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Alles muss weg

Forum - Alles muss weg
Der „Koloss von Prora“ auf Rügen 1991: In der ehemaligen KdF- und DDR-Anlage befinden sich heute moderne Hotels © Arwed Messmer, Harald Krichel, Spector Books

In seinem panoramatischen Bildband Tiefenenttrümmerung schaut Arwed Messmer zurück auf die gewaltigen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Umbrüche in Ostdeutschland und Berlin nach der Wiedervereinigung 1990.

Marc Peschke01.02.2024

Arwed Messmers Interesse gilt schon lange den politischen Prozessen in der deutschen Geschichte. Sein Buch Berlin 1966–1970 warf einen ganz besonderen Blick auf das Jahr 1968 und zeigte die Studentenproteste aus der Bildperspektive der Berliner Schutzpolizei. Dafür wühlte sich der Künstler durch verschiedene Archive der öffentlichen Hand und recherchierte vor allem auch in der Polizeihistorischen Sammlung Berlin, um eine filmische, künstlerische Neukomposition, einen anderen, sequenziellen Blick auf die historischen Geschehnisse zu ermöglichen.

Nun ist es das eigene Fotoarchiv, das zu einer intensiven Auseinandersetzung taugt: Das neue Buch von Arwed Messmer, wie immer markant gestaltet vom Leipziger Verlag Spector Books, trägt den Titel Tiefenenttrümmerung. Der Traum vom Reich. Es versammelt verschiedene Serien und Bildfolgen und richtet seinen Blick auf die ersten Jahre nach der Wiedervereinigung. Die zum Teil bisher unveröffentlichten Farb- und SchwarzWeiß-Bilder – auch als Kontaktabzüge gedruckt – zeugen von den großen baulichen Veränderungen jener Jahre, vom Abriss wichtiger Teile des modernen Erbes im Osten Deutschlands – oder auch von den Bauarbeiten in Berlin.

„Die DDR hat’s nie gegeben“

Es sind Trümmerlandschaften, die dieser Band zusammenbringt – etwa jene des einstigen Palasts der Republik, dessen Betongerippe Messmer 2007 fotografiert hat. Diese Architekturruinen der Moderne sind Zeichen, sind Allegorien des modernen Denkens. Sie öffnen die Augen für die Geschichte, stehen auch für Bereinigung. Doch muten diese Fotografien kaum optimistisch an. Im Gegenteil: Was uns hier als ruinöse Landschaft entgegentritt, kann man als Vorstufe einer Zukunft begreifen, vor der man Angst haben konnte – vor der neuen, wiedervereinigten Bundesrepublik.

Und so fasst auch Lennart Labrenz in seiner Rezension des Fotobuchs in der taz zusammen: „Messmers Blick auf Berlin und Ostdeutschland vermittelt bereits eine Renitenz, die sich bald breitmachen wird: Während in Städten noch DDR-Moderne abgerissen wird, wachsen schon investorenkalte Häuser. Kapitalertragsästhetik drängt dazwischen, neue Balkone verkünden Miethöhen. Das Leben auf dem Land, ahnen wir, wird den Anschluss verpassen. Die Enttrümmerung beseitigt Erinnerung.“

Weitere Bilder zeigen die ehemalige Heeresversuchsanlage in Peenemünde und Niedersachswerfen, wo in der Zeit des Nationalsozialismus Raketentechnologie entwickelt wurde – bis 1990 war hier militärisches Sperrgebiet. Die Grundsteinlegung des Hotels Adlon am Pariser Platz in Berlin-Mitte, das Seebad Bansin bei Wolgast, bereits leere Altbauten in Leipzig – all das präsentiert uns Messmer in seinen Fotografien und Kontaktabzügen. Über, neben den Trümmern, neben Schrott und Müll: Pflanzen, Gestrüpp, Vegetation auf einer Schwundstufe.

Was sagen uns diese Bilder über den Umgang mit der deutschen Geschichte? Enttrümmerung verunmöglicht Erinnerung. Das Vergangene soll verschwinden, das Dunkle. Was tritt dagegen an seine Stelle? Was ist mit der Vergangenheit? Auf einer Fotografie dieses Buchs ragt eine Mauer in die öde Landschaft. Mit weißer Farbe hat jemand darauf gepinselt: „Die DDR hat’s nie gegeben“.


Buchtipp

 

Arwed Messmer

Tiefenenttrümmerung. Der Traum vom Reich

Spector Books, Leipzig 2023,

163 Seiten, 60 Euro

 

Marc Peschke

Marc Peschke ist Kunsthistoriker, Journalist und Texter, Kurator und Kunstberater für Print- und Online-Medien, PR- und Werbeagenturen, Künstler, Museen, Galerien und Büros.