Augenblicke
Operation Wassertropfen
Chirurg und Fotokünstler
Dass ihr rotarischer Freund, eigentlich Chirurg, zugleich Fotokünstler ist, war den Clubfreunden aus dem RC Kevelaer bekannt. Aber dieser Kosmos, der sich einem nur erschließt, wenn man mit äußerster Akribie die technischen Voraussetzungen dazu schafft, war einfach verblüffend: Sie wurden Zeugen der Operation Wassertropfen.
Fragt man Wolfgang Kühl, wie ein Arzt zu einem solchen Thema kommt, ist seine Antwort einfach: „Wasser hat die Menschen seit Urgedenken fasziniert. Panta rhei, alles fließt, ist die Melodie allen Lebens.“ Der ständige Wechsel von Form, Farbe und Reflexionen steht für den Charme und den Schmerz der Schönheit: ihre Vergänglichkeit. Jeder einzelne Wassertropfen ist ein unverwechselbares Kunstwerk, das nur für einen Sekundenbruchteil erscheint, um sofort wieder zu vergehen.
Um die betörenden, aber äußerst kurzlebigen Figuren im Bild festzuhalten, muss zunächst das „Setup“ stimmen. Wolfgang Kühls Setup ähnelt einem Labor. „Hier geht, ähnlich wie bei einer Operation, ohne präzise Vorbereitung gar nichts.“ Alles steht und fällt mit der Viskosität der Tropfenflüssigkeit. Ein wenig Guarkernmehl, Milch oder Sahne erhöhen die Viskosität und führen zu stabilen Formen. Ein Hauch Klarspüler im Wasserbecken verringert die Oberflächenspannung. Die richtige Dosis Farbe, hier Lebensmittel-, dort Acrylfarbe, bringt Leben ins Motiv. Sechs Systemblitze, bestückt mit Farbfolien und Lichtformern, sorgen für die stimmige Atmosphäre. Nun erst können über drei Magnetventile die Tropfen im Abstand von Millisekunden zueinander und aufeinander platziert werden.
Tropfen-Fotografen brauchen Geduld. Schon kleinste Veränderungen am Setup oder der Platzierung haben große Auswirkungen auf das Ergebnis. Die Lernkurve ist lang: Nach frühestens zehntausend Bildern stellt sich eine gewisse Routine ein. Manche Bilder sind wie Skulpturen: Mal glaubt man, eine filigrane Glasschale zu erkennen, mal ein Gesicht oder eine Gestalt, dann eine Gruppe von Tänzern. Dann ist mal wieder eine Operation am Wassertropfen gelungen. Aber wie beim Chirurgen gilt: Übung macht den Meister.
Dagmar Gaßdorf
Zur Person
Dr. Wolfgang Kühl, von Beruf Chirurg, Mitglied im RC Kevelaer, befasst sich seit seinem Medizinstudium mit der Fotografie. Seine Themenschwerpunkte sind Industrie-, Makro- und Tropfenfotografie. Das Bild zeigt ihn in seiner Arbeitsumgebung und vermittelt einen Eindruck, unter welchen Bedingungen die Bilder entstehen.