Meinung & Debatte
Eine zeitgemäße Clubidee?
Brauchen wir Rotary E-Clubs? Ja, unbedingt, sagt Peter Kadow
"This is a changing world; we must be prepared to change with it. The story of Rotary will have to be written again and again“, schrieb Paul Harris vor 80 Jahren. Trotz dieses Appells und der bitteren Erkenntnis, dass Rotarys Mitgliederzahlen seit 15 Jahren stagnieren, in Ländern wie Großbritannien, Japan oder den USA sogar dramatisch zurückgehen, ist es bislang aus den verschiedensten Gründen nicht gelungen, eine nachhaltige Trendwende herbeizuführen. Aktionspläne über Aktionspläne mit tollen Planzahlen, weltweite Kampagnen zur Imageverbesserung, Glühwein unter Weihnachtsbäumen – all das ist schön und gut, vermag aber unsere rotarische Basis nicht zu stärken. Und um es gleich zu betonen: Mir geht es nicht um ein rein quantitatives Wachstum (das rotarische Mantra: „Qualität vor Quantität“ habe ich bei jeder Clubneugründung x-mal gehört), sondern, wie folgender kurzer Fakten-Check belegt, um ein strukturelles.
Mitgliederentwicklung
Unsere 1036 deutschen Clubs verzeichnen derzeit 53.109 Mitglieder (Mai 2014), darunter 8,7 Prozent Frauen, nur 3,4 Prozent sind unter 40, aber 36,8 Prozent über 65 Jahre alt, eine ziemlich hohe „Nichtmehrberufstätigenquote“, demografisch vorhersehbar und weiter steigend. Während sich die Frauenquote seit 2003 trotz bekannter und anhaltender Widerstände etwa verdreifacht hat, war und ist der Widerstand gegen die unter 40-Jährigen erheblich erfolgreicher: sie kommen nicht über drei Prozent hinaus. So werden wir deutschen Rotarier es wohl niemals zu einem Weltpräsidenten bringen, denn 15 der letzten 30 von ihnen waren jünger als 35, als sie zu Rotary kamen. Selbstzufriedenheit über das anscheinend so positive deutsche Mitglieder(mengen-) wachstum ist aber nicht angebracht: Erstens hat sich bei der Mitgliederentwicklung die Zuwachsrate im Fünfjahreszeitraum 2008/2013 zu 2003/2008 nahezu halbiert, was die Clubs an den vermehrten Absagen und Austritten immer häufiger selbst erfahren müssen. Auf mögliche Ursachen für den Paradigmenwechsel komme ich gleich. Und zweitens stammen knapp zwei Drittel aller neuen Mitglieder aus neu gegründeten Clubs, die „alten“ Clubs wachsen durchschnittlich netto nur um 0,5 Mitglieder p.?a., damit sind weder hehre Aktionsziele noch eine veränderte Mitgliederstruktur zu erreichen. Und eine Verjüngung schon gar nicht!
Die Ursachen für unsere Wachstums- und Attraktivitätsprobleme haben RI und DGR per Repräsentativ- und Fokusgruppenstudien ausgiebig analysiert und das unattraktive Image und die beharrliche Inflexibilität als größte Zugangsbarrieren identifiziert. Rotarys starrer Zeitanspruch laufe beruflichen und persönlichen Zielen zuwider, heißt es da etwa, oder man wolle Projekte lieber direkt in der Gemeinde starten (was Community Service richtig übertragen auch heißt), oder jährliche Gesamtkosten bis zu 2000 Euro für Essen, Clubfahrten, Beiträge und Spenden passten nicht immer ins aktuelle Familienbudget. Und genau darauf reagiert nun RI mit diversen Pilotprogrammen. Die Konzepte zum Satellitenclub, zur Firmenmitgliedschaft und Schnuppermitgliedschaft übergehe ich hier, weil noch in der Testphase. Ausgetestet und fester Bestandteil ist dagegen der E-Club.
Auf Augenhöhe
2010 hat der CoL die Aufnahme von Rotary E-Clubs in Rotary International beschlossen, 2013 erneut bestätigt und in der für alle Clubs verbindlichen „Verfassung des Rotary Clubs abschließend geregelt. Damit steht er auf Augenhöhe mit jedem der anderen 34.000 Clubs weltweit. 161 E-Clubs gibt es mittlerweile, darunter fünf in Deutschland. Sie treffen sich zum Online-Meeting an einem bestimmten Wochentag, meistens abends, im Rahmen eines professionellen Webinars beziehungsweise einer Videokonferenz, was für viele heute im Berufsleben längst Routine ist. Zusätzliche Offline-Meetings mit Webunterstützung tragen zur Festigung der Freundschaft bei. Der Meetingablauf entspricht dem traditioneller Clubs, doch wird erheblich mehr diskutiert und miteinander kommuniziert. Und natürlich sind auch erste, erfolgreiche Projekte entstanden. E-Clubs sind genau das Richtige für die unterrepräsentierten 30- bis 40-Jährigen, für ehemalige Rotaracter und Stipendiaten, mobile Consultants, zeitlich stark eingebundene Führungskräfte, im Ausland tätige Young Professionals und viele andere mehr. Sie erfüllen diese zeitgemäße Clubidee mit richtigem Leben, denn sie sind sozial engagiert und hochmotiviert. Über ihre vielfältigen beruflichen Qualifikationen gibt ein Blick ins Mitgliederverzeichnis überzeugend Aufschluss. Wir sollten sie also mit offenen Armen aufnehmen und nach besten Kräften unterstützen, sind sie doch ein wichtiger Baustein unserer rotarischen Zukunft. Und wir sollten dabei mehr auf das persönliche, berufliche und rotarische Potenzial denn auf die erreichte Chefposition setzen. Dann können wir wieder mehr Freundinnen und Freunde für unseren Servicegedanken gewinnen und ihm mit neuen Ideen neuen Schwung verleihen. In seiner Videobotschaft zur Charterfeier des jüngsten E-Clubs hatte RI-Präsident Tanaka klar betont, dass jeder neue Club die Vielfalt Rotarys stärke und ein Zugewinn für das Gemeinwohl sei. Die Frage der Anerkennung von E-Clubs sollte sich damit eigentlich ein für alle Mal erledigt haben. Ist aber leider nicht der Fall. Governors lehnen hierzulande für ihren (?) Distrikt E-Club-Gründungen kategorisch ab, für manche Clubpräsidenten sind sie nichts als „Rotary light“ und ein Sammelbecken für Leute, die nur die Nadel wollen. Wie viele unserer Freunde tragen die Nadel wohl außerhalb der Clubräume? Meine These: keine zwei Prozent. Also, erinnern wir uns auch bei diesem Thema an unsere gute, alte Vier-Fragen-Probe …
Lassen Sie mich mit Konfuzius Paul Harris’ Eingangszitat bebildern: „Wenn der Wind der Erneuerung weht, dann bauen die einen Menschen Mauern – und andere Windmühlen.“ Ich bin für Windmühlen!
Zur Person:
Peter Kadow (RC Aschaffenburg-Schönbusch) war von 2009 bis 2013 Vorsitzender des Distriktausschusses für die Mitgliederentwicklung. Als Gründungsbeauftragter hat er drei neue Clubs gegründet, darunter den E-Club Münster-International, und vier weitere Clubs initiiert respektive ihnen zur Gründung verholfen.