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Rotary Aktuell

Streitpunkt Istanbul

Rotary Aktuell - Streitpunkt Istanbul
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Rotary International eröffnet ein neues Friedenszentrum an der Bahçesehir-Universität in Istanbul. Vom 20. bis 22. Februar wird das siebte Rotary Peace Center feierlich eingeweiht, doch es gibt Kritik an der Wahl des Standorts. Ein Pro und Contra.

01.02.2025

Rotary International bietet aufstrebenden Führungskräften im Bereich Frieden und Entwicklung aus aller Welt die Möglichkeit, in seinen Friedenszentren zu lernen und zu wachsen. Die Zentren befinden sich an Universitäten mit etablierten Studiengängen in den Bereichen Friedensforschung, Konfliktlösung und internationale Entwicklung. Im Februar 2021 nahmen die Trustees der Rotary Foundation eine rekordverdächtige Spendenzusage der Otto and Fran Walter Foundation in Höhe von 15,5 Millionen Dollar zur Gründung eines neuen Friedenszentrums an. Die Bedingung war jedoch, dass es in der Region Naher Osten/Nordafrika entstehen müsse. Die Rotary Foundation argumentiert, dass sie dadurch ihr langjähriges Ziel, das Programm der Rotary Peace Centers auf wichtige geografische Regionen auszuweiten, weiter vorantreiben kann. 


PRO

Die Initiative „Musik für den Frieden“ hat in den letzten Jahren mit dem Rotary Peace Committee des Distrikts 2440 (Südwesten der Türkei) erfolgreiche internationale Projekte verwirklicht. Rotary Türkei ist intensiv in der Friedensarbeit tätig. So organisieren Rotarier zum Beispiel Peace Conferences für junge Menschen aus aller Welt mit interessanten diplomatischen Rollenspielen. Rotary setzt sich ebenso tatkräftig für die Unterstützung von Geflüchteten ein. In der Türkei haben unsere rotarischen Freunde aufgrund der politischen Situation große Herausforderungen zu bewältigen, wie wir sie hier in Deutschland nicht kennen. Umso wichtiger sind die Wertschätzung und das Vertrauen in unsere Freunde dort. Dank ihrer Erfahrung in der Friedensarbeit sind sie prädestiniert für die Auswahl und Betreuung der Stipendiaten für das neue Peace Center. Mit dem Peace Center in Istanbul setzt Rotary ein wichtiges Zeichen für den Frieden im Nahen Osten und in Nordafrika. Engagement zeigt seine wahre Wirkung dort, wo es nicht nur darum geht, kleine Steine aus dem Weg zu räumen, sondern große Hindernisse zu überwinden.


CONTRA

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Jörg Kutzim,RC Hamburg-Haake, District Governor 1890 © Privat

Die Einrichtung eines Rotary Peace Centers in der Türkei mag auf den ersten Blick vielversprechend erscheinen: Die strategische Lage zwischen Europa und Asien, die kulturelle Vielfalt und die Möglichkeit, ein Symbol für Dialog und Zusammenarbeit zu schaffen, sind überzeugende Argumente. Doch in der Praxis überwiegen meine Bedenken. Ein Umfeld, in welchem der Präsident antidemokratische Mittel nutzt, um unbequeme Mitmenschen und Bevölkerungsgruppen mundtot zu machen, und in dem die Presse- und Meinungsfreiheit massiv einschränkt sind, bietet keine gute Grundlage für die Neutralität und Wirksamkeit eines Peace Centers. Freie Meinungsäußerung und offene Debatten sind in der Türkei bei der derzeitigen Machtkonstellation nicht gewünscht. Ein Friedenszentrum verdient ein Umfeld, das auf Transparenz, Freiheit und gegenseitigem Respekt basiert. Solange diese Grundlagen in der Türkei fehlen, halte ich die Einrich- tung eines Friedenszentrums dort für nicht sinnvoll.


PRO

Die Türkei ist eine Brücke zwischen Kulturen und spielt als demokratisches, säkulares Land eine wichtige Rolle im Nahen Osten. Obwohl die Türkei von ihren westlichen Verbündeten in vielen Fragen und außenpolitischen Entscheidungen kritisiert wird, übernimmt sie bei ihren Bemühungen um die Sicherung des Weltfriedens auch international anerkannte Vermittlungsleistungen. Bei Konferenzen im Frühjahr 2022 in Antalya und Istanbul brachte die Türkei die Parteien des Russland-Ukraine-Krieges an einen Tisch. Darüber hinaus führte sie auch erfolgreiche Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine über den Getreidekorridor, der für die Gewährleistung der Ernährungssicherheit der ganzen Welt wichtig ist. Auch durch die Vermittlungen zwischen Somalia und Äthiopien über die Beendigung eines Territorialstreits stellt die Türkei ihre Bedeutung als Friedensstifterin unter Beweis. Ihre diplomatischen Bemühungen, gepaart mit humanitärem Engagement in der Flüchtlingsfrage, machen Istanbul zum idealen Standort für das Rotary Peace Center.


 CONTRA

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Armin Staigis, RC Chemnitz-Schlossberg, Past District Governor 1880, Gesamtkoordinator DGR Task-Force Ukraine-Hilfe © Kathrin Hoyer

Für mich widerspricht eine „Friedenskonferenz“ und die Einrichtung eines Peace Centers in Istanbul dem rotarischen Wertekanon. In der Türkei werden die Menschenrechte missachtet, Andersdenkende eingekerkert, in Nachbarstaaten völkerrechtswidrige Kriege geführt, die Terrorregime der Hamas und Hisbollah und der russische Angriffskrieg in der Ukraine unterstützt. Wir dürfen diesem autokratischen Regime keine rotarische Bühne bieten! Und glaubt jemand bei Rotary International, dass in der Türkei die Lehr-, Rede- und Forschungsfreiheit gewährleistet wird? Wir sollten unseren Friedensstipendiaten nicht zumuten, in diesem Land zu studieren. Daher lehne ich dieses Vorhaben entschieden ab und werde nicht an der Konferenz teilnehmen, auch zu meiner eigenen Sicherheit. Aber wir müssen den Menschen in der Türkei helfen, so wie wir es nach der Erdbebenkatastrophe getan haben und weiterhin tun.