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Titelthema

Im Geist der Gemeinschaft

Titelthema - Im Geist der Gemeinschaft
Kirche in Rheine: Die ehemalige Kirche St. Konrad in Rheine ist heute das Fitnessstudio „The Church" © Theodor Barth

Kirchengemeinden brauchen keine neuen Träger, sondern Unterstützer. Die Lösung liegt in der Erkenntnis als Gemeingut, mit aller Konsequenz gemeinsamer Verantwortung.

Helmut-Eberhard Paulus01.09.2025

Vor genau 200 Jahren übernahm Ludwig I. die Regentschaft als Bayerns König und suchte sogleich die Schäden der Säkularisation rückgängig zu machen. Schon als Kronprinz war es ihm ein Anliegen, religiöse Gemeinschaften wieder zurück in die säkularisierten Kirchenbauten zu bringen. Verstaatlichte Kirchen und Klöster waren in Folge der Säkularisation vielfach durch Privatisierung oder Verfall, durch Umbauten oder Teilabbruch des sakralen Charakters beraubt worden. Zielbewusst suchte Ludwig, sie religiösen Nutzungen und lebendigen Gemeinschaften wieder zuzuführen, um zukünftigen Generationen ein vom Leben getragenes Kulturgut zu bewahren.

Die frühe und radikale Säkularisation in Bayern ist ein Musterbeispiel dafür, dass staatliche Trägerschaft keine allein selig machende Patentlösung sein kann. Dies schon gar nicht, wenn die adäquate Nutzung auf zukünftige Generationen nicht zu sichern ist. Vor dieser Problematik stehen wir, ausgelöst durch den demografischen Wandel. Zahlreiche Gebäude können von den Kirchen allein nicht dauerhaft unterhalten werden. Insbesondere die örtlichen Kirchengemeinden stehen vor der Frage, wie sie bei kleiner werdender Gemeinde und sinkendem Kirchensteueraufkommen ihre Bauten in angemessener Nutzung halten können.

Über Jahrhunderte waren es überwiegend die einzelnen kirchlichen Gemeinden, die ihre Bauten engagiert unterhielten und auch als Denkmale in allgemeine Wertschätzung brachten, mit oder ohne staatliche Unterstützung, aus eigener Kraft oder mit Zuschüssen der Kirchensteuer. Über Jahrhunderte wurden sie zu Kulturträgern, weil sie aus dem religiösen Auftrag heraus Kulturgut von Menschen für Menschen in Wert setzten, um den Bezug zum Göttlichen und Menschlichen für die Sinne erfahrbar zu machen. Diesem Auftrag sind sie verpflichtet, um den ganzen Menschen im Blick zu haben, in seinen täglichen Bedürfnissen wie auch im kulturellen Selbstverständnis zwischen dem Erbe der Geschichte und der Verheißung auf die Zukunft.

Auch Kirchenbauten leben nicht nur architektonisch, sondern primär aus der Beziehung zum Menschen. Denkmalpflegerisch sind sie eine Gesamtaufgabe, die nicht nur materielle Zeugnisse erfasst, sondern den geistigen Kontext in die Weitergabe einschließen muss. Mit dem Erhalt des beispielhaften Kirchturms ist es allein nicht getan, auch die Botschaft gilt es sinnhaft wie sinnlich zu vermitteln.

Kirchen sind die Orte lebendiger Gemeinden – dies gilt übrigens auch für Synagogen, Moscheen und Pagoden. Schon aus ihrer religiösen Wurzel sind sie besondere Orte der Begegnung von Menschen untereinander und zu Gott. Sie schaffen Raum für Kommunikation und kulturellen Austausch, sind geschützte Orte für geistigen Freiraum oder Rückzug, Refugien der Stille oder Kontemplation, der Trauer oder Erbauung, aber auch der Liturgie und der Meditation.

Kirchenbauten sind nicht radikal, sondern eine Einladung an alle, die sich zum Besuch berufen fühlen. Sie sind keine öffentlichen Plätze, sondern geschützte Räume tiefster Menschfindung. Dieser Aufgabe entsprechend stehen sie allen Menschen guten Willens weit offen, besonders den Suchenden. Als außergewöhnliche gesellschaftliche Räume schließen sie die Wunden des öffentlichen Raums. Sie sind ein kulturelles Erbe, weil sie menschliche Leistungen in Wertschätzung bringen und damit Zeugnis für das Menschsein in Gemeinschaft ablegen.

Nach dem christlichen Prinzip des Teilens sehen sich die Kirchen von jeher in der Pflicht, ihre Räume der Allgemeinheit zu öffnen, als Orte der Versammlung oder der örtlichen Gemeinschaft, als Orte der Ruhe oder des Rückzugs. Diesem Selbstverständnis entsprechend ermöglichen sie das Erlebnis der Künste, sind gar selbst Akteure zwischen künstlerischem Auftrag und Präsentation. Die stadtbildprägende Rolle von Kirchenbauten muss nicht extra betont werden, obgleich sie viel zu wenig gesellschaftliche Anerkennung findet. 

Wer jemals Gründer oder Vorstandsmitglied eines Kirchenbauvereins war, der weiß, welch hoher Wert dem menschlichen Engagement zukommt, aber auch wie viel Überzeugungskraft es bedarf, die Mitbürger zur guten Tat des Mitmachens "anzustiften" oder öffentliche Träger zu ihrem Gemeinschaftsbeitrag zu "animieren". Dabei ist gemeinschaftliches Engagement das unschätzbare Kapital, der Einsatz für die eigene Sache ein spürbarer Anreiz und die Verantwortung für die sinnhaft gemeinsame Sache das entscheidende Motiv zur Tat. Sie waren auch Motivation für Schenkungen und Stiftungen über Jahrhunderte.

Es wäre fatal, den Motivierten das Selbstwert stiftende Mandat zu entziehen. Denn bei aller Last liegt in der Trägerschaft schon Motivation. Sie verbindet sich untrennbar mit dem Motiv, die kulturelle Ausstrahlung
und sakrale Aura der anvertrauten Bauten zu bewahren, um sie als Zeugnisse eigenen Menschseins verständlich werden zu lassen. Es wäre unverantwortlich, die jetzt zwischenmenschlich organisierte Fürsorge für das Gemeinschaftsanliegen "Unsere Kirche" technokratisch anonymen Formen des Staats zu überantworten, eines Staats, der an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit stößt.

Zudem würde man damit die erfahrenen Träger zu Bittstellern degradieren, die Fördervereine und Initiativen als unterstützende Akteure entmündigen und den religiösen Gemeinschaften das eigene Aktionsfeld, auch die Basis ihrer gesellschaftlichen Bedeutung, entziehen. Mit vergleichbarer Argumentation könnte man vorschlagen, die Spielfelder der Fußballvereine staatlicher Trägerschaft zu überantworten, um eine biologisch diverse – ökologisch vielleicht sinnvolle – Bepflanzung der Rasenflächen durchzusetzen.   

Den Entzug der Trägerschaft mit dem Schutz des Kulturerbes rechtfertigen zu wollen, überzeugt nicht. Kirchliche Gemeinschaften haben ihren Bauten und deren Ausstattung die Wertschätzung als Denkmale schon zukommen lassen, bevor Denkmal- und Kulturgutschutz im 19. Jahrhundert zum Teil des Gemeinwohls wurden.

Die Frage, die sich mit dem demografischen Wandel stellt, ist eine ganz andere: Wie kann man den bisherigen Trägern helfen, wenn sie an die Grenze der Leistungsfähigkeit gelangen? Wie kann man Kirchengemeinden, die seit Jahrhunderten ihre Bürde schulterten, unter die Arme greifen, ohne aus der Not eine materielle und religiöse Enteignung werden zu lassen?

Das vorrangige Ziel muss es sein, Menschen zu aktivieren, die in der Erhaltung "ihrer Kirche vor Ort" eine sinnvolle Aufgabe sehen. Dabei können Stiftungen helfen, ebenso öffentliche Fördermodelle, die das Eigenengagement der Gemeinden stützen. Doch wird sich mit der Etablierung von Stiftungen allein das Problem nicht lösen lassen, erst konkrete Förderung wird die Finanzierungsdefizite abbauen.

Die Kirchengemeinden brauchen keine neuen Träger, sondern Unterstützer. Auch eine säkulare Stiftung für kirchliche Bauten kann nur die Notlösung sein. In der Variante des "architektonischen Kirchenasyls" mag sie nackte Existenz kurzfristig sichern, doch das erfüllende Ziel kann sie nicht sein. Auch staatliche Trägerschaften für kultische Räume sind in der Praxis unbefriedigende Zwitterlösungen.

Die Lösung liegt in der Erkenntnis als Gemeingut, mit aller Konsequenz gemeinsamer Verantwortung. Gemeingut darf jedoch nicht Vergesellschaftung im Sinne von Zwangskollektivierung sein, sodass die bisherigen Akteure aus der Verantwortung gedrängt werden.

Kirchenbauten als ein Gemeingut zu erkennen, bildet den Anfang. Daraus die Gemeinverantwortung abzuleiten, ist der nächste Schritt. Doch muss sich damit ein Gemeinschaftsgeist spiegeln, der bestehende Motivation nicht entzieht, sondern ihr Hilfestellung gibt. Das Ziel bleibt die Symbiose, wie sie von örtlichen Gemeinden seit Menschengedenken praktiziert wird. Doch sie bedarf nun der Anpassung, also der zusätzlichen Beteiligung von Partnern zur Bewältigung der gemeinsamen Aufgabe.


Die Minoritenkirche

Die Minoritenkirche in Stein an der Donau, einem Ortsteil der niederösterreichischen Stadt Krems, ist ein eindrucksvolles Zeugnis mittelalterlicher Sakralarchitektur und zählt zu den ältesten erhaltenen Bettelordenskirchen nördlich der Alpen.

Im 13. Jh. errichtet, geweiht im Jahr 1264, war sie ursprünglich Zentrum eines
Minoritenklosters.

1796 wurden Kloster und Kirche säkularisiert, das Gebäude wurde profaniert und diente unterschiedlichsten Zwecken – vom Lagerraum bis zum Feuerwehrdepot. Heute lebt die Kirche als Veranstaltungsraum unter dem Namen Klangraum Krems weiter und bildet einen ungewöhnlichen Ort für zeitgenössische Musik, Klangkunst und interdisziplinäre Festivals.

Bis 2004 fand eine neuerliche umfassende Renovierung des Kirchengebäudes statt, die historische Architektur mit moderner Veranstaltungstechnik verbindet. Neben dem Hauptschiff werden auch der ehemalige Kreuzgang und Klostertrakte für Ausstellungen, Konzerte, Lesungen oder Symposien genutzt. So wird sakraler Raum zur kulturellen Bühne.

Helmut-Eberhard Paulus

Prof. Helmut-Eberhard Paulus, RC Regensburg-Millennium, ist Jurist, Kunsthistoriker und Denkmalpfleger. Er lehrte an verschiedenen Universitäten und war Direktor der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten.