sind. Die wurden einfach auf Tiktok clever angesprochen. Also: Wahl-O-Mat-Gewinner und beliebt bei der Jugend. Wenn die dann noch ihr Nazi-Image in den Griff bekommen: Wird die AfD die führende Volkspartei im gesamten, wiedervereinten Deutschland?
Das Gespräch führte Björn Lange.
Zur Person:
Dr. Clemens Ritter von Kempski studierte Medizin an der Universität Wien, der Harvard Medical School in Boston und am King’s College in London. Kempski wurde an der Uniklinik Zürich internistisch ausgebildet und wechselte in die Chirurgie ans „Groote Schuur“ an der Universität von Kapstadt. Seit 2003 betreibt er die Ritter von Kempski Privathotels, das Wellnesshotel Natur resort & Spa Schindelbruch und das Hotel & Spa Suiten Freiwerk.