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Aufarbeitung nötig

Ein Plädoyer von Kurt-Jürgen Maass für eine umfassende Studie zu den Jahren 1933-1937

01.10.2015

Rotary International veranstaltet 2019 mit Unterstützung von Rotary Deutschland die RI Convention in Hamburg. Von den rund 35.000 Gästen aus aller Welt wird sich manch einer auch für die Geschichte von Rotary Deutschland interessieren – welch guter Zeitpunkt, endlich eine Studie vorzulegen, die Rotarys Vergangenheit zwischen 1933 und 1937 aufarbeitet. Diese Zeit liegt in einer Grauzone, die sich Rotary mit seinen hehren Zielen nicht mehr leisten kann.


Bis 1933 hatten sich in Deutschland 35 Rotary Clubs gegründet, angefangen mit Hamburg und Frankfurt (1927), Kiel, München, Stuttgart, Dresden und Berlin (1928) sowie 28 weiteren bis August 1932. Zusammen mit den Clubs in Österreich zählte man immerhin schon 1700 Rotarier. Paul Harris besuchte Deutschland im August 1932 und nahm an der Charterfeier in Hannover teil, reiste danach weiter nach Berlin und pflanzte auf dem Tempelhofer Feld einen Freundschaftsbaum.


Schon wenige Monate später, nach der Machtübernahme durch Hitler im Januar 1933, drehte sich der Wind. Die scharfe Nazifizierung aller Bereiche des Lebens hatte sofortige Auswirkungen auf viele – nicht alle! – Rotary Clubs. Jüdische und andere den neuen Machthabern missliebige Mitglieder (prominentester Fall war Thomas Mann) wurden zum Austritt gedrängt oder aus den Clubs ausgeschlossen, die Zahl der Rotarier sank innerhalb weniger Monate um 500 Mitglieder. Die ersten Clubs wurden schon im April 1933 aufgelöst, andere lagen zu­nehmend brach. Einige leisteten dem NS-Druck zunächst noch Widerstand, stellten sich auch schützend vor ihre jüdischen Mitglieder. Welche Folgen das für sie hatte und wo sie vielleicht auch Erfolg hatten, ist unbekannt. Manche Clubs sahen eine „Überlebensmöglichkeit“ in der intensiven Aufnahme nationalsozialistischer Mitglieder oder vertraten offen NS-Ziele.


Zögerlicher Umgang
Hatten die Olympischen Spiele in Berlin 1936 die NS-Machthaber in Deutschland noch zu
einer gewissen Zurückhaltung veranlasst, änderte sich dies im Jahr danach vollständig. Am 23. August 1937 verfügte die NSDAP für ihre Mitglieder die Unvereinbarkeit einer Mitgliedschaft bei Rotary. Daraufhin beschloss die 73. Rotary-Dis­triktvollversammlung im September die Selbstauflösung aller noch bestehenden deutschen RCs. Nach dem Ende des Krieges legte sich ein Mantel des Schweigens über diese Zeit. Zwar veröffentlichte Friedrich von Wilpert 1962 eine erste Studie, die aber von Historikern eher als zu unkritisch gesehen wird. Die von den Amerikanern beschlagnahmten Rotary-Akten standen für Recherchen auch noch gar nicht zur Verfügung, wurden erst viel später zurückgegeben (und befinden sich heute im Geheimen Preußischen Staatsarchiv in
Berlin, mit Ausnahme der Akten des Rotary Clubs München).


Über einzelne Fälle wurde in den Clubs und zum Teil auch in kleineren Publikationen berichtet, etwa vom Rotarier Karl-Josef Kuschel über Thomas Mann („Glanz und Elend eines deutschen Rotariers“, Vortrag beim RC Stuttgart-Rosenstein im September 2008) oder vom Rotarier Paul Erdmann über Clemens von Franckenstein und Karl Wolfskehl („Als plötzlich rotarische Freundschaft nichts mehr galt“, Vortrag beim RC Stuttgart im Mai 2009) oder wie jetzt gerade im Rotary Magazin vom Juli 2015 von Friedrich Voit über Karl Wolfskehl („Verbannter Geist“). Ich selbst habe mich mit dem Schicksal von Fritz Wertheimer, einem der Gründungsmitglieder des RC Stuttgart, befasst, dessen Sohn ich vor 15 Jahren kennengelernt habe. Wertheimer war mein „Ur-Vorgänger“ als Generalsekretär des Deutschen Ausland-Instituts von 1919 bis 1933. Wertheimer wurde schon im März 1933 am Betreten des Instituts gehindert und von den Nationalsozialisten entlassen. Der RC Stuttgart hat ihn seinerzeit zu schützen versucht, ihn dann aber doch fallen gelassen mit der damals „gängigen“ Begründung, nach dem Rauswurf aus seinem Amt habe er ja keine Klassifikation und könne deshalb nicht mehr Rotarier sein. Er war tief enttäuscht, hat Deutschland 1938 verlassen und in Brasilien ein neues Leben angefangen. Rotary hat er nie wieder besucht.


Noch gar nicht untersucht ist die Rolle von Rotary International im Zeitraum 1933 bis 1937. War man in den USA oder in der Europazentrale Zürich zu zögerlich? Zu vorsichtig? Oder zu uninformiert? Wurde Rotary International getäuscht? Die Haltung zu Nazi-Deutschland war jedenfalls ambivalent, nicht eindeutig. Hätte Rotary International schon vor 1937 die Schließung aller deutschen Clubs herbeiführen können? Warum gibt es dazu noch keine Analyse der verfügbaren Akten? Hat RI Hilfen bei der Emigration verfolgter Rotarier leisten können? Oder war dafür das Rotary-Netzwerk in Deutschland noch zu jung gewesen?


Ich stütze mich in meinen Informationen ganz wesentlich auf die wichtigen und unentbehrlichen Vorarbeiten vom Rotarier Paul Erdmann vom RC Stuttgart, die er mir schon vor vielen Jahren einmal zur Lektüre zur Verfügung gestellt hat („Rotarier unterm Hakenkreuz. Anpassung und Widerstand in Stuttgart und München“). Er hatte Einsicht in die Akten des RC Stuttgart und des RC München bekommen, geht aber in seiner Analyse über diese beiden Clubs hinaus. Bei einem Gespräch dieser Tage sagte er mir, dass er seine Untersuchungen nun – hoffentlich 2016 – zu einer Publikation zusammenbringen will.

Die Wahrheit befreit
Das ist eine gute Nachricht. Aber sie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gesamtstudie zu Rotary Deutschland nach wie vor fehlt. Wir sind jetzt im Jahr 78 nach der erzwungenen Schließung der Rotary Clubs im Nationalsozialismus. Ich weiß, wie schwer sich viele große Industrieunternehmen, Organisationen, Ministerien oder Universitäten damit getan haben, ihre dunkle Zeit aufzuarbeiten. Aber alle, die es gemacht haben, sind um eine gemeinsame Erfahrung reicher: Die Wahrheit befreit. Es wird deshalb höchste Zeit, unsere historische Kenntnislücke zu schließen – und das vor der International Convention 2019! 

Kurt-Jürgen Maass