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Vom Klostersturm zum Tod in der Schlacht

Der Bauernkrieg erwuchs aus dem Schwung der evangelischen Botschaft. Doch was genau löste den Flächenbrand vor 500 Jahren aus?
Der Bauernkrieg gilt als größter Massenaufstand in der deutschen Geschichte vor dem 19. Jahrhundert, vielleicht handelt es sich sogar um die größte europäische Erhebung vor der Französischen Revolution überhaupt. Auf seinem Höhepunkt im Frühjahr 1525 erfasste der Bauernkrieg große Teile des Heiligen Römischen Reiches südlich einer Linie, die vom Pfälzerwald im Westen über die Rhön bis ins Thüringer Becken und zum Harz im Osten reicht. Weitgehend ausgespart blieb Altbayern. Im Mai wurden indes auch große Gebiete in den Alpen, vor allem in der Grafschaft Tirol und im Salzburger Land, von Unruhen erschüttert. An vielen Orten strömte binnen Kurzem eine große Zahl von bewaffneten Männern zusammen und organisierte sich in „Bauernhaufen“. Sie wollten drohende Angriffe der Feudalherren abwehren, starteten aber auch ihrerseits Offensiven, um umliegende Gemeinden zum Anschluss zu zwingen und um die Fürsten und Adligen zu Zugeständnissen zu nötigen. Ihre spektakulären Züge gipfelten regelmäßig in der Erstürmung von Burgen und vor allem von Hunderten von Klöstern, die geplündert und angezündet wurden.
Wie ein Flächenbrand oder eine ansteckende Krankheit, so sahen es zeitgenössische Chronisten, hatte sich der Aufstand verbreitet. Und tatsächlich lässt sich grob eine Dynamik nachzeichnen, die ihren Ausgangspunkt bereits im Sommer 1524 westlich des Bodensees, am Hochrhein und im Schwarzwald genommen hatte. Hier hatten die ersten Proteste in Gebieten kleinerer Grafen und geistlicher Herrschaften ihren Ursprung, deren Untertanen zunehmend gemeinsam zu verhandeln und zu agieren suchten.
Es regierte die nackte Gewalt

Anfang 1525 sprang der Aufstandsfunke dann nach Oberschwaben über. Hier versammelten sich in den ersten Märztagen die Vertreter dreier großer Bauernhaufen in Memmingen, um eine gemeinsame „Bundesordnung“ zu verabschieden; dort in der Reichsstadt entstanden auch die berühmten „Zwölf Artikel“, eigentlich ein Kondensat örtlicher Beschwerden, die aber in der redaktionellen Bearbeitung des Kürschnergesellen Sebastian Lotzer schnell gedruckt wurden. Sie sollten zur erfolgreichsten Druckschrift der Frühreformation avancieren und wurden von allen Seiten als das Programm der Aufständischen interpretiert. Ende März weitete sich die Rebellion auf Franken aus, in der Karund Osterwoche dann erfasste sie weitere Gebiete vom Elsass und der Pfalz im Westen bis nach Thüringen. Zu einer wirklichen überregionalen Koordination allerdings fand die Massenbewegung nicht, auch wenn die jeweiligen Bauernhaufen nicht selten versuchten, per Boten mit ihren weiter entfernten Gesinnungsgenossen Kontakt aufzunehmen. So gelang es den gegnerischen Fürstenheeren nach einigen Anlaufschwierigkeiten, die jeweiligen Bauernverbände in einer Serie von Schlachten einen nach dem anderen zu besiegen, angefangen bereits Anfang April in Leipheim bei Ulm.
Mitte Mai kam es binnen Tagen zu blutigen Niederlagen der Bauern im württembergischen Böblingen, im elsässischen Zabern und im thüringischen Frankenhausen. Mit der Niederlage der fränkischen und der pfälzischen Bauernhaufen bei Königshofen und Giebelstadt beziehungsweise bei Pfeddersheim im Juni wurde der Sieg der Feudalherren besiegelt, auch wenn sich die endgültige Niederschlagung der Bauern noch bis zum Jahresende hinzog. Vereinzelt kam es zu vertraglichen Regelungen zwischen den Herrschenden und den Beherrschten, aber meist regierte die nackte Gewalt. Zehntausende hatten in den Kämpfen ihr Leben verloren, weitere Tausende wurden hinterher als Rädelsführer mit dem Tode bestraft oder in die Verbannung getrieben. Auf lange Sicht mundtot gemacht wurden die Bauern dadurch aber nicht: Wenn sie ihre Interessen nicht vor Gericht durchsetzen konnten (was ihnen prinzipiell möglich war), kam es auch in den folgenden Jahrhunderten zu größeren und kleineren Rebellionen – nur eben nicht mehr zu solch einem übergreifenden Massenaufstand wie 1525.
Umso brennender ist die Frage, was ausgerechnet 1525 diesen außerordentlichen Flächenbrand verursachte. Naheliegend ist die Vermutung, dass die feudale Unterdrückung für die einfache Bevölkerung so groß geworden war, dass ihnen kein anderer Ausweg als die Rebellion blieb. Und wirklich wandten sich die Aufständischen in den Zwölf Artikeln entschieden gegen vielfältige Bedrückungen. Sie forderten die Abschaffung der Leibeigenschaft, die Reduzierung von Geldabgaben und Frondiensten sowie den freien Zugang zu den natürlichen Ressourcen, zu Wald und Wiesen, zu jagbarem Wild und zur Fischerei. Nun war die feudale Ordnung seit je konfliktträchtig: Der Bauer bewirtschaftete Land, das ihm in der Regel nicht gehörte, sondern ihm vom (adligen, geistlichen oder manchmal auch bürgerlichen) Grundherrn „geliehen“ wurde und für das er diesem Herren Dienste und Abgaben schuldig war. Handelte es sich um einen Leibeigenen, so hatte er noch nicht einmal über seinen eigenen Körper die vollkommen freie Verfügung; er musste den Leibherrn um Erlaubnis fragen, um zu heiraten, schuldete ihm überdies weitere Abgaben und sogar einen Teil seines Erbes. Hinzu kamen nun stärkere Steuerbelastungen und Reglementierungen durch die Landesherren, die ihre Territorien schrittweise zu frühmodernen Staaten zu transformieren trachteten.
Die Freiheitsrhetorik der Zwölf Artikel
Tendenziell hatten die Belastungen für die Bauern in den letzten Jahrzehnten zugenommen, vor allem weil steigende Bevölkerungszahlen die Konkurrenz um die natürlichen Ressourcen verstärkt hatte. Dennoch greift ein einfaches Reiz-Reaktions-Muster, wonach eine Häufung von krisenhaften Erscheinungen gleichsam automatisch zur Entladung in der Rebellion geführt habe, aus mindestens zwei Gründen zu kurz. Zum einen lässt sich gerade im Vorfeld von 1525 kaum davon sprechen, dass die einfachen Menschen besonders belastet gewesen wären. Zum anderen war die sozioökonomische Lage in den einzelnen Aufstandsgebieten sehr unterschiedlich. So konnte die Leibeigenschaft tatsächlich außerordentlich brutale Erscheinungsformen annehmen, wie es die Menschen im Hochstift Kempten beklagten. Andernorts wie in Franken war sie faktisch weniger bedrückend, und in Thüringen existierte sie so gut wie nicht mehr. Trotzdem fühlten sich die Menschen auch dort von der Freiheitsrhetorik der Zwölf Artikel angesprochen.
Das führt zur wichtigsten Gemeinsamkeit des Massenaufstandes, zur Reformation. Der Bauernkrieg erwuchs aus dem Schwung der evangelischen Botschaft, wie sie auch in den Zwölf Artikeln ihren Niederschlag gefunden hat. Programmatisch steht dort die Forderung nach spiritueller Selbstbestimmung am Anfang, konkret das Recht auf Wahl und gegebenenfalls Abwahl des Pfarrers durch die Gemeinde sowie auf die ordnungsgemäße Verwendung des Kirchenzehnten für die Predigt und Seelsorge. Im Evangelium fanden die Aufständischen die Rechtfertigung für ihre zahlreichen, im Einzelnen sehr heterogenen Forderungen; im Evangelium wurzelte ihr Verständnis von der Brüderlichkeit aller Menschen, die sie gegen willkürliche Behandlung und allzu große ständische Ungleichheit zu Felde ziehen ließ; und das Evangelium überbrückte partiell auch die Gegensätze zwischen Stadt und Land, zwischen Bürgern und Bauern, die sich zum Teil zusammenfanden, kaum aber je stabile Aktionsgemeinschaften schlossen.
Mit den Fürsten, nicht gegen sie
Martin Luther war bekanntlich von der Interpretation seiner Botschaft durch die Aufständischen äußerst erbost: Er wollte seine Flugschrift Von der Freiheit eines Christenmenschen nur geistlich und keinesfalls „fleischlich“, also materiell verstanden wissen. Immer wieder hämmerte er den Bauern ein, dass Gehorsam gegenüber der weltlichen Obrigkeit oberste Christenpflicht sei, während er diese Obrigkeiten in harschen Worten aufforderte, die (angeblich) „mörderischen“ Bauernrotten mit dem Flammenschwert zu vernichten. Veränderungen der weltlichen Ordnung, so wünschenswert sie auch sein mochten, wollte der Wittenberger Reformator nur mit den Fürsten durchsetzen, nicht gegen sie.
Natürlich darf diese Rhetorik nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bauern das umsetzen wollten, was Luther vorgedacht hatte, freilich in für ihn unerwünschter Radikalität. Seine Heilslehre hatte den Klerus seiner herkömmlichen Rolle beraubt, als Türwächter der ewigen Seligkeit für jeden einzelnen Christenmenschen zu fungieren. Im reformatorischen Rahmen gab es keinen Platz mehr für jene Personen und Institutionen, gegen die die Aufständischen mit besonderer Verve zu Felde zogen, für die Mönche und Nonnen, für die Klöster und Stifte, die oft nicht nur selbst feudale Herrschaft über die Bauern ausübten, sondern als Fürstbischöfe und Fürstäbte sogar oft die gesamte weltliche Obrigkeit innehatten. In den Hunderten von Klosterstürmen manifestierte sich der Hass der aufständischen Bauern gegen dieses – aus ihrer Sicht parasitäre – Lebensmodell.
Eine Säkularisationsbewegung
Das Leerräumen der klösterlichen Vorratskeller und Fischteiche diente nicht nur der Versorgung der umherziehenden Bauernhaufen, sondern stellte auch eine symbolische Entmachtung dieses „überflüssigen“ Standes dar. So war der Bauernkrieg im Kern eine antiklerikale, präziser: antimonastische Bewegung. In den geistlichen Herrschaften an Rhein, Werra und Main gingen die Aufständischen gegen die Prälaten vor. Häufig boten sie ihnen an, als weltliche Dynasten, unbeschwert von der Kontrolle durch ein Domkapitel, die Erbherrschaft zu übernehmen, ganz wie es in diesen Monaten der Hohenzoller Albrecht (unter Beratung Luthers!) in Preußen vormachte, als er das Deutschordensgebiet als Erbherzog dem König von Polen zu Lehen auftrug. Insofern war der Bauernkrieg nicht zuletzt eine große Säkularisationsbewegung, und das knapp 300 Jahre bevor im napoleonischen Zeitalter die geistlichen Territorien von der Landkarte verschwanden. Deswegen waren die Klosterstürme, die im Wesentlichen ohne größere Personenschäden abliefen, insgesamt wesentlich typischer für den Aufstand als die berühmtberüchtigte, aber vollkommen untypische „Bluttat“ von Weinsberg, bei der eine adlige Besatzung durch einen Bauernhaufen massakriert wurde.
Lange Zeit prägte dennoch das dunkle Bild von den „tyrannischen“ Bauern die kollektive Erinnerung an den Aufstand. Spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts schlug die Verdammung dann in Bewunderung, ja Heroisierung um. Die totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts instrumentalisierten den Bauernkrieg dann für ihre eigenen geschichtspolitischen Zwecke: Sowohl im Nationalsozialismus als auch in der DDR wurde proklamiert, dass in der jeweils neuen Gesellschaftsordnung endgültig auch die Bauern den Platz einnehmen könnten, den sie bereits damals erkämpfen wollten. Zum Jubiläum, 500 Jahre danach, sind wir dazu aufgerufen, jenseits von Verdammung und ideologischer Überhöhung auch die komplexen Zwischentöne deutlicher zu sehen als bisher.
Ausstellungen:
Memmingen
Projekt Freiheit – Memmingen 1525
Dietrich-Bonhoeffer-Haus
16. März bis 19. Oktober
hdbg.de
Stuttgart
500 Jahre Bauernkrieg
Landesmuseum Württemberg
Mehrere Ausstellungen bis Oktober 2025
landesmuseumstuttgart.de
Thüringen
Freiheyt 1525: 500 Jahre Bauernkrieg
Mühlhausen: 26. April bis 19. Oktober (Müntzergedenkstätte und Bauernkriegsmuseum Kornmarktkirche) Bad Frankenhausen: 10. Mai bis 17. August (Panorama Museum)
Salzburg
Heroisch und verklärt – Der Bauernkrieg im Spiegel von Kunst und Diktatur
Dom-Quartier, Nordoratorium
8. November 2025 bis 27. April 2026

Gerd Schwerhoff
Der Bauernkrieg: Geschichte einer wilden Handlung
C.H.Beck 2024,
720 Seiten, 34 Euro

Gerd Schwerhoff ist Seniorprofessor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Technischen Universität Dresden. Er beschäftigt sich vorwiegend mit Phänomenen am Rande vormoderner Gesellschaften, mit Kriminalität und Hexerei, Schmähreden und Blasphemie oder eben mit Protest und Aufruhr.