Augenblicke
Produktive Stille
Grundreinigung der Orgel in der Elbphilharmonie
Es ist eng in der Orgel. Wer zum ersten Mal die schmale steile Wendeltreppe hinaufsteigt, setzt automatisch nur vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Ein bewusster Blick ist nötig, um die feine Staubdecke wahrzunehmen, die sich in den vergangenen vier Jahren sanft über die 4765 Pfeifen der Elbphilharmonie-Orgel gelegt hat.
Anstelle von erwartungsvollen Zuschauern auf dem Weg zu ihrem Platz kurz vor Konzertbeginn herrscht in den Gängen zwischen den Zuschauerrängen geschäftiges handwerkliches Treiben. Lange Bahnen Abdeckvlies sind auf dem Gang ausgerollt. Hier und da liegen ausgebaute Orgelpfeifen auf dem Boden. Alles hat System, das der Laie nicht durchblickt. An gut gepolsterten Arbeitstischen reinigen Mitarbeiter der traditionsreichen Bonner Orgelbauwerkstatt Klais die Pfeifen aus Zinnlegierungen und Holz. Die kleinste misst elf Millimeter, die größte ist über zehn Meter lang und erstreckt sich über mehrere Ränge. In sechs Wochen soll alles fertig sein.
Philipp Klais (RC Bonn Süd-Bad Godesberg) leitet den Familienbetrieb in vierter Generation. Er kümmert sich in erster Linie um Konzeption und Planung.Und da gab es viel zu tun, nachdem seine Firma seinerzeit den Auftrag bekam, die Orgel des neuen Hamburger Konzerthauses zu bauen. Bis zur Eröffnung im Januar 2017 waren insgesamt 45 Orgelbauer circa 25.000 Stunden am Werk. Die Grundreinigung steht seit ihrem Einbau im Jahr 2016 aus und war ursprünglich für diesen Sommer geplant. Die Elbphilharmonie nutzt nun den verlängerten Lockdown und hat die Wartungsarbeiten vorgezogen. Die Sommerpause kann so auf zwei Wochen verkürzt werden.
Zum Greifen nah
„Die Elphi ist ein Teil unseres Lebens geworden“, sagt Philipp Klais, der das Projekt Elbphilharmonie gemeinsam mit seinem Team nun schon über eine Dekade begleitet. „Das Schöne ist, dass wir von Januar 2017 bis heute sehen konnten, dass sich in der Praxis bewährt hat, was wir gebaut haben.“ Die einzigartige und moderne Konzertsaalorgel ist auf das Musikrepertoire des 19. und 20. Jahrhunderts sowie zeitgenössische Orgelliteratur ausgerichtet. In, neben und hinter den Zuschauerrängen gebaut, steht das 15 mal 15 Meter große und 25 Tonnen schwere Instrument ungewöhnlich nah am Publikum. „Die Orgel lädt ein, reinzuschauen und an ihr entlangzugehen“, sagt Philipp Klais. Einige Pfeifen sind so angebracht, dass Besucher sie sogar berühren können. Dafür sind sie speziell beschichtet. Für Philipp Klais und seine Mitarbeiter kommt das allerdings nicht in Frage. Von ihnen wird sich nirgendwo ein Fingerabdruck finden lassen: „Wir fassen unsere Pfeifen nur mit Handschuhen an.“ Das verlangt wohl die Berufsehre.
Insa Fölster