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Präsidentenbrief

Liebe Rotarierinnen & Rotarier

31.10.2015

An einem sonnigen Morgen Ende Juni 1991 detonierte vor dem Verteidigungsministerium in Colombo eine riesige Spreng­ladung. 21 Menschen wurden getötet, 175 schwer verletzt, darunter viele Schülerinnen der Mädchenschule nebenan. Meine Frau lief sofort zum Ort der Explosion – die Schule unserer Tochter, damals neun Jahre alt. An dem Morgen hatte sie ihre Bleistifte vergessen, und zum Zeitpunkt der Detonation kam sie gerade stolz mit einer Handvoll neuer Stifte aus dem Laden. Plötzlich war sie durch den Knall fast taub, die Luft war dick mit Staub und Sand, um sie herum schreiende, blutende, rennende Menschen. Jemand zog sie in den Garten der schwer beschädigten Schule, wo sie blieb, bis meine Frau sie abholen konnte.

Sri Lanka heute ist friedlich und geschäftig, die Wirtschaft floriert. Zwei Millionen Touristen besuchen das Land jedes Jahr. Unser Krieg ist jetzt eine ferne Erinnerung, und wir schauen als Nation in eine vielversprechende Zukunft. Doch so viele andere Nationen können das nicht. Heute ist die Mehrzahl aller Länder der Erde in kriegerische Konflikte verwickelt! Und es ist ein trauriger Rekord, dass 59,5 Millionen Menschen als Flüchtlinge vor Krieg und Gewalt auf der Flucht sind.

Rotarier sind von der Möglichkeit des Friedens überzeugt - nicht aus Idealismus, sondern aus Erfahrung. Wir haben gesehen, dass selbst die kompliziertesten und unlösbar erscheinende Konflikte beigelegt werden können, wenn Menschen überzeugt werden können, dass sie durch Kämpfen mehr verlieren, als wenn sie
zur Zusammenarbeit finden. Und wir haben gesehen, was wir positiv bewirken können, wenn wir neue, auch manchmal radikale Wege der Konfliktlösung beschreiten. Rotary Peace Fellows erforschen, wie man solche neuen Wege beschreiten kann. Dank unserer Rotary Founda­tion werden die Friedensstipendiaten zu Experten für die Umsetzung neuer Friedensmodelle ausgebildet, die nicht nur bestehende Konflikte lösen, sondern auch zukünftige Konflikte verhindern sollen – bevor sie sich zu Kriegen ausweiten.

Unter den Hunderten von Peace Fellows, die bereits ihren Abschluss gemacht haben, sind auch zwei aus Sri Lanka. Sie entstammen den verschiedenen ehemaligen Konfliktpar­teien, und sie haben zusammen studiert. Zu
Beginn ihres Studiums stritten sie leidenschaftlich jeweils für ihre Seite. Doch mit jeder Woche des gemeinsamen Studiums lernten sie, die Perspektive der anderen Seite zu verstehen. Heute sind sie Freunde. Als ich die beiden kennenlernte, gab mir das große Hoffnung. Wenn 25 Jahre des Schmerzes und der Bitterkeit überwunden werden konnten, was ist dann wirklich jenseits unserer Möglichkeiten?