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Kassel

Wertegemeinschaft in Zeiten des Auf- und Umbruchs

Kassel - Wertegemeinschaft in Zeiten des Auf- und Umbruchs
von links: Assistent Governor Walter Blum, Boris Bregant (RC Bled), Rolf-Dieter Postlep, Kai Bernstein (RC Kassel), Jochen Lengemann (RC Kassel-Wilhelmshöhe), Past Präsident Axel Halle (RC Kassel-Wilhelmshöhe), Edzo Huismann (RC Heemstede), Präsident Jürgen Freymuth (RC Kassel-Wilhelmshöhe) © Helga Freymuth

Der RC Kassel-Wilhelmshöhe feiert seine Charter von 50 Jahren.

19.06.2017

„Mit Rotary entstand 1905 in einer Zeit des wirtschaftlichen Auf- und Umbruchs in Chicago eine Wertegemeinschaft, die auf Fairness und Völkerverständigung in einer Gesellschaft setzte, die sich damals schon immer weiter internationalisierte. Oberstes Ziel war das selbstlose Dienen einzelner für die ganze Gesellschaft.

1927 gründeten Rotarier in Hamburg unter Führung des ehemaligen Reichskanzlers Wilhelm Cuno den ersten Club in Deutschland und 1950 brachte der weltläufige Kaufmann mit familiären Bindungen nach Kassel, Hermann A. Herwig, die rotarische Idee von Bremen nach Kassel. 1967, abermals in einer Zeit des Auf- und Umbruchs, entstand, ausgehend vom Rotary Club Kassel, mit dem RC Kassel-Wilhelmshöhe der zweite Club in unserer Stadt.“ Mit diesen Worten erinnerte Jochen Lengemann, seit 1979 Mitglied im Club Kassel-Wilhelmshöhe, an die Charter, also das Entstehen dieses Clubs, vor 50 Jahren.

Gründungsjubiläum mit Rückschau

Der RC Kassel-Wilhelmshöhe initiiert, ermöglicht und unterstützt mit Spenden von bis zu 60.000 Euro im Jahr, soziale und kulturelle Projekte mit lokalem, regionalem und internationalem Bezug.  Er feierte das Jubiläum seiner Gründung mit einem internationalen Meeting in der Kasseler Brüderkirche. Unter den 140 Freundinnen und Freunden waren auch zehn Freunde des Partnerclubs im niederländischen Heemstede, sechs Freunde aus dem Partnerclub im slowenischen Bled, zahlreiche Freundinnen und Freunde aus dem „alten“ Kasseler Club, Freundinnen von Inner Wheel, Freundinnen und Freunde aus dem Kasseler Rotaract Club, die sich der rotarischen Idee verpflichtet fühlen, sowie drei Stipendiatinnen aus osteuropäischen Ländern. Gemeinsam mit den anderen Clubs in Nordhessen ermöglicht der RC Kassel Wilhelmshöhe schon seit beinahe 20 Jahren jungen Menschen aus Osteuropa für jeweils ein Jahr ein Studium an der Universität Kassel.

Dr. Axel Halle, der scheidende Präsident des RC Kassel-Wilhelmshöhe, verwies auf dieses Stipendiaten-Programm, aber auch auf den Jungendaustausch und die Initiative von Rotary International, Polio auf der Welt auszurotten. Das seien wenige Beispiele für die vielen Initiativen von Rotary, sich im Dienst der Völkerverständigung für andere einzusetzen. Als Beitrag zum kulturellen Leben in Kassel nannte Halle nicht nur die große Einzelspende von 5000 Euro seines Clubs für den Nachbau der historischen Wasserorgel am Herkules, sondern auch an die seit Jahren mit Erfolg betriebene Initiative, an der Kindertagesstätte am Struthbachweg in Kassel eine mehrsprachige Bibliothek auf- und auszubauen, damit die Kinder, die meist nicht Deutsch als Muttersprache sprechen, diese Sprache ihres neuen Heimatlandes lernen und sich in die Gesellschaft integrieren können. Als weiteres Beispiel des sozialen Engagements führte Halle ein Projekt der rotarischen Initiative „Gesunde Kids“ an.

Der RC Kassel-Wilhelmshöhe hat  sich zudem zum Ziel gesetzt, die Kasseler Grundschulen nach und nach mit Trinkbrunnen auszustatten, damit die Kinder im Schulalltag genug trinken, ohne mit Limonade zu viel Zucker zu sich zu nehmen.

Kinder-Projekte und junge Musiker im Blick

Jürgen Freymuth, der das Amt des Präsidenten nun für ein Jahr von Halle übernommen hat, möchte nach eigenen Worten die erfolgreichen Initiativen für Kinder, Jugendliche und Studierende fortsetzen. Ein besonderes Anliegen ist es ihm, der im Posaunenchor der evangelischen Petrusgemeinde in Kassel spielt, Nachwuchsmusiker dieses Genres zu fördern, denn sonst ginge der Kultur in Deutschland und nicht nur der Kirchenmusik etwas verloren. „Blechbläserensemble wie Kassel Brass, die auch auf unserer Feier in der Brüderkirche spielten, finden ihren Nachwuchs in kirchlichen Posaunenchören“, sagte Freymuth.

Er verglich in seiner ersten Rede als neuer Präsident des Clubs das Clubleben mit dem Zusammenwirken vieler Helfer bei einem documenta-Kunstprojekt am Beispiel des documenta-Beitrags von Hiwa K. . Der Künstler, der mit seinem documenta-Beitrag Kanalrohre als Überlebensraum für Flüchtende ins Bewusstsein der documenta-Besucher rückt, begann die Arbeit an dem Werk mit einem Besuch der Kasseler Kläranlage. Dort habe Hiwa K. Hilfe erhalten, um die Rohre herstellen, nach Kassel transportieren und hier zu seinem Kunstwerk arrangieren zu lassen, berichtete Freymuth.  Er verglich das Zusammenwirken der Angehörigen verschiedener Berufsgruppen zum Wohl der Gesellschaft im Rotary Club mit dem Zusammenwirken vieler Helfer bei Entstehen dieses Kunstwerks. Unterstützung, so Freymuth, erhielt Hiwa. K bei seiner viel beachteten Arbeit auch von rotarischen Freunden aus dem RC Kassel-Wilhelmshöhe. Das zeige, wie vielfältig und meist im Stillen Rotary helfe.

Vortrag: Wie die Universität ausstrahlt

In seiner Festansprache über „Die Wirtschaftliche Entwicklung Nordhessens unter besonderer Berücksichtigung der Universität Kassel“ zog Prof. Dr. Rolf-Dieter Postlep als früherer Präsident der Universität Kassel die zeitliche Parallele zwischen der Gründung der Hochschule und des RC Kassel-Wilhelmshöhe in einer Epoche des Wandels und Aufbruchs vor etwa fünf Dekaden.

Postlep unterschied die Entwicklung, die Kassel seither nahm, in drei Phasen. In der Zeit der Zonenrandlage habe die „Zonenrandförderung“ dazu geführt, dass Unternehmen in Nordhessen verlängerte Werkbänke ansiedelten, um sie mit Subventionen über die Gewinnschwelle zu heben. Es habe sich eine „Subventionsmentalität“ herausgebildet. In dieser Phase habe sich die neugegründete Hochschule „Gesamthochschule Kassel“ genannt, die mit ihren gestuften Studiengängen zum Modell für eine Hochschulreform in Deutschland werden sollte.

In den 1990er Jahren habe die Hochschule begonnen, sich neu auszurichten und die Namen Gesamthochschule und Universität parallel zu führen. Die Wirtschaft in Nordhessen habe damals einerseits den Wegfall der Zonenrandförderung zu spüren bekommen. Die verlängerten Werkbänke seien ohne Subventionen nicht mehr rentabel gewesen. Stattdessen sei wenige Kilometer östlich in Thüringen eine vergleichbare Förderkulisse mit denselben Effekten errichtet worden.

Entwicklungen in Nordhessen

Andererseits habe die Globalisierung auch die nordhessische Wirtschaft erfasst und zu Anpassungen gezwungen. Ab der Mitte der ersten Dekade dieses Jahrhunderts aber habe sich die Hochschule selbstbewusst in Universität Kassel umbenannt, während aus dem starken Mittelstand der Region und aus Ausgründungen aus der Hochschule starke, am Weltmarkt konkurrenzfähige und erfolgreiche Unternehmen hervorgegangen seien.

Nordhessen sei seither eine Wachstumsregion mit Wachstumsraten über und einer Arbeitslosenquote unter dem Landesdurchschnitt. Nordhessen werde erfolgreich bleiben. Die Hochschule sei unterdessen anerkannt, sei offen für den Austausch mit der Wirtschaft und habe etwa 25.000 Studierende. Die Studienreform mit den gestuften Abschlüssen Bachelor und Master sei hingegen nicht von Kassel aus, sondern mit dem Bologna-Prozess eingeleitet worden.

Claus Peter Müller von der Grün
RC Kassel-Wilhelmshöhe