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Neue Realitäten in der Sicherheitspolitik

 - Neue Realitäten in der Sicherheitspolitik
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Dr. Bastian Giegerich, neu ernannter Generaldirektor des International Institute for Strategic Studies (IISS) und Experte für internationale Beziehungen, war zu Gast beim RC Rhein-Main.

14.02.2024

Im Anschluss an seinen Vortrag führten der Gast und Dr. Martin Schössler, Gründer der CAUSA GmbH und erfahrener Berater für digitale Transformation, ein Gespräch über die neuen Realitäten in der Sicherheitspolitik. Bastian Giegerich hat dort seine Erfahrungen aus der Politikwissenschaft und seiner Zeit in Washington, D.C. eingebracht, und Martin Schössler seine Expertise aus der Unternehmensberatung und seine Einblicke in die Industriepolitik.

Schössler: Als neuer Direktor des International Institute for Strategic Studies (IISS) in London, einer der weltweit führenden Denkfabriken für sicherheitspolitische Analysen, hast du uns tiefe Einblicke in die aktuellen geopolitischen Konflikte gewährt. Insbesondere die Ereignisse vom 7. Oktober, als die Hamas Israel angegriffen hat, haben uns alle tief berührt und beunruhigt. Du hast uns einen umfassenden Überblick über die sicherheitspolitische Landschaft gegeben, einschließlich der Konflikte in der Ukraine, deren Bedeutung für uns als Rotary Club mit starken Verbindungen in die Region offensichtlich ist.

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Dr. Bastian Giegerich bei seinem Vortrag

Giegerich: Die Dynamiken im Nahen Osten, insbesondere der Angriff der Hamas auf Israel, markieren einen Wendepunkt, der die globale Sicherheitspolitik stark beeinflusst. Nur eine Woche vor dem Angriff schien die Region auf dem Weg der Normalisierung und wirtschaftlichen Diversifizierung zu sein, angetrieben von den Abraham-Abkommen und verschiedenen Wohlstandsprogrammen. Der Angriff hat die Situation jedoch dramatisch verändert und zeigt, wie schnell sich die Sicherheitslage ändern kann. Besonders bemerkenswert ist, dass der Iran sowohl die Hamas als auch Russland unterstützt, was die Verbindungen zwischen den Konflikten im Nahen Osten und in der Ukraine verdeutlicht. Diese Entwicklungen stellen eine große Herausforderung für die internationale Gemeinschaft dar, die nun sowohl Israel als auch die Ukraine unterstützen muss.

Schössler: Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik scheint vor allem mit Blick auf Russland und die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Die Hoffnung auf eine pragmatische Partnerschaft mit Russland hat sich zerschlagen. Haben Deutschland und Europa überhaupt noch Hebel, um auf diese Herausforderungen wirksam zu reagieren?

Giegerich: Deutschland hat durchaus Hebel, aber es hat sie in der Vergangenheit nicht immer richtig eingesetzt. Die Annahme, dass wirtschaftliche Verflechtung automatisch zu Stabilität und Sicherheit führt, war ein fundamentaler Irrtum. Die Ereignisse haben gezeigt, dass eine Neuausrichtung unserer Sicherheitspolitik dringend notwendig ist. Die Herausforderung besteht darin, diese neuen Realitäten in unsere strategischen Überlegungen einzubeziehen und nicht nur reaktiv, sondern proaktiv zu handeln.

Schössler: Die Verbindung von wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Überlegungen scheint heute wichtiger denn je. Wie siehst du die Rolle der Unternehmen und der Wirtschaft in diesem Zusammenhang?

Giegerich: Unternehmen spielen eine entscheidende Rolle in der geopolitischen Landschaft. Viele Führungskräfte müssen erkennen, dass geopolitische Risiken jetzt ganz oben auf der Agenda stehen. Die Herausforderung besteht darin, die richtigen Instrumente und das Know-how zu entwickeln, um diese Risiken zu bewerten und in die Unternehmensstrategie zu integrieren. Die Zeiten, in denen sich Unternehmen geopolitischen Themen entziehen konnten, sind vorbei. Jetzt müssen sie sich aktiv in die Außenpolitik einbringen.

Schössler: In Deutschland gibt es eine Debatte über die Notwendigkeit, sicherheitspolitische Themen stärker zu integrieren und schneller auf Bedrohungen zu reagieren. Gibt es Ansätze, die institutionellen Strukturen so anzupassen, dass sie diesen Herausforderungen gerecht werden?

Giegerich: Die kürzlich veröffentlichte Nationale Sicherheitsstrategie Deutschlands mit ihrem Fokus auf integrierte Sicherheit ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es fehlt jedoch an konkreten Maßnahmen, um diese Integration in die Praxis umzusetzen. Ein möglicher Ansatz wäre die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrates als zentrales sicherheitspolitisches Koordinierungsgremium. Ziel ist es, Entscheidungsprozesse zu beschleunigen und eine ganzheitliche Sicht auf Sicherheitsfragen zu fördern.

Schössler: Das IISS hat sich unter deiner Leitung weiterentwickelt. Wie siehst du die Rolle des Instituts in der heutigen geopolitischen Landschaft?

Giegerich: Das IISS möchte nicht nur ein Think Tank sein, der Analysen und Daten liefert, sondern auch ein aktiver Teilnehmer am Dialog zwischen Entscheidungsträgern. Mit unseren Konferenzen und Sicherheitsdialogen bieten wir eine Plattform für den Austausch und die Entwicklung von Lösungsansätzen. Unsere Rolle als Vermittler und Informationsquelle wird immer wichtiger, da die geopolitischen Herausforderungen immer komplexer werden.

Schössler: Was sind deine Visionen und Ziele für die Zukunft des IISS, insbesondere im Hinblick auf neue Technologien wie Künstliche Intelligenz?

Giegerich: Technologie und KI werden zentrale Themen unserer Forschung und Analyse sein. Wir erkennen das Potenzial dieser Technologien sowohl als Herausforderung, als auch als Chance für die Sicherheitspolitik. Mein Ziel ist es, das IISS als führende Institution in der Erforschung der Schnittstellen zwischen Technologie, Sicherheit und internationaler Politik zu etablieren. Wir wollen nicht nur aktuelle Entwicklungen verstehen, sondern auch zukünftige Trends antizipieren und gestalten.

Schössler: Ich möchte mich ganz herzlich für dieses ausführliche Gespräch bedanken. Deine Einsichten sind von unschätzbarem Wert für unser Verständnis der globalen Sicherheitslage und der Rolle, die wir als Teil der internationalen Gemeinschaft spielen können. Wir freuen uns auf ein Wiedersehen und die Fortsetzung des Dialogs.

Giegerich: Vielen Dank, Martin. Es war mir eine Freude, meine Gedanken mit euch zu teilen und Teil dieser wichtigen Diskussion gewesen zu sein. Ich freue mich auf zukünftige Gelegenheiten, unsere Diskussionen fortzusetzen und gemeinsam nach Lösungen für die komplexen Herausforderungen unserer Zeit zu suchen.