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Miteinander

Drei Geschichten über das scheinbar Unmögliche

Miteinander - Drei Geschichten über das scheinbar Unmögliche
© RI

Dennis Kissel, Governor im Distrikt 1940, mit Gedanken über Gemeinsames und Verbindendes, das die rotarische Familie voranbringt

19.11.2025

Erstens

Am Hartmannsweilerkopf, einem kleinen und unscheinbaren Berg im Elsass, tobten zwischen 1914 und 1916 erbitterte Kämpfe zwischen deutschen und französischen Truppen.Ein sinnloses Unterfangen: Beide Seiten wollten diesen strategisch unbedeutenden Berg erobern – als Symbol ihrer jeweiligen Herrschaft über Elsass-Lothringen. Zwischen 10.000 und 30.000 Menschen verloren dort ihr Leben – Deutsche, Franzosen. Wie viele es tatsächlich waren, weiß man bis heute nicht genau.

Nach dem Ersten Weltkrieg errichteten die Franzosen auf dem Hartmannsweilerkopf ein Denkmal, um der Toten zu gedenken. Doch schon damals zeigte sich ein Problem: Niemand wusste mehr, wessen Gebeine in welchen Gräbern ruhten. Es war nicht mehr feststellbar, ob dort ein deutscher oder ein französischer Soldat lag.

Selbst die Nationalsozialisten, die während des Zweiten Weltkriegs Frankreich besetzten und das Elsass wieder eingliederten, planten zwar, das französische Denkmal zu sprengen – taten es aber nicht. Denn auch sie mussten erkennen: Im Tod ließ sich nicht mehr unterscheiden, wer Freund und wer Feind gewesen war.

Hundert Jahre später standen der französische und der deutsche Präsident gemeinsam an dieser Gedenkstätte. Seite an Seite gedachten sie der Gefallenen, die Fahnen beider Nationen wehten friedlich nebeneinander. Beide Nationen hatten gelernt, miteinander zu leben, einander zu achten – und Freundschaft zu schließen.

Eine Geschichte, die einst unmöglich schien.

Zweitens

Die zweite Geschichte spielt im Einzugsgebiet meines Rotary Clubs, in der kleinen Stadt Schwarzenbek in Schleswig-Holstein. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Bevölkerung rasant, viele Flüchtlinge waren vor der Roten Armee hierher geflohen. Bürgermeister Hans Koch hatte in dieser Zeit eine Idee, die damals – wir sprechen von den frühen 1950er-Jahren – visionär und nahezu abwegig klang.

Er wollte eine Städtepartnerschaft mit Gemeinden aus anderen europäischen Ländern ins Leben rufen. Sein Ziel war es, Menschen zusammenzubringen und einen Beitrag zur europäischen Verständigung zu leisten – ausgerechnet aus einer kleinen norddeutschen Stadt heraus.

Nach Jahren der Vorbereitung trafen sich schließlich Bürgermeister aus Frankreich, Österreich, Deutschland und Italien in Aubenas in Frankreich. Auf dem Marktplatz leisteten sie gemeinsam einen Eid: Ihre Städte wollten fortan partnerschaftlich verbunden sein und die Menschen über Grenzen hinweg zusammenführen.

Das Ergebnis dieser Initiative: internationale Begegnungen, Freundschaften, Ehen – kurz: gelebtes Europa. Auch das – eine Geschichte, die viele für unmöglich hielten.

Hans Koch hatte eine klare Vision. Er glaubte daran, dass Menschen, die sich begegnen, miteinander reden, lachen und feiern, erkennen, dass sie sich im Grunde sehr ähnlich sind – mit denselben Träumen, Sorgen und Hoffnungen. Aus dieser Erkenntnis, so seine Überzeugung, entstehen Verständnis, Akzeptanz – und schließlich Freundschaft. Und genau das hat er erreicht.

Drittens

Die dritte Geschichte ist eine sehr persönliche. Mein ältester Sohn hat eine geistige Behinderung. In meiner Heimatstadt Mölln findet jedes Jahr das sogenannte TILLhausen-Festival statt – eine große Zeltstadt, die von Kindern regiert wird.

Wir hatten die Idee, dass auch Kinder mit geistiger Behinderung daran teilnehmen sollten. Anfangs stießen wir auf Skepsis. Viele hielten das für keine gute Idee. Doch wir setzten es trotzdem um. Am Ende zeigte sich: Unsere Kinder wurden selbstverständlich integriert. Sie nahmen teil, schlossen Freundschaften und wurden – trotz ihrer Eigenheiten – akzeptiert.

Mein Sohn und seine Schulfreunde konnten am TILLhausen-Festival teilnehmen, weil es Menschen gab, die bereit waren, etwas Neues zu wagen. Menschen, die daran glaubten, dass es gelingen kann – und die bereit waren, das Nötige dafür zu tun. Vor allem aber sahen sie vermeintliche Hindernisse nicht als unüberwindbare Barrieren, sondern als Herausforderungen, die man gemeinsam angehen konnte.

Natürlich war das alles nicht einfach. Doch der erste Versuch wurde zum Erfolg – und heute ist es selbstverständlich, dass auch Kinder mit geistiger Behinderung an diesen Camps teilnehmen.

In den Köpfen und Herzen der Teilnehmenden hat diese gemeinsame Erfahrung Spuren hinterlassen. Sie sehen Menschen mit Behinderung heute mit anderen Augen. Sie haben erkannt, dass mein Sohn ein Mensch ist wie sie selbst – mit ein paar Besonderheiten vielleicht, aber mit denselben Gefühlen, derselben Freude und demselben Wunsch, dazuzugehören.

Noch heute, mehr als zehn Jahre später, wird mein Sohn Simon mitten in der Stadt von jungen Erwachsenen angesprochen, die damals mit ihm gespielt haben. Diese Begegnungen zeigen, dass aus Offenheit und Mut echte Inklusion entstehen kann. Auch das – eine Geschichte, die einst unmöglich schien.

Und heute?

Die beiden Staatspräsidenten – der französische und der deutsche – hätten niemals am Hartmannsweilerkopf Hand in Hand gestanden, um gemeinsam der Toten zu gedenken, wenn es nicht Menschen gegeben hätte, die zuvor die Voraussetzungen, das Fundament, dafür geschaffen hatten.

Eine Voraussetzungen war die Bereitschaft, im Nachbarn nicht länger den möglichen Gegner oder Feind zu sehen, sondern den künftigen Partner und Freund. Da kommt Hans Koch ins Spiel. Er hat genau diese Ideen im Rahmen seiner Städtepartnerschaft fest in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger verankert.

Eine zweite war: Nicht das Trennende zu betonen, sondern das Verbindende. Dafür ist TILLhausen ein gutes Beispiel, denn natürlich gibt es vieles, was ein Kind mit Behinderung von einem nicht behinderten Kind trennt. Aber sie können gemeinsam spielen, weil sie sich dann doch sehr ähnlich sind. 

Alle drei dieser einst unmöglichen Geschichten konnten nur deshalb Wirklichkeit werden, weil Menschen sich engagierten – mit einem klaren moralischen Kompass, einem positiven Menschenbild und dem Willen, ihre Überzeugungen weiterzutragen. Sie haben gezeigt: Wo Mut, Menschlichkeit und Verantwortung zusammentreffen, wird das Unmögliche möglich.

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Dennis Kissel © privat

Ohne das ehrenamtliche Engagement vieler wäre all das nicht möglich gewesen. Ehrenamt macht möglich, was sonst unmöglich bliebe. Es ist das Fundament, auf dem weite Teile unseres gesellschaftlichen Lebens stehen – still, verlässlich und von unschätzbarem Wert.

Da möchte man doch mitmachen. Wir sind bei Rotary und Rotaract – also genau in den richtigen Organisationen, um auch künftig aus scheinbar unmöglichen Geschichten gelebte Wirklichkeit zu machen.

Es kommt nur darauf an, es zu tun – ganz einfach zu tun.

--> Aus: Rotaract News