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Interview

Die Vernetzerin

Interview - Die Vernetzerin
RI-Präsidentin elect Jennifer Jones © Monika Lozinska

RI-Präsidentin elect Jennifer Jones ist bereit, Rotary in eine dynamische und vielfältige Zukunft zu führen.

01.03.2022

An der Wand im Büro von RI-Präsidentin elect Jennifer Jones hängt das Geschenk einer befreundeten Person – eine schwarze Rubbel-Weltkarte, auf der sie jeden Ort, den sie in den nächsten zwei Jahren im Auftrag von Rotary besuchen wird, „freirubbeln“ kann. Unser Gespräch findet im September statt, zwei Monate nach Beginn ihres Vorbereitungsjahres als RI-Präsidentin elect, und auf der Weltkarte ist nur Chicago freigelegt, weil viele geplante Veranstaltungen wegen der steigenden Coronazahlen abgesagt oder verschoben wurden. Heute ist Jennifer Jones ganz allein im 18. Stock des One Rotary Center. Sie heißt ihre Besucher per Ellbogen-Gruß willkommen. Dann setzen sie sich mit Abstand an einen Tisch in ihrem Büro und sprechen über ihre Vision für das kommende Jahr.

Jennifer Jones ist Präsidentin und Geschäftsführerin der Media Street Productions Inc. in Windsor, Ontario. Dort ist sie auch Mitglied im RC Windsor-Roseland. Ihr Unternehmen spezialisiert sich auf Radio- und Fernsehproduktionen, Videos für Unternehmen und gemeinnützige Organisationen sowie auf die Produktion von Live-Shows.

Jennifer Jones möchte ihre Medienerfahrung nutzen, um Rotarys globales Profil zu stärken. Für dieses Hauptziel während ihrer Amtszeit möchte sie bei ihrer geplanten „Imagine Impact Tour“ nachhaltige Großprojekte in jedem von Rotarys Schwerpunktbereichen der ganzen Welt näherbringen. Sie sieht darin „eine Möglichkeit, unsere Mitgliederzahl zu erhöhen. Wenn Gleichgesinnte unsere Geschichten hören, werden sie sich uns anschließen wollen.“

Jennifer Jones ist seit 1996 Rotarierin. Als Vorsitzende der Strengthening Rotary Advisory Group spielte sie eine führende Rolle im Rebranding-Prozess unserer Organisation. Sie ist Mitvorsitzende der Kampagne End Polio Now: Make History Today, deren Ziel es ist, 150 Millionen Dollar für die Polioeradikation zu sammeln. Sie leitete auch den erfolgreichen #RotaryResponds-Telethon 2020, der von über 65.000 Menschen gesehen wurde und beachtliche Spenden für die Pandemie-Hilfe einbrachte.

Sie werden die erste Präsidentin von Rotary sein. Was bedeutet das für RI?

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Jennifer Jones möchte ihre Medienerfahrung nutzen, um Rotarys Profil zu stärken. © Monika Lozinska

Obwohl das Wahlverfahren virtuell abgehalten wurde, ergriff jeder im „Raum“ der Reihe nach das Wort und äußerte sich zu einem Punkt, der während der Unterhaltung zur Sprache kam. Es wurde immer wieder betont, dass die Wahl aufgrund meiner Qualifikationen und nicht aufgrund meines Geschlechts auf mich fiel. Dass ich eine Frau bin, war für mich bei dem Gespräch nebensächlich. Ich glaube jedoch, dass dies für unsere Organisation ein unglaublich wichtiger Moment war. Diversität, Gleichstellung und Inklusion sind nicht nur für Rotary, sondern für die ganze Welt extrem wichtig. Vielleicht kommt meine Nominierung zum richtigen Zeitpunkt. In meiner Dankesrede auf der virtuellen RI Convention 2021 erwähnte ich zu Beginn meine zehnjährige Nichte. Sie hatte mir eine Zeichnung von sich geschenkt, auf der stand: „Anders ist immer besser. Anders bin ich.“ Ich war begeistert davon und so stolz auf sie, dass ich mit diesem Ausspruch meine Rede beendete.

Anders zu sein ist nichts, wofür man sich entschuldigen muss. Einer unserer Grundwerte ist Diversität, und eine Frau als Präsidentin ist eine weitere Möglichkeit, um dieser Vielfalt Ausdruck zu verleihen. Es hat eben nur 117 Jahre gedauert, bis es so weit war.

Was bedeutet Diversität für unsere Organisation?

Es gibt Vielfalt in unserer rotarischen Welt, aber gibt es sie auch in unserem unmittelbaren Umfeld, in unseren Clubs? Diversität im Denken, im Alter, in der Kultur, im Geschlecht und im Beruf schlägt sich in unserem Handeln nieder. Das ist unser Geheimnis. Deshalb können wir Dinge auf eine Art und Weise anpacken, wie es anderen nicht möglich ist. Wir betrachten alles durch das Kaleidoskop der Erfahrungen, die wir mitbringen. Es wird immer Clubs geben, die sagen: „Wir haben kein Problem damit. Wir haben das Thema Diversität voll im Griff.“ Das mag stimmen oder auch nicht. Ich denke aber, dass wir als Organisation zu diesem Zeitpunkt in der Geschichte einzigartig aufgestellt sind, um diese Gespräche ehrlich anstoßen zu können. Weil wir unpolitisch und nicht religiös sind, können wir diese Art von Dialog in einem sicheren Raum führen, in dem wir uns gegenseitig respektieren.

Wie werden Sie die Rolle der RI-Präsidentschaft neu definieren?

Ich denke nicht, dass ich der Präsidentschaft aus einer Perspektive des Wandels entgegensehe. Ich betrachte sie unter dem Gesichtspunkt, wie wir als relevante Organisation in der Kultur und im Klima von heute bestehen können. Wie können wir die Dinge tun, die proaktiv und für unsere Zukunft wichtig sind? Vielleicht rücken wir damit etwas ab von dem, was wir in den letzten Jahren angestrebt haben, um bestimmte Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Vielleicht müssen wir das authentischer angehen. Wenn wir mehr Frauen für unsere Organisation gewinnen wollen und der Erfolg bisher recht überschaubar ist, könnte das jetzt eine Gelegenheit sein, um andere zu inspirieren, nach vorne zu schauen und zu sagen: „Wenn sie das kann, kann ich das auch.“ Wenn wir jüngere Mitglieder und jüngere Denker in unserer Organisation haben wollen, so müssen wir uns wie sie verhalten. Wir müssen zeigen, warum die Mitgliedschaft für sie wichtig ist, und wir müssen sicherstellen, dass wir den Menschen Möglichkeiten für ein sinnvolles und bewusstes Engagement in unserer Organisation bieten. Das Wichtigste, was ich hoffentlich einbringen kann, hat nichts mit dem Geschlecht zu tun, sondern mit der Kommunikation – wie wir unseren Mitgliedern, die an vorderster Front im Einsatz sind, und den anderen Mitgliedern unserer Familie vermitteln, dass es gut ist, anders zu sein, und dass dies nichts daran ändert, wer wir sind. Unsere DNA bleibt dieselbe. Unsere Grundwerte bleiben dieselben. Das sind Dinge, die nie aus der Mode kommen. Aber vielleicht können wir alles jetzt durch eine etwas andere Brille betrachten.

Sie haben von jungen Denkern und von jungen Mitgliedern gesprochen. Worin besteht der Unterschied?

Haben Sie schon einmal einen 25-Jährigen getroffen, der alt ist? Haben wir wohl alle schon mal. Kennen Sie eine junge 86-Jährige? Selbstverständlich. Deshalb spreche ich von jungen Denkern.

Dieses Konzept findet überall in der Welt Widerhall. Die Tatsache, dass wir Menschen sind, die etwas tun, spricht für unsere Lebensfreude. Wir gehen hinaus. Wir tun etwas. Das meine ich mit jungen Denkern. Wir sind die Menschen, die in unserer Welt und in unserer Gemeinschaft etwas bewirken. Wir haben die wunderbare Möglichkeit, etwas aufzugreifen, was ich gern als Cross-Mentoring bezeichne. Manchmal geht eine großartige Idee auf Erfahrung zurück. Manchmal kommt sie von jemandem, dem noch nicht gesagt wurde, dass er etwas nicht tun kann oder nur auf eine bestimmte Weise. Wenn wir auf die jüngeren Menschen in unserer Organisation blicken, geben sie mir die Hoffnung, dass wir die Dinge mit neuen Augen sehen und wir uns ununterbrochen weiterentwickeln können. Stark verallgemeinert gesagt: Wenn man Rotaract-Mitgliedern von einer tollen neuen Idee erzählt, wissen sie schon nach wenigen Tagen, was sie tun werden. Sie bauen eine Präsenz in den sozialen Netzwerken auf. Sie nehmen mit ihren Partnern Kontakt auf. Sie machen alles Mögliche. Sie handeln unglaublich schnell. Wenn man dieselbe Idee einem Rotary Club vorstellt, was passiert dann? Wir bilden einen Ausschuss, und dann haben wir viele Sitzungen. Das soll keine abfällige Bemerkung über diesen durchdachten Weg sein, ich meine das scherzhaft. Aber der bürokratische Ansatz kann uns zum Stillstand bringen und für manche frustrierend sein. Jüngere Mitglieder sind eine Chance für uns. Sie machen vieles einfach anders. Und ich denke, in dieser Hinsicht können wir wirklich viel von ihnen lernen.

Sie sind eine geborene Geschichtenerzählerin. Mit welchem Satz beginnt das erste Kapitel Ihrer Präsidentschaft?

Mit einem Wort: „Imagine“ – stell dir vor ...

Das ist doch Ihr Motto, nicht wahr?

„Imagine Rotary“.

Wie sind Sie darauf gekommen?

Für mich bedeutet Imagine, dass man Träume haben und alles tun muss, um sich diese Träume zu erfüllen. Ich möchte, dass die Menschen darüber nachdenken, was sie erreichen wollen, und dann Rotary als Mittel nutzen, um dorthin zu kommen. Uns stehen so viele Möglichkeiten offen, aber wir müssen unsere Kräfte darauf verwenden, nachhaltige und effektive Entscheidungen über unser Wirken und Handeln zu treffen. Das Stärkste, was ein Mitglied sagen kann, ist: „Ich habe eine Idee.“ Und diese dann mit anderen zu teilen, sie noch stärker zu machen und herauszufinden, wie sie sich umsetzen lässt. „Imagine“ ist ein beflügelndes Wort und gibt den Menschen die Erlaubnis zu sagen, dass sie ihre Welt verbessern möchten und dies auch können, weil sie Teil dieser Familie sind.

Was ist zeitgemäße Führung und wie passt Ihr Führungsstil dazu?

In den letzten zwei Jahren hatten wir gründlich Gelegenheit, uns genau anzuschauen, was uns wichtig ist und was wir loslassen wollen, weil es unseren Kopf und unsere Schultern zu sehr belastet. Jetzt können wir uns darauf freuen, in Zukunft alles ein wenig anders und, was wahrscheinlich am wichtigsten ist, authentischer zu machen. Wie können wir ehrlich zu uns selbst sein, womit und mit wem wir Zeit verbringen wollen und wie wir einander besser helfen können, nicht nur als Freunde und Nachbarn, sondern als Mitmenschen? Aus einer zeitgemäßen Führungsperspektive heraus müssen wir aus dem Schlimmsten das Beste machen. Wir haben gesehen, wie sich führende Politiker aus ihren Küchen und Arbeitszimmern zu Online-Meetings zugeschaltet haben. Wir haben gelernt, anders zu sein und die Erfahrungen anderer mehr zu schätzen. Das ist etwas, was Rotary schon immer gut konnte. Das ist unsere Zeit, um zu glänzen.

Welche Stärken und Schwächen bringen Sie als Präsidentin mit?

Ich bin stolz darauf, eine Vernetzerin zu sein. Ich verbinde gern Menschen miteinander und am liebsten verbinde ich mit Geschichten. Diese Fähigkeit würde ich gern in meinem Amt nutzen. Ich glaube, eine weitere Stärke von mir liegt darin, wie ich kommuniziere und darüber nachdenke, wie dies auch anders geht. Das Wichtigste ist, dass wir jedem Mitglied unserer Organisation verständlich machen, was es bedeutet, Teil dieser Organisation zu sein. Das lässt sich auf so unterschiedliche Weise kommunizieren. E-Mails allein reichen dafür nicht aus. Es geht darum, den Menschen einen Grund zu geben, warum sie von der Organisation hören wollen. Ich möchte zum Beispiel direkt nach einer Vorstandssitzung auf Sendung gehen. Ich möchte allen mitteilen, was unsere Organisation aktuell tut – was gerade eben passiert ist. Eine Eilmeldung aus der 18. Etage in Evanston, und was bedeutet das für Ihren Club? Können wir diese Geschichte erzählen? Ich möchte neue Tools einsetzen. Auf meinen Reisen im Auftrag von Rotary werde ich eine kleine GoPro-Kamera dabeihaben. Ich möchte den Film zu meiner Präsidentschaft produzieren. Ich möchte zeigen, was ich gerade gesehen habe und was mir gerade von dieser oder jener Person gesagt wurde. – Eine Schwäche von mir? Gleichgewicht. Selbstfürsorge, gesund zu essen, Sport zu treiben und mir Zeit für Freunde und Familie zu nehmen. Das gelingt mir nicht immer. Ich denke, das bringt uns zurück zu unserem Gespräch über die Pandemie. Wir alle hatten die Gelegenheit, die Pause-Taste zu drücken. Manchmal arbeiten wir tausendprozentig an einer Sache, obwohl das vielleicht nicht der richtige Ansatz ist. Wir können stärker sein, wenn wir besser zu uns selbst sind. Ich denke, das haben wir wirklich gelernt; zumindest ich habe das gelernt. Ich war mein ganzes Leben immer darauf stolz, keine Schnitzer zu machen. Jetzt bin ich an einem Punkt angelangt, wo ich mir die Erlaubnis gebe, auch mal nichts zu tun. Ich habe zwei Telefone gleichzeitig im Einsatz. Ziemlich verrückt. Also habe ich mir die Erlaubnis gegeben, mein Smartphone auch mal liegen zu lassen und nicht daran gefesselt zu sein. Ich könnte buchstäblich 24 Stunden am Tag kommunizieren. Aber damit ist niemandem gedient.

Das Gespräch führten Diana Schoberg und Geoffrey Johnson. Aus: Rotary 3/2022