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Convention 2021

„24/7 durch alle Zeitzonen“

Convention 2021 - „24/7 durch alle Zeitzonen“
In diesem Monat endet die Amtszeit von RI-Präsident Holger Knaack, die ganz anders verlief als geplant. © Illustration: Miriam Migliazzi & Mart Klein

Da war er nun nach vielen Jahren großen Engagements für RI zum Präsidenten ernannt, der Reiseplan mit Terminen in aller Welt stand, und dann – genau. Aber Holger Knaack hat sein Jahr gut genutzt.

01.06.2021

Kein Herumhängen auf Flughäfen, kein Jetlag, keine späten Fünf-Gänge-Menüs, kein In-unterkühlten-Limousinen-im-Stau-Gestehe, keine ungemütlichen Bettdecken – das merk- und denkwürdige Rotary-Jahr 2020/21 bot dem Präsidenten nicht nur Nachteile, sondern eröffnete mottogemäß auch neue Möglichkeiten.

Herr Knaack, als Past-RI-Präsident fallen Sie am 1. Juli in ein schwarzes Loch, oder?

Wieso das denn? Nein, ich werde morgens aufwachen und mich einfach freuen, kein ganz so schlechtes Gewissen mehr haben zu müssen.

Wieso das denn?

Weil meine 365 Präsidentschaftstage nicht genügend Stunden hatten, um allen Freundinnen und Freunden hundertprozentig gerecht zu werden.

Dann beschreiben Sie doch mal einen typischen Tag.

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Die Pandemie verlangte von Holger und Susanne Knaack autodidaktische Schulung in Kamera-, Ton- und Moderationstechnik © Privat

Die Zeitzonen spielen eine enorm wichtige Rolle. Derzeit sind 37 weltweit in Benutzung, die wichtigsten davon kann ich mittlerweile in Windeseile ausrechnen ... Also: Ich fange morgens damit an, Reden zu schreiben, sie zu üben, Mails und Briefe zu bearbeiten, und nehme dann an Konferenzen in Australien und Asien teil. Ab 14 Uhr hiesiger Zeit – Central European Time (CET) – wird es eng, dann ist in Chicago 7 Uhr Central Daylight Time (CDT) und die Meetings mit den Mitarbeitern des RI-Headquarters beginnen. Ab 15 bis 17 Uhr ballen sich die internationalen Konferenzen, denn dann öffnet sich das Zeitfenster, das für alle Rotarierinnen und Rotarier auf dem Globus gleichzeitig einigermaßen erreichbar ist.

Und was ist mit den vielen für Rotary typischen Abendterminen?

Wenn zum Beispiel ein festlicher Abendtermin in Lateinamerika ansteht, kann es bei uns bis weit nach Mitternacht werden. Neulich wurden bei einer Veranstaltung in Brasilien die Namen von 2000 Neu-Rotariern vorgelesen, da habe ich mich dann gegen ein Uhr unauffällig verabschiedet. Manchmal bin ich auch per Videofilm dabei („Lieber Holger, bitte schicke uns doch schnell noch eine kleine Grußbotschaft für das XY-Treffen ...“), was sich zeitlich besser timen lässt, allerdings auch viel mehr Aufwand im Vorfeld bedeutet: Skript schreiben, Kamera und Licht aufbauen, schneiden ... Alles nicht mal eben gemacht. Aber Susanne und ich sind schon deutlich schneller als im Frühjahr 2020, als wir uns Hals über Kopf TV-Studio-Know-how aneignen mussten.

Können Sie nachvollziehen, an wie vielen virtuellen Treffen Sie seit dem 1. Juli 2020 teilgenommen haben?

Ich hatte und habe durchschnittlich fünf pro Tag, häufig mehr, auch am Wochenende – ich würde also sagen, rund 2000 Meetings – zu 95 Prozent mit Zoom. Bei manchen Treffen ging es nur ums Hallo-Sagen, bei anderen hatte ich einen bis zu zweieinhalbstündigen Part.

Was ist für Sie der größte Vorteil einer Zoom-Präsidentschaft?

Tausende an interessanten Kontakten mehr. Die Zeitersparnis durch das Nichtreisen ist enorm. Ich habe viel mehr Termine wahrnehmen und Leute erreichen können als jeder Präsident vor mir. Aber die Nachteile kennt man ja auch inzwischen: Kein Geplausche und Ideen-Entwickeln beim Kaffee in den Pausen, keine vertrauliche oder tiefergehende Unterhaltung mit dem Tischnachbarn beim Dinner, keine engen Freundschaften schließen, keine Inspiration und Atmosphäre schnuppern bei der Präsentation von Projekten vor Ort. Ein weiterer Vorteil ist natürlich die unglaubliche Ersparnis an Reisekosten: die von mir, aber auch die der vielen anderen RI-Amtsträger, deren Flüge und Hotel Rotary International ja in Teilen trägt. Übrigens flossen im letzten Jahr 7,5 Millionen Euro aus dem nicht genutzten Reisebudget an die Rotary Foundation, um Projekte zu unterstützen.

Wird RI dazu übergehen, Sitzungen des Board of Directors und anderer Gremien auch nach der Pandemie digital zu veranstalten?

Ja, ganz sicher. Aber zu wie viel Prozent und welche der Routine-Meetings betroffen sein könnten oder sollten, wird gerade diskutiert. Auf jeden Fall wird die Zahl der Board-Meetings erhöht, und sie finden weniger in persona statt. Es gibt jetzt bei RI eine Taskforce, die prüft, welche positiven Erfahrungen aus der Pandemiezeit auch zukünftig für Rotary nützlich sind und was weiterentwickelt werden sollte. Auch im Hinblick auf die Durchführung von Präsidenten- und Governortrainings, zum Beispiel bei Institutes oder der International Assembly, zu der bislang fast 550 Governor plus Partner aus aller Welt anreisten und eine gemeinsame Woche im Hotel verbrachten.

Apropos: Was passiert denn jetzt mit Ihren aus Deutschland mitgebrachten Federbetten?

Tja, die wollen wir natürlich zurückhaben. Wir werden auf jeden Fall versuchen, sobald es geht, nach Chicago zu fliegen und unsere Sachen abzuholen. Theoretisch wird Jennifer Jones, RI-Präsidentin nominee, am 1. Juli in unser Apartment einziehen.

Viele Tausend Kontakte heißt auch viele Mails mit vielen Wünschen und Ideen vor und nach den Online-Meetings, oder?

Ja, durchschnittlich 200, manchmal auch bis zu 500 am Tag. Susanne und ich bemühen uns wirklich, die alle abzuarbeiten, aber ich befürchte, es gelingt uns nicht immer. Vor allem viele deutsche und österreichische Freundinnen und Freunde möchten natürlich die Gelegenheit nutzen, ihre Wünsche an Rotary über mich an die Zentrale weiterzugeben. Bei einigen Vorschlägen bin ich allerdings schlichtweg der falsche Ansprechpartner und kann den Absendern dann keine zufriedenstellende Antwort geben. Das tut mir leid.

Was ist über die ganze Zeit hinweg die größte Challenge gewesen?

Immer verfügbar zu sein. Analog reisende RI-Präsidenten sind einfach mal weg. Unerreichbar im Flugzeug. Irgendwo im Nirgendwo. Der RI-Präsident 2018/19 beispielsweise, Barry Rassin, war genau 20 Tage bei sich zu Hause. Bei mir konnte und kann sich jeder ausrechnen, wo ich bin: auf dem Sofa, wahlweise Sessel, vielleicht auf der Terrasse. Mit ganz bestimmt viiiiiel Zeit ...

Und die zweitgrößte?

Sprachlich immer auf Zack zu sein – fast jedes Meeting wird aufgezeichnet, geht möglicherweise viral. Wie schnell kann einem einmal eine missverständliche oder suboptimale Formulierung rausrutschen. Vor allem, wenn man schon etwas müde ist und sich in englischer Sprache auf sowieso schon dünnem Eis bewegt, etwa über „Black Lives Matter“ diskutiert.

Nun haben Sie das höchste Amt gehabt, das Rotary bietet – wie geht es weiter?

Ich werde wie jedes andere Mitglied zum wöchentlichen Meeting meines Clubs gehen und darüber hinaus
bei der einen oder anderen internationalen Committee-Sitzung dabei sein. 2022/23 werde ich als Past-Präsident – jedenfalls nach üblicher RI-Routine – zu einem Trustee der Rotary Foundation gewählt.

Aber erst mal steht jetzt der Höhepunkt des Jahres an: die Convention ...

... ja, 2021 zum zweiten Mal virtuell und zum Glück mit etwas mehr Vorlauf geplant als beim letzten Mal. Nach den Pionier-Erfahrungen im Jahr 2020 haben wir nun ein paar Programmpunkte optimiert und erweitert – wir sind sehr neugierig, wie unsere Ideen und deren Umsetzung in der rotarischen Welt ankommen. Von größter Bedeutung ist für mich die Preconvention. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass der Fokus in diesem Jahr erstmalig auf den Intercountry Committees (ICC) liegt. Udo Noack als Verantwortlicher des Deutschen Governorrats für ICCs hat hier zusammen mit seinem Team ein sehr interessantes Programm rund um die internationalen Länderausschüsse und ihre Serviceprojekte zusammengestellt. Wir wollen ja nicht vergessen: eine der wichtigsten Aufgaben ist Völkerverständigung – als unverzichtbare Basis für Frieden.

Das Gespräch führte Frauke Eichenauer.