Standpunkt
Vielfalt als Stärke
Ist Rotary eine „Gemeindienstorganisation“ (Alexander Ehlers), eine „Wertegemeinschaft“ (Frank Ehlers), ein Zusammenschluss zur Völkerverständigung (Udo Noack) oder ein „markenkernloser Gemischtwarenladen“? Nichts von alledem!
In den letzten Monaten gab es an dieser Stelle verschiedene Beiträge darüber, was genau Rotary ausmacht. Ich denke, wir alle sind uns darüber einig, eine starke Gemeinschaft zu sein, deren Mitglieder sich – jenseits der strengen Begrifflichkeit der Freundschaft als Freunde bezeichnend – zum Dialog und zu Vorträgen treffen und Netzwerke pflegen. Diese Gemeinschaft umfasst drei Ziele: die Einhaltung der aus der Vier-Fragen-Probe abgeleiteten Grundwerte, die Umsetzung von Gemeindienstprojekten zum sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft und – mit unserer Internationalisierung einhergehend – die Förderung der Völkerverständigung vom Schüleraustausch bis zu Foundation- Projekten. Wären wir eine reine Ethikgemeinschaft, dann müssten wir wöchentlich die Vier-Fragen-Probe herunterbeten und uns regelmäßig über die Folgen unseres Tuns austauschen. Unsere Außenwirkung wäre gleich null.
Wären wir eine reine Gemeindienstorganisation, müssten wir auf Masse setzen, um noch mehr Gelder einzusammeln. Doch Wachstum ist für uns kein Selbstzweck – auch wenn Evanston dies monatlich einfordert –, weil wir uns in erster Linie als Freunde sehen! Was nicht heißt, dass wir uns nicht bemühen sollten, uns mit neuen Freundinnen und Freunden zu verjüngen. Wären wir drittens eine Institution, die mit der Völkerverständigung Ernst macht, dann müsste jeder Club mindestens 2o Prozent Ausländer (deutscher Ausländeranteil) aufnehmen. Warum tun wir all dies nicht?
Herz und Hand in global gültigem Rahmen
Rotary beruht auf dem Grundverständnis, dass jeder einzelne Rotary Club „Herz und Hand“ von Rotary ist. Sprich: Evanston gibt lediglich das „globale Framing“ vor, das jeder Club selbst mit Leben füllt. Genau diese Freiheit der Entscheidung der einzelnen Clubs stellt für mich die Stärke von Rotary dar! Diese Freiheit wird dadurch verstärkt, dass die Clubfreundschaft auf rotierenden Ämtern fußt, um unser Clubleben zu gestalten. Dafür steht unsere Wort-Bild-Marke von „Rotary“ und dem Rad. Wir wollen eben Vielfalt und keine langjährige Dominanz einzelner „Alphatiere“. Dies gilt lokal, regional wie international.
Soll damit also alles beim Alten bleiben? Ganz im Gegenteil! Vor allem gilt es, die mit der Rotation verbundenen Wissenslücken zu stopfen. Zur Freundschaft: Wir sollten dafür sorgen, dass das „Framing“ aus Evanston nicht missverstanden wird. Das „DEI-Postulat“ etwa wurde schlecht mit „Diversität, Gleichstellung und Inklusion“ übersetzt. Denn dies sind Wörter voller politischer Konnotation, hinter denen viele nicht stehen. Wäre es nicht dringend erforderlich, von „Vielfalt, Gleichbehandlung und Einbeziehung“ unserer Mitglieder zu sprechen? Zum Gemeindienst: Wäre es nicht dringend erforderlich, noch mehr Clubs dazu zu bewegen, mit sichtbaren Hands-on-Projekten Ernst zu machen? Zumal wir mit mehr als 63.000 Mitgliedern als ein nicht kleiner Teil der Zivilgesellschaft zunehmend die Grenzen des administrativen Tuns beobachten.
Zeit für eine Zeitenwende auch bei uns
Zu unseren Werten: Wäre es nicht im Zeitalter der „Zeitenwende“ dringend erforderlich, die konkrete Umsetzung unserer handlungsethischen Grundwerte jenseits des Berufslebens auch auf unser Verhalten beim Umgang von Nachhaltigkeit zu diskutieren? Zur Völkerverständigung: Wäre es nicht erforderlich, den Schüleraustausch wieder energischer anzugehen, indem wir etwa viel stärker auf den europäischen Austausch setzen? Bei den Foundation-Projekten überzeugt die exzellente Koordination der Ukraine-Hilfe durch die von Governor Armin Staigis geleitete „Task-Force des Deutschen Governorrates“. Leider ist zu solchen aktuellen Themen aus Evanston nichts zu lesen! Hier drohen wir an Schwung zu verlieren, bei den Hilfsprojekten in der Ukraine, in den Anrainerstaaten und vor unserer Haustür sowie dem Bemühen um die Aufrechterhaltung der Freundschaft zu russischen Rotariern. Letztlich bieten die sieben Fokusgebiete der Foundation ausreichende Handlungsoptionen. Bedenklich finde ich, dass Evanston bei rotary.org eine achte Leiste – „Katastrophenschutz“ – einfügte. Das sind wir nicht und wollen wir auch nicht sein!
Profil schärfen mit europäischen Schwerpunkten
Lassen wir die Clubs selbst entscheiden, wo sie im Rahmen des „global Framing“ Schwerpunkte setzen. Konzentrieren wir uns auf Themen, die Rotarier und Nichtrotarier bewegen, das schließt unsere globalen Projekte mit ein. Ich hoffe, es gelingt, mit eigenen europäischen Schwerpunkten unser Profil zu schärfen und bleibe dabei: Unsere Vielfalt ist kein Manko, sondern unsere Stärke!
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