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Spiegel göttlicher Kunst

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Altensteiner Park: Den Mittelpunkt bildet das Schloss im Stil der englischen Spätrenaissance, einst Sommerresidenz der Meininger Herzöge. © Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn

Der Mensch als Gärtner: In dieser ältesten Berufung liegen nachhaltige Chancen für Mensch und Natur. Wer einen Garten nicht pflegen kann, wird auch die Welt nicht retten können.

Helmut-Eberhard Paulus01.02.2025

Vor 400 Jahren veröffentlichte der englische Staatsmann und Philosoph Sir Francis Bacon einen Hymnus auf die Gartenkunst. In den vielen Neuauflagen bis heute spiegelt sich die Popularität dieses schon 1609 verfassten und später in die Essays übernommenen Werks, das bildreich in jene Gartenlust einstimmt, die den Briten zur Nationalfolklore wurde.


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„GOD Almightie first Planted a Garden. And, indeed, it is the Purest of Humane pleasures. It is the Greatest Refreshment to the Spirits of Man; Without which, Buildings and Pallaces are but Grosse Handy-Works.“ Selbst in sinngemäßer deutscher Übersetzung beeindrucken Bacons Worte noch durch die gekonnte Verbindung gedanklicher Fülle mit farbiger Sprache: „Als Erstes pflanzte Gott der Allmächtige einen Garten. Und dieses zu tun, ist in der Tat den Menschen das reinste Vergnügen. Größte Labung spendet er dem menschlichen Geist. Ohne ihn sind Häuser und Paläste nichts als grobe Gewerke.“ Folgt man den wohlgesetzten Worten, dann lässt sich in der Vollkommenheit des Gartens ein Spiegel göttlicher Kunst erkennen. Doch selbst wenn man diesen Anspruch nicht teilen wollte, sind Gärten auch jenseits von Religion und Philosophie und unabhängig von allen Weltanschauungen und Kulturkreisen ausgewiesene Orte der Ruhe und Entspannung, der Kontemplation und sensuellen Erfüllung. Gleichzeitig sind sie Oasen der Natur und damit wesentliche Elemente eines ausgeglichenen ökologischen Systems der Schöpfung – sofern sie artgerecht gepflegt und bedarfsgerecht unterhalten werden.

Mit der Natur im Einklang

2025, Spiegel göttlicher Kunst
Blick zum Rokokoschloss © Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, Dr. Fanny Rödenbeck 

Dem Ethos einer uns auf Zeit anvertrauten Schöpfung entsprechend hat der Mensch die Natur im Einklang mit ihr zu gestalten, sie also nicht nur zu bewahren, sondern neue Naturräume zu schaffen und zu kultivieren und damit Gestaltungsfreiheit mit Verantwortung zu verbinden. Dies nennt man dann Kultur. In poetischen Worten hat Bacon dieser ethischen Selbstverständlichkeit keinen fordernden Charakter verliehen, sondern das Prädikat des reinsten Vergnügens. Heute wäre man geneigt, einen derartigen Superlativ auf die menschliche Selbstverwirklichung zu beziehen. Doch dies bedarf der Mäßigung, schon im Blick auf die von Bacon eindeutig vertretene Philosophie, dass der Mensch die Natur nur beherrschen könne, wenn er sie kenne und ihr auch folge.

Mit wenigen Worten stellt Bacon klar, dass Gärten und Parkanlagen Orte menschlicher Erbauung sind. In ihnen spiegelt sich die alte Paradiesvorstellung in vielfältiger Gestalt, doch immer als Hort des Lebens und Zusammenlebens. Selbst was abstirbt, findet im Wege der Metamorphose zu neuem Leben, solange man den Gesetzen der Natur folgt. Dieser Kreislauf, der sich in Tageszeiten, Jahreszeiten und wechselndem Wetter niederschlägt, der ein- und denselben Gegenstand in immer neuer Fassung, in anderem Klang und Licht erscheinen lässt, ist das faszinierende Geheimnis der Gärten.

Doch Bacon vermittelt nicht minder, dass die Frucht der Erbauung und Inspiration durch den Garten den aktiven Menschen vorbehalten ist. Nicht nur das Gärtnern, auch der wahre Genuss wird erst durch die Tat zum reinsten Vergnügen. Darin unterscheiden sich die Gärten und Parks unserer Welt vom verlorenen Paradies.

Schon seiner Bestimmung entsprechend kann ein Garten also nicht pflegefrei sein. Auch das von unseren britischen Nachbarn perfektionierte Gärtnern ist fast ein Inbegriff des pflegsamen Umgangs in jenem geschützten Lebensraum, der durch individuelle Gestaltung besonders vielen Arten eine Chance bietet. Als Mensch muss man sich dabei ständig bewusst werden, dass man nicht allein ist auf dieser Welt, sondern selbst ein Teil des kosmischen Biotops ist, dem man nur etwas entnehmen darf, wenn man selbst etwas zurückgibt. Ernten und Gießen, Genießen und Versorgen, Wachstum und Pflege, Leben und Lebenlassen ergänzen sich gegenseitig in notwendiger Bedingung. Insofern ist ein Garten eine zutiefst soziale Einrichtung, nicht auf die menschliche Gesellschaft beschränkt, sondern nach dem übergreifenden Prinzip und System der Natur.

Ein umfassender Gestaltungsauftrag

Im Garten liegt die Chance, die Herausforderungen der Natur als bereichernden Gestaltungsauftrag zu erkennen. Wer unter einem Garten nur eine Grünanlage, unter einem Park lediglich einen öffentlichen Freiraum versteht, der hat Bacons Freude über das lohnende Vergnügen nicht verstanden, ebenso wenig das Potenzial echter Gartenkunst. Sie bietet die Chance, das Zusammenleben im großen Bogen zu gestalten, von der Koexistenz zwischen Mensch und Natur, zwischen Biotop und Ästhetik, zwischen Klima und Kultur, zwischen Geschichte und Zukunft, immer bezogen auf den großen Auftrag der Verschönerung des Landes und des Erhalts von Leben. Ein Garten ist daher die Nagelprobe auf wahres ökologisches Verhalten. Ein Park ist die praktische Gegenprobe auf vorausschauendes Denken im Sinne von Nachhaltigkeit. Der Garten ist also ein Experimentierfeld im Kleinen für die Welt im Großen. Wer den Garten schon nicht pflegen kann, der wird auch die Welt nicht retten können.

Wenn vom Sinn des kreativen Gärtnerns die Rede ist, dann soll die ästhetische Komponente des sensuellen Erlebnisses nicht fehlen. Denn auch Nachhaltigkeit muss spürbar sein, wenn sie keine leere Worthülse sein soll. So ist ein Durchschreiten und Betrachten der Gärten unverzichtbar. Nur in fußläufiger Erkundung am Maßstab und aus der Perspektive des Menschen lassen sich Natur und Kultur des Gartens gesamtheitlich erleben. Ebenso wichtig ist der Faktor Zeit, denn Natur und Kultur lassen sich nur in Zeit und Raum erfassen.

Gärten muss man auf sich wirken lassen, um ihr Wesen zu erkennen. Flaneure wissen das. Denn die hohe Gartenkunst, mit der die Potenziale der Natur optimiert und zu höchstem Genuss der Menschen entwickelt werden, bedarf der Entdeckung. Mag schon der Genuss sich nicht jedem Menschen eröffnen, so ist die besondere Befähigung, Räume im Sinne kunstvoll überhöhter Natur zu gestalten, noch kostbarer. Sie bedarf der besonderen Kunstfertigkeit, mit lebenden Pflanzen bildhaft zu gestalten. Auch ist Erfahrung im Umgang mit den Elementen der Natur nötig und vor allem die Begabung mit dem Ideal, notwendige Gartenarbeit als einen Abglanz paradiesischer Wirklichkeiten zu empfinden. Vor die Schönheit der Gärten und die ansprechenden Bilder der kultivierten Natur haben die Götter also den Schweiß, vor den Erfolg hoher Blüte und faszinierender Ausblicke die menschliche Beharrlichkeit gesetzt.

Herausforderung für die Gartenkunst

2025, Spiegel göttlicher Kunst
Frühlingsblumen im Rundbeet vor dem Rokokoschloss aus dem 18. Jahrhundert © Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, Dr. Fanny Rödenbeck 

Die enge Bindung der Gartenkunstwerke an die Natur setzte schon früh bedeutungsmäßige Bezüge zum Paradies. So wurden die Gärten bei aller räumlichen Beschränkung einerseits zur Metapher der idealen Natur, andererseits zur Spielwiese visionärer Ideen einer anderen Welt. Gerade die Vorstellung vom Garten Eden bot das eindrücklichste Paradigma zur Gestaltung des idealen Gartens. Die Ideale betonten mal die Abgeschlossenheit des Refugiums, mal die Ausstattung mit außergewöhnlichen Pflanzen, mal die malerische Gesamtwirkung. Im Wandel der Vorstellungen von Harmonie folgte dem Garten in der geometrisch berechenbaren Ordnung eine Inszenierung schöner Blickbeziehungen. Der Paradigmenwechsel im 18. Jahrhundert führte zur Idealisierung des Naturbilds, mit teils romantischer, teils idealistischer Attitüde, wie dies etwa im Altensteiner Park in Bad Liebenstein nachvollzogen werden kann.

Heute müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Natur auf der gesamten Erde nur noch in der vom Menschen relativierten Form existiert. Mit dem Klimawandel wird der Einsatz des Menschen jetzt unverzichtbar, denn Mensch und Natur befinden sich längst in einer Schicksalsgemeinschaft, in der sie ohne den anderen nicht überleben können. Dies mag eine ebenso apokalyptische wie realistische Feststellung sein. Doch es gilt, daraus die Hoffnung zu gewinnen, im kunstvollen Umgang mit der Natur jene Refugien zu kultivieren, die das Überleben gleichermaßen von Mensch und Natur sichern. Das Vorbild des Gartens Eden mag uns inspirieren, obgleich ein naturgerechtes Engagement heute deutlich mühseliger und gefährdeter sein dürfte als zu paradiesischen Zeiten.

Jedenfalls sieht sich die Gartenkunst heute vor neue Aufgaben gestellt. Sie hat mit den Gärten nun Reservate als Gegenmodelle zu unserer Konsum- und Wegwerfgesellschaft zu schaffen. Als Refugien der Metamorphose und zugleich einer Kunst, die sich auch funktional in die Naturräume einfügt, haben unsere Gärten das Überleben menschlicher Kultur ebenso zu sichern wie die prägende Artenvielfalt der Natur. Es gilt, den Funktionsabläufen der Natur eine ästhetische Dimension und den Artefakten eine systemische Funktionalität zu verleihen, die über alle künstlerische Selbstverwirklichung hinaus die Symbiose zwischen Mensch und Natur nachempfinden lässt. Die ökologischen und klimatischen Herausforderungen der Gegenwart zeigen, dass Gärten und Parks keine Alibiveranstaltungen sind, sondern schlicht notwendig zur Sicherung der Lebensqualität und zum Schutz der Umwelt. 

Helmut-Eberhard Paulus

Prof. Helmut-Eberhard Paulus, RC Regensburg-Millennium, ist Jurist, Kunsthistoriker und Denkmalpfleger. Er lehrte an verschiedenen Universitäten und war Direktor der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten.

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