Standpunkt
Nach dem Fehltritt
Wie geht ein Club mit Verfehlungen eines Mitglieds um? Die moralische Verantwortung ist für alle Beteiligten groß
Eine kürzlich veröffentlichte Studie zu ethischem Verhalten in Unternehmen brachte ein erschreckendes Ergebnis: „Unter dem Strich ist fast jeder vierte Manager in Deutschland zu unethischem Verhalten bereit“, sagt Stefan Heißner, der als ehemaliger Kriminalbeamter seit nunmehr zehn Jahren für die Unternehmensberatung Ernst & Young Korruption in Unternehmen untersucht. Zum eigenen Karrierevorteil wäre man bereit, falsche Angaben zum Unternehmen zu machen und unethisches Verhalten von Mitarbeitern und Kunden zu tolerieren.
Rotarier mit Heiligenschein?
Wenn ich nun an unsere rotarische Wertegemeinschaft denke, die sich ethischen und moralischen Werten verpflichtet sieht, die sich von Regeln der Corporate Social Responsibility leiten lässt und die sich das rotarische Grundprinzip: „As a Rotarian I will act with integrity and high ethical standards in my personal and professional life“ auf die Fahnen geschrieben hat, dann werde ich nachdenklich und beginne zu hinterfragen:
Könnte die Heißner-Studie auch bei Rotariern zutreffen? Handeln wir wirklich alle konsequent nach den Vorgaben unserer Vier-Fragen-Probe? Ich zweifle, denn wäre dem wirklich so, dürften wir alle einen Heiligenschein tragen. Ich glaube, dass die Zahl der Rotarier, die unsere Vier-Fragen-Probe tatsächlich umfassend zum Leitbild ihres Handelns nehmen und deren ethischen Vorgaben konsequent zu entsprechen versuchen, überschaubar ist.
Sind wir nicht alle Menschen, die Fehler machen, die mehr oder weniger absichtlich, oft aus Nachlässigkeit, Unfähigkeit, Unwissenheit oder Sorglosigkeit nicht gesetzeskonform handeln? Manchmal bin ich überrascht, wie salopp sogenannte klassische „Upper Middle Class“-Delikte schon als juristisch hinnehmbar bezeichnet werden: Täuschungen, kleine Betrügereien, Alkohol- und Drogenfahrten, Insolvenzverschleppungen, schwarze Konten und andere. Generell scheint mir die Toleranzgrenze angestiegen zu sein.
Wird aber eine Verfehlung – juristisch fassbar oder nicht – bekannt, muss im Club die Diskussion bezüglich dieses „gefehlt habenden Rotariers“ einsetzen. Die Eröffnung eines formellen Verfahrens, ohne Aufregung, sine ira et studio, unter Abwägung der Interessen des Clubs gegen die Umstände des Einzelfalls, ist immer erforderlich.
Für alle Clubs ist die Clubverfassung von RI bindend, und hier insbesonders Artikel 12, Abs. 5–10, in dem die Beendigung der Mitgliedschaft abgehandelt wird. Das Procedere ist an dieser Stelle detailliert aufgelistet. Assistant Governors und Governors stehen in einer solchen Situation dem Club hilfreich zur Seite, denn Gott sei Dank gehören Fehltritte von Rotariern nicht zum Alltagsgeschäft eines Clubs. Generell sei klargelegt, dass unsere rotarischen Regeln keine unwichtigen Formalitäten sind, sondern der Herbeiführung einer gerechten Beurteilung der Sach- und Rechtslage sowie vor allem der Herstellung des Rechtsfriedens im Club dienen. Die Diskussionen in der allgemeinen Aufregung, die Vermutungen und Spekulationen können mit einem Blick in die Verfassung von Rotary International in faire Bahnen gelenkt werden.
Grundsätzlich ist – Kapitalverbrechen ausgenommen – bei Verfehlungen Folgendes zu beachten: zunächst Diskretion wahren, Gespräche führen, die Langmut eines Clubs ausloten, wie auch die Zugeständnisse, die gemacht werden müssen oder können, eruieren. Wichtig erscheint mir auch, wie offen die Freundin/der Freund auf den Club zugeht. Nicht zu vergessen ist die Wirkung auf die Öffentlichkeit, wenn in den Medien ununterbrochen darüber berichtet wird, dass es sich bei dem Delinquenten um einen Rotarier handelt.
Der Club hat in jedem Fall eine große moralische Verantwortung, und es ist unter Freunden zu erwarten, dass der/die Betroffene sofort nach Bekanntwerden der Beschuldigungen durch ausgewählte Freunde betreut wird, um Leid zu lindern und Kurzschlusshandlungen zu vermeiden. Kommt es zu gravierenden Gegensätzen im Club, ist der professionelle Einsatz eines Mediators geboten. Vergessen wir nicht: der „gefehlt Habende“ ist Freund und hat Anspruch darauf.
Die Folgenlosigkeit von Verfehlungen kann einen Club sprengen, spiegeln doch Straftatbestände das moralische Empfinden einer Gesellschaft und deren Mitglieder wider. Disziplinarische Konsequenzen, die in Übereinstimmung mit der Satzungslage von RI und dem Club stehen müssen, können folgende denkbare Spannweiten haben: von Sanktionslosigkeit, wenn alle Beteiligten die Schwere des Vergehens als „zu vernachlässigen“ beurteilen, über eine vorübergehende Suspendierung, die zur Beruhigung des Clubs beiträgt und die einer späteren Neubeurteilung des Falls die Türe offen hält, bis zum freiwilligen Austritt und, als ultima ratio, dem Ausschluss.