Containment
Eine Welt ohne Polio – und was dann?
"We are this close – Wir sind so dicht dran": Mit diesem Slogan wirbt Rotary International seit Jahren für die weltweite Unterstützung im Kampf gegen die Kinderlähmung. Aber was kommt danach?
Auch wenn die WHO – die Weltgesundheitsorganisation – aktuell die Eradikation der Polio-Wildviren für Ende 2026 als Ziel vorgibt, wird in der GPEI – der Globalen Polio Eradication Initiative (der Zusammenschluss von WHO, Rotary International, UNICEF, Gates-Stiftung, der US-amerikanischen Behörde CDC und der GAVI/Internationale Impfallianz) – schon lange über "die Zeit danach" nachgedacht. Davon soll – der Verfasser ist schon lange in diesen Prozess eingebunden – hier kurz berichtet werden.
Mit der endgültigen WHO-Zertifizierung der Beseitigung der Wildviren ist eng verbunden der Begriff "Containment", am besten übersetzt mit "sichere Aufbewahrung". Es geht dabei um klare Richtlinien im Umgang mit Polio-Viren, die nach definitiver Ausrottung der Wildviren in der freien Natur an anderen Stellen durchaus noch länger vorkommen können. Zu solchen Reservoirs gehören vor allem Institutionen, die mit virulenten Erregern arbeiten. Dies sind Impfstoff-Hersteller, die für die Herstellung von Impfstoffen, in diesem Fall Polio-Impfstoffe, zunächst noch auf virulente Viren angewiesen sind. Dann gehören auch Forschungslabore dazu, die an der Weiterentwicklung von Impfstoffen forschen und arbeiten. Und dann – und das ist besonders riskant – gehören dazu die weltweit ungezählten Labore und Klinikeinrichtungen, in denen potentiell infektiöses Material (PIM) aufbewahrt wird. Dies können Stuhlproben oder auch Auswurfmaterial sein, die zu Untersuchungs- und Kontrollzwecken tiefgefroren oft über lange Zeit aufbewahrt werden. Stammen sie noch aus Zeiten, in denen Polioviren weltweit verbreitet waren, können diese Materialien durchaus die Viren enthalten und diese können bei unsachgemäßem Umgang frei gesetzt werden – mit verheerenden Folgen.
Um hier einen möglichst hohen Sicherheitsstandard zu erreichen wurde von der GPEI unter Führung der WHO eine Abteilung "Containment" eingerichtet. Dazu gehören eine "Containment Aktions-Gruppe" (CAG) und eine "Containment Management-Gruppe" (CMG), der der Verfasser als RI-Vertreter angehört. Die CMG trifft sich regelmäßig monatlich, in letzter Zeit zunehmend virtuell. Über diese Arbeit und die Ergebnisse soll abschließend kurz berichtet werden. Wie bereits erwähnt, geht es dabei vor allem um klare Richtlinien für Polioviren-verarbeitende Manufakturen (PEFs –Polio Essential Facilities) und um Identifizierung und Umgang mit potentiell infektiösem Material. Ende 2023 gab es nach Kenntnis der WHO weltweit in 23 Ländern Polioviren-verarbeitende Manufakturen, zur Herstellung von Impfstoffen oder zu Forschungszwecken. Insgesamt waren das nach heutigem Stand 69 Betriebe. Polio-Impfstoffe werden in Westeuropa vor allem in Frankreich, Belgien und den Niederlanden hergestellt. In Deutschland gibt es keine entsprechenden Einrichtungen. Die erwähnten 23 Länder haben sich verpflichtet, nationale Behörden (NACs – National Authorities for Containment) einzurichten, die die genannten Betriebe nach klaren Richtlinien zertifizieren, wenn sie den WHO-Richtlinien entsprechen. Dazu gehören vor allem eine sorgfältige Umweltüberwachung (Abwasser und mehr), um ungewollt freigesetzte Viren zeitnah zu erfassen und regelmäßige Notfall-Übungen für solche Fälle.
Nach Maßgabe der GPEI soll auch die Zahl der mit Polioviren arbeitenden Betriebe möglichst reduziert werden, um das Bio-Risiko klein zu halten. Nur Betriebe, die nach diesen Richtlinien zertifiziert wurden, dürfen dann noch Polioviren vorrätig halten und damit arbeiten. Lediglich China und Rumänien haben sich diesen WHO-Vereinbarungen bisher nicht angeschlossen und keine Nationale Containment-Behörde gemeldet.
Zuletzt damit verbunden ist auch die Aufforderung, alles nicht benötigte Polio-Material zu vernichten, gegebenenfalls auch nur potentiell infektiöses Material. Nach Eradikation der Polio- Wildvirusstämme Typ 2 (2015) und Typ 3 (2019) werden für neue Impfstoffe ganz überwiegend der Typ 1 und zur Herstellung genetisch stabiler "neuer Schluckimpfstoffe" Typ 2 benötigt – vor allem, um dem Problem der "Impfstoff-abgeleiteten Poliomyelitis" begegnen zu können. Die Entwicklung von Impfstoffen, die zu ihrer Herstellung ganz ohne virulentes Virusmaterial (Virus-like Particles) wird zur Zeit intensiv verfolgt und kann viele Probleme lösen.
Dieser kurze Überblick soll zeigen, dass auch nach der erhofften WHO-Zertifizierung 2026 noch genügend Aufgabenfelder bleiben. Ob und wie Rotary International dann noch daran beteiligt ist, wird abzuwarten sein.
Ekkehart Pandel
Past-RI-Director
RC Bückeburg