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Mehr Schein als Sein?

Immer mehr Konzerne setzen nicht mehr auf starre Frauenquoten, eines der wichtigsten Gleichstellungssymbole. Was dahintersteckt
Bunt, progressiv und verantwortungsvoll – mit Regenbogenlogos, ausgefeilten Gleichstellungsstrategien und Diversitätsberichten. So präsentieren sich viele Konzerne. Doch hinter dieser Fassade zeichnet sich nun ein Trend ab: Immer mehr Unternehmen scheinen sich still von festen Frauenquoten und klar messbaren Gleichstellungszielen zu verabschieden – einem der sichtbarasten und politisch symbolträchtigsten Instrumente moderner Gleichstellungspolitik. Das wirft eine Frage auf: Stehen wir am Ende eines gesellschaftlichen Fortschritts?

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Diversity, Equity und Inclusion
Um das zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Leitbilder, die bislang als Maßstab galten: Diversity, Equity und Inclusion – kurz DEI. Sie stehen für Gerechtigkeit, Innovationskraft und zukunftsfähige Unternehmenskulturen. Die Frauenquote gilt dabei als Gradmesser des Erfolgs: mehr als eine bloße Zahl – ein öffentliches Versprechen, die Arbeitswelt fairer zu gestalten. Die Quote wurde in Deutschland erstmals 2015 eingeführt, damit Frauen die Chance haben, in Aufsichtsräte großer Unternehmen einzuziehen. Doch das scheint nun ins Wanken zu geraten.
Im Mai überraschte SAP mit der Ankündigung, das Ziel eines 40-prozentigen Frauenanteils in Führungspositionen bis 2030 nicht weiterzuverfolgen. Stattdessen soll ein "Business Health Culture Index" das Wohlbefinden aller Mitarbeiter messen. Kritiker befürchten, dass der Frauenanteil dadurch wieder sinkt, da Fortschritte weniger sichtbar bleiben. "Ein einzelnes Ziel kann der Vielfalt nicht gerecht werden", begründet SAP-Personalchefin Gina Vargiu-Breuer. Damit meint sie: Vielfalt allein kann nicht durch eine starre Prozentzahl oder ein Ziel gemessen werden.
Ähnliche Signale senden andere Großunternehmen. So verzichtet die Deutsche Bahn zunehmend auf feste Quoten und setzt stattdessen auf einen "Kulturwandel". "Vielfalt bleibt wichtig, muss aber von innen wachsen", heißt es auf Anfrage aus dem Konzern. Auch die Commerzbank verfolgt einen ähnlichen Kurs und fördert stattdessen "persönliche Entwicklung statt formaler Zielvorgaben".
Siemens Energy hat sich in den USA diesem Trend zuletzt angeschlossen und plant, künftig auf Frauenquoten und genderbezogene Förderprogramme zu verzichten. Intern prüft das Unternehmen, ob ähnliche Anpassungen auch außerhalb der USA nötig sind. Dabei hat Siemens Energy erst 2020 eine Frauenquote von 25 Prozent in den Führungsetagen eingeführt. Aktuell liegt der Anteil bei 24 Prozent.
Im Gegensatz dazu hält die Deutsche Telekom zwar an ihrem Ziel von mindestens 30 Prozent Frauen in Führungspositionen fest. Vorstandschef Timotheus Höttges erklärte auf der Hauptversammlung im April 2025: "Vielfalt ist kein Ziel, sondern die Basis nachhaltigen Erfolgs." In Deutschland liegt der Anteil weiblicher Führungskräfte bei knapp 30 Prozent. International engagiert sich das Unternehmen mit unterschiedlichen Diversity-Programmen.
Anders sieht es aber in den USA aus: Dort hat die US-Tochter T-Mobile seit 2024 die DEI-Programme weitgehend eingestellt. "Wir sind unseren Werten verpflichtet und achten zugleich auf die vollständige Einhaltung aller rechtlichen Vorgaben", heißt es.
Wokeness als politisches Feindbild
Diese Doppelstrategie – öffentlich sichtbares Bekenntnis zur Gleichstellung in Deutschland und Europa bei gleichzeitigem Rückzug von DEI-Programmen in den USA – zeigt den globalen Balanceakt vieler Konzerne. "Aus meiner Sicht ist dieser Schritt weder nachvollziehbar noch notwendig", sagt Heike Leise, Mentorin für Führungskräfte. Die vergangenen 80 Jahre haben eindrücklich bewiesen: Freiwillige Selbstverpflichtungen bewegen kaum jemanden dazu, die Komfortzone zu verlassen und Systeme so zu verändern, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung berücksichtigt wird.
Doch die Unternehmen ziehen sich nicht ohne Grund zurück: Denn die US-Regierung unter Donald Trump verschärft die Rahmenbedingungen für Diversity-Maßnahmen. "Es handelt sich um einen rein juristischen Schritt, um geltendem US-Recht zu entsprechen", sagt Maria Ferraro, Vorstandsmitglied von Siemens Energy. Die USA sind zum Epizentrum eines Kulturkampfes geworden, in dem Diversity, Equity und Inclusion zunehmend als "woke" diffamiert und bekämpft werden. Bereits 2020 hatte Präsident Donald Trump verpflichtende Diversity-Schulungen bei Bundesbehörden per Dekret verboten. Obwohl das Dekret 2021 von Präsident Biden aufgehoben wurde, hat sich die Lage 2025 mit Trumps erneuter Rückkehr zur Macht zugespitzt. Neue Executive Orders verbieten DEI-Programme in Bundesbehörden und setzen private Unternehmen unter Druck, Initiativen abzubauen.
Die deutsche Realität
Deutsche Tochtergesellschaften amerikanischer Unternehmen reagieren, indem sie auf ihren US-Webseiten Diversity-Ziele entfernen oder Programme zurückfahren. Und in Deutschland selbst gilt zwar seit 2016 für börsennotierte Unternehmen mit paritätischer Mitbestimmung eine Frauenquote von mindestens 30 Prozent im Aufsichtsrat. Seit 2021 müssen größere Vorstände mindestens eine Frau aufnehmen. Umgesetzt wird es aber längst nicht immer: Laut DIW-Managerinnen-Barometer 2025 liegt der Frauenanteil in den Vorständen der 200 umsatzstärksten Unternehmen bei rund 18 Prozent. Erschreckend ist, dass 44 Prozent dieser Unternehmen noch keine einzige Frau im Vorstand haben – insbesondere in Industrie und Bauwirtschaft bleibt die Quote oft Theorie.
Vor allem bei Familienunternehmen zeigt sich ein klares Bild: Laut der aktuellen AllBright-Studie 2024 beträgt der Frauenanteil in den Geschäftsführungen der größten Familienunternehmen nur rund 12,6 Prozent, in komplett familiengeführten Betrieben sogar weniger als fünf Prozent. Tief verwurzelte patriarchale Strukturen erschweren den Wandel – im Gegensatz zu börsennotierten Unternehmen, die unter stärkerem öffentlichem Druck stehen.
Unternehmen berichten oft von "Kulturwandel" statt Quoten, doch ohne Zahlen und Kontrolle sind Fortschritte schwer messbar. "Global Player müssen eine Balance zwischen politischen und gesellschaftlichen Erwartungen finden", sagt Unternehmensberater Florian Offergelt. Er verweist auf das Beispiel Rolls-Royce, das seine DEI-Programme einstellte, aber gleichzeitig ein "Employee Voice Network" gründete, um den internen Dialog über Vielfalt fortzuführen. Für den Unternehmensberater ist klar: "Es geht weniger um eine Abkehr von DEI-Zielen, sondern um Anpassungen in Kommunikation und Struktur."
Symbolische Maßnahmen reichen nicht aus
Die Hürden beginnen oft noch weit vor der Vorstandsebene: Zugang zu Netzwerken, Mentoring, Sichtbarkeit in Projekten – und nicht zuletzt beim Gehalt. Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit, verdienen im Schnitt weniger und verfügen über geringeres Vermögen. Eine Studie des Vereins Parité in den Parlamenten zeigt: Für eine Bundestagskandidatur sind rund 35.000 Euro nötig – eine finanzielle Hürde, die viele Frauen abschreckt. Auch im Berufsleben zeigt sich: Wer keine Sicherheit hat, kann es sich oft nicht leisten, karrierefördernde Risiken wie Umzüge, Verzicht auf Elternzeit oder Überstunden einzugehen. Hinzu kommen Diskriminierungen: Fragen zu Familienplanung oder "Vereinbarkeit" sind für Frauen in Bewerbungsgesprächen häufig, für Männer kaum. Deshalb sind Maßnahmen nötig, die über Lippenbekenntnisse hinausgehen. "Feste Quoten sind zwar kein Allheilmittel, aber sie wirken – vor allem als Katalysator für strukturelle Veränderungen", sagt Berater Offergelt. Sie schaffen Sichtbarkeit, Verbindlichkeit und machen Missverhältnisse messbar.
Offergelt beobachtet aber zumindest, dass viele internationale Unternehmen ihre DEI-Ziele zwar nach außen abschwächen, intern aber weiterverfolgen. "Manche Unternehmen mögen das Thema leiser spielen, doch unter der Oberfläche wird weiter investiert – nicht zuletzt, weil diverse Teams langfristig nachweislich resilienter, kreativer und erfolgreicher sein können." Und einige beweisen, dass es auch anders geht: "Wie etwa die Allianz", ergänzt Führungsexpertin Leise. "Das Unternehmen hat sich erfolgreich transformiert – mit Teilzeitführung, Co-Leadership und Väterauszeiten", sagt die Führungsexpertin. Ein weiteres Beispiel ist Adidas, das sich bis 2025 einen Frauenanteil von 40 Prozent in den ersten beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands gesetzt hat. Andere holen zwar Frauen in den Vorstand, seien aber nicht überzeugt, was diese Frauen oft zur Mission Impossible machen. Viele hochkompetente Frauen mussten demnach schnell wieder gehen.
Zwischen zwei Welten – Europa und USA
Unternehmen stehen heute also zwischen zwei Welten: auf der einen Seite europäische Forderungen nach mehr Gerechtigkeit und Teilhabe – auf der anderen Seite amerikanischer Kapitalismus, der soziale Themen zunehmend als Bedrohung sieht. Viele Firmen schwanken zwischen öffentlichem Bekenntnis zu Gleichstellung und der Sorge vor wirtschaftlichen oder politischen Nachteilen. Sie versuchen, in Europa sichtbare Fortschritte zu zeigen, während sie in den USA ihre Diversity-Programme zurückfahren oder umgestalten.
Die aktuellen Rückzüge von festen Quoten müssen aber kein Ende des Fortschritts bedeuten, sondern können als Ausdruck einer neuen Phase gesehen werden, in der Gleichstellung neu verhandelt wird.

studierte wirtschaftspolitischen Journalismus, volontierte bei der „Wirtschaftswoche“, wurde Redakteurin beim „Manager Magazin“, bei „Zeit Online“ und ist nun Redakteurin beim „Focus Magazin“.