Nature Writing
Martin Windrow: Die Eule, die gern aus dem Wasserhahn trank
Die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft: 15 Jahre lang lebte der Autor mit einer Eule. Sie jagte Schnürsenkel, machte waghalsige Flugmanöver und kuschelte gern. Eine Leseprobe.
Martin Windrow: Die Eule, die gern aus dem Wasserhahn trank, Hanser Verlag, 2015, 318 Seiten, 1990
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Eine Rasur wird zur Herausforderung mit einer Eule auf der rechten Schulter. Widme ich mich der rechten Halsseite und führe das Rasiermesser nach oben, stößt Mumble mit dem Schnabel nach dem Griff, blitzschnell wie eine Schlange. Bearbeite ich die linke Halsseite, nutzt Mumble – mit ungetrübter Neugier, trotz enttäuschender Erfahrungen – die Chance, von der rechten Seite fürsorglich Seifenschaumklümpchen wegzupicken. Der Geschmack scheint ihr nicht zu behagen; nachdem sie ein paarmal nachdenklich geschmatzt hat, niest sie ein bisschen (Tsnit!), und der Schaum bleibt größtenteils an ihren Schnabelborsten hängen. Dennoch hüpft sie manchmal auf den Waschbeckenrand und betrachtet höchst interessiert den auf dem Wasser schwimmenden Rasierschaum. Es fühlt sich herrlich an, ihr Gefieder an meinem nackten Bauch zu spüren, warm und samtweich.
Ich wollte sie dazu bringen, über meinen Nacken zur linken Schulter zu wandern, wenn ich links mit Rasieren fertig bin, aber Mumble bevorzugt nun mal die rechte Schulter und ist – genau wie ich – so früh am Tag allen Neuerungen abhold. Wir laufen morgens beide auf Autopilot, und diese eingeschränkte Fähigkeit, sich in den ersten Stunden des Tages zu orientieren, verbindet uns.
Der Rasierspiegel reflektiert zwei Augenpaare – eins davon blau und gerötet, das andere glasig schwarz – nebeneinander in einem schmuddeligen Chaos aus nassem Haar, Rasierseife und Federn. In beiden Augenpaaren meine ich die vertraute morgendliche Kombination zu erkennen – Apathie und einen gewissen Argwohn, was der Tag wohl bereithalten mag: für mich unheilvolle braune Sichtfensterkuverts; für Mumble vielleicht eine lästige zerfranste Feder unter den linken Handschwingen. Weshalb sollte ich ihre Probleme vergrößern, indem ich ihr radikale Neuerungen aufzwinge, etwa die, mir beim Rasieren von der linken Schulter aus zu assistieren? Wir kriegen das hin; wir kriegen das so gut hin, dass ich oft gar nicht mehr merke, auf welch bizarre Weise ich mich in den drei Jahren unseres Zusammenlebens angepasst habe.
Oktober 2013
Mumble gehörte damals so sehr zu meinem Leben, dass mir das Kuriose unserer Beziehung eigentlich nur noch zu Bewusstsein kam, wenn ich erstaunte Reaktionen erntete. Manch neue Bekanntschaft trat angesichts eines Lektors, der im siebten Stock eines Hochhauses in South London mit einem Waldkauz zusammenlebte, nachdenklich den Rückzug an. Wer Exzentriker hingegen faszinierend fand, fühlte sich angesprochen – teils so sehr, dass ich zu Weihnachten und am Geburtstag jahrelang eine wahre Flut von Eulenkarten erhielt. (Anfangs fand ich das ja rührend, auf lange Sicht war es aber doch etwas ermüdend.) Andere erkundigten sich allerdings durchaus – meiner Meinung nach zuweilen ziemlich schonungslos – nach der Praktikabilität meiner häuslichen Situation. Ich versuchte zwar geduldig zu antworten, fand es aber schwer, die direkte Frage »Ja, aber ... warum?« kurz und bündig zu beantworten; meine beste Antwort lautete schlicht: »Warum nicht?«
Es ist mir peinlich, wenn ich daran zurückdenke, dass ich in einer solchen Situation einmal wie ein nerviger Klugscheißer reagiert habe: »Schauen Sie – ich lebe seit zwei Jahren mit ihr zusammen. Sie kostet mich etwa 20 £ im Jahr, alles inklusive. Sie ist außerordentlich hübsch und amüsant. Sie ist anschmiegsam, ohne zu klammern, und sie duftet so gut. Es ist ihr egal, um welche Uhrzeit ich nach Hause komme, sie plappert nicht beim Frühstück, und es passiert eher selten, dass wir uns darüber streiten, wer welchen Teil der Sonntagszeitung kriegt.« Nachdem mir klargeworden war, welche Rückschlüsse derlei Phrasen auf meine Einstellung zu menschlichen Paarbeziehungen zulassen könnten, strich ich sie schnell aus meinem Gesprächsrepertoire.
Lernten die Leute Mumble dann kennen, bedurfte es meist keiner weiteren Erklärungen mehr. Was für Vorurteile sie auch immer gehegt haben mochten – kaum standen sie zum ersten Mal diesem Käuzchen gegenüber, hellten sich ihre Züge auf und wurden weich. In Mumbles erstem Jahr, als auch Fremde sie noch ohne trennendes Glas oder Drahtgeflecht betrachten konnten, ertönte dann meist ein verwunderter Ausruf (»Oh! ... wie wunderschön sie ist!«), und gleichzeitig streckten die Besucher instinktiv – es sei denn, ich hatte daran gedacht, sie zu warnen – die Hand aus, um Mumble zu streicheln.
Weniger erfreulich allerdings war die Erfahrung, dass die betreffende Person, selbst wenn man sich nach Jahren wiedersah, meist spontan sagte: »Aber ja, natürlich – der Eulenmann!« Seitdem tröste ich mich mit dem Gedanken, dass es weit negativere Gründe gibt, Menschen (egal wie vage) in Erinnerung zu bleiben. ...
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