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Krieg der Maschinen?

Chancen und Gefahren bewaffneter Drohnen

Seitdem Bundesverteidigungsminister Thomas de Mazière den Ausstieg aus dem "Euro-Hawk"-Programm verkündete, hört die Debatte in Politik und Medien nicht mehr auf. Dabei drängt sich unter der Oberfläche an Frage auf: Was passiert, wenn der Mensch in einem Bereich, in dem es um Leben und Tod geht, elementare Aufgaben an Hightech-Systeme delegiert.

Harald Müller13.06.2013

Bis zum Fall der Mauer galt für die NATO ein aufgezwungener, mit der Erwartung extrem vieler militärischer und ziviler Opfer verbundener Verteidigungskrieg gegen den Warschauer Pakt als wahrscheinlichstes militärisches Einsatzszenario. Nach 1990 wandelten sich die Militäreinsätze des Westens weitgehend zu „Kriegen der Wahl“, zum Beispiel zur Verteidigung des Völkerrechts wie im ersten Golfkrieg 1991, als humanitäre Interventionen wie in Somalia 1993 und im Kosovo 1999 oder auch zur gewaltsamen Demokratisierung wie im Irak 2003. Im Gegensatz zum Verteidigungskrieg sind diese Kriege wesentlich stärker umstritten, die möglichen politischen Kosten einer Beteiligung sind hoch.

Die Forschung hat gezeigt, dass die Bevölkerungen westlicher Staaten deutlich sensibler auf eigene Verluste reagieren, wenn es sich weder um Verteidigungskriege handelt noch ein klarer Bezug zum nationalen Interesse gegeben ist, und dass eigenen Verlusten dann eine besonders große Bedeutung zukommt, wenn das ursprünglich verkündete Missionsziel nicht im angekündigten Zeitraum erfüllt wird. Hinzu kommt, dass angesichts weltweit agierender Massenmedien gerade der Westen militärischen Erfordernissen nicht einfach nachgeben kann, da er den eigenen moralischen Ansprüchen gerecht werden muss. Dies drückt sich in einer ansteigenden öffentlichen Sorge um zivile Opfer auf der Gegenseite – oftmals verharmlosend als „Kollateralschäden“ bezeichnet – aus.

Eine saubere Waffe?

Gerade vor dem Hintergrund hoher alliierter Verluste in Afghanistan und dem Irak scheint der Rückgriff auf „Unmanned Combat Air Vehicle“ (UCAV), so der eigentliche Name der kurz „Drohnen“ genannten Waffensysteme, deshalb einen Ausweg aus der politischen Zwickmühle zwischen eigenen und fremden Opfern zu bieten. Auch sonst haben – zumindest im unumkämpften Luftraum – Drohnen gegenüber bemannten Flugzeugen aus militärischer Sicht erhebliche Vorteile: Sie können deutlich länger in der Luft beziehungsweise über dem Einsatzgebiet bleiben (zum Teil bis zu 20 Stunden). Mit ihren hochauflösenden Sensoren sind sie in der Lage, mehrere potenzielle Ziele gleichzeitig zu überwachen. Sie können „auf der Lauer liegend“ den optimalen Zeitpunkt für einen Angriff abpassen oder Bodentruppen mit dauerhaftem Schutz unterstützen. Moderne Kampfdrohnen wie die amerikanische „Reaper“ können aufgrund ihrer hohen Zuladung mit verschiedenen Raketen oder Bomben ausgestattet werden, so dass erkannte Ziele ohne Zeitverzögerung bekämpft und die eigenen Bodentruppen erheblich entlastet werden können.

Zudem werden durch den Einsatz bewaffneter unbemannter Systeme nicht nur die eigenen Verluste deutlich reduziert – selbst Menschenrechtsorganisationen räumen gelegentlich ein, dass der Einsatz von UCAV zu relativ geringen Opfern unter der Zivilbevölkerung führt, zumindest wenn Sprengkörper mit geringer Sprengwirkung genutzt werden und festgelegte Routinen zur Minimierung von zivilen Opfern während des Einsatzes eingehalten werden. Allerdings ist auch der bewaffnete Drohneneinsatz dennoch kontinuierlich für zivile Opfer verantwortlich. Bislang wurden bewaffnete Drohnen nur dann eingesetzt, wenn keine ernsthafte Luftabwehr zu erwarten war. Ingenieure arbeiten allerdings daran, zukünftige UCAVs auch in die Lage zu versetzen, in umkämpftem Luftraum zu bestehen. Dazu gehört, dass die nächste Generation wie die britische Taranis-Drohne über Stealth-Eigenschaften verfügt.

Auch werden zukünftige Modelle über die Fähigkeit zum Luftkampf verfügen. Da sie nicht auf menschliche Piloten Rücksicht nehmen müssen, können deutlich schwierigere Manöver geflogen werden. In den USA rechnet der Kongress sogar damit, dass der vor der Auslieferung stehende F-35 Joint Strike Fighter voraussichtlich das letzte bemannte Militärflugzeug der USA sein könnte. Und dennoch ist die Vorstellung, militärische Aufklärung und Kampfhandlungen an unbemannte Flugobjekte abzugeben, stets von großem Unbehagen – vor allem außerhalb der Streitkräfte – begleitet: Werden hier Waffensysteme entwickelt, die sich wegen geringer materieller und menschlicher Einsatzkosten schnell und unkontrolliert ausbreiten werden? Laden die besonderen Fähigkeiten solcher Systeme nicht geradezu zum Missbrauch ein? Wird Krieg leichter führbar – und damit wahrscheinlicher? Ist es denkbar, die Entscheidung über Leben und Tod an einen Automaten zu delegieren, der selbstständig menschliche Bewegungsmuster analysiert und daraufhin handelt?

Dass Fragen dieser Art an jeden Beschaffungsvorgang gestellt werden können (und müssen), enthebt die Verantwortlichen nicht der Verpflichtung, sie auch für den speziellen Fall der Beschaffung bewaffneter Drohnen zu beantworten. Die bisher vorhandenen bewaffneten Drohnen sind nicht autonom; die Einsatzentscheidung wird auch künftig von denkenden Menschen gefällt. Und die Beschaffung autonomer – und somit völkerrechtswidriger – Drohnen ist bis dato nicht vorgesehen. Allerdings ist die Entwicklung der Drohnentechnik zu großen Teilen in der Hand unserer amerikanischen Verbündeten – und somit von der Militärkultur der USA abhängig. Diese ist jedoch seit jeher stark technik-zentriert und bisher stets darauf ausgerichtet gewesen, die Möglichkeiten militärischer Technologie voll zu erkunden und zu entwickeln. So wird schon seit einer Weile in einschlägigen amerikanischen Fachzeitschriften das Thema „automatisiertes Gefechtsfeld“ stark debattiert. Und was die Unvereinbarkeit mit dem Völkerrecht angeht, so gelten die Militäranwälte des Pentagon als ausgesprochen phantasiereich. Wenn die USA erst einmal autonome Kampfdrohnen entwickelt haben, ist zu befürchten, dass das Argument der Bündniskompatibilität, mit dem heute für die Beschaffung nicht-autonomer bewaffneter Drohnen geworben wird, auch für deren autonome Nachfolger in Anschlag gebracht werden könnte.

Illusion Truppenschutz?

Zu den fundamentalen zivilisatorischen Errungenschaften gehört es, dass Demokratien ihre Soldaten als Bürger in Uniform sehen. Die Zeiten des „Hunde, wollt ihr ewig leben?“ sind vorbei. Gleichermaßen ist es ein humanitärer Fortschritt, dass Demokratien im Krieg sich Gedanken über die Zivilbevölkerung auf der Gegenseite machen und versuchen, deren Verluste zu vermeiden. Allerdings sind militärische Einsätze keine Ingenieursaufgabe. Man arbeitet sich nicht an toten Gegenständen ab, sondern an lebenden, intelligenten, strategisch handelnden Akteuren. Gerade die jüngere Militärgeschichte hat gezeigt, dass neue Waffen stets ganz unvermeidlich Gegenmaßnahmen des intelligenten Gegners provozieren.

Eine der am wenigsten durchdachten Aspekte der Drohnentechnik sind die Folgen ihrer Ausbreitung, vor allem an nichtstaatliche Akteure. Bereits jetzt bemühen sich Drohnenproduzenten – USA, Großbritannien und Frankreich –, die Regeln des „Missile Technology Control Regime“ aufzuweichen, um Drohnen auf dem Rüstungsmarkt verkaufen zu können. Deshalb muss gefragt werden, ob die Bundeswehr Mittel besitzt, solche Waffen zu neutralisieren? Und wenn ja, welche Möglichkeiten haben auch mögliche Gegner, sich diese Abwehrmittel zu beschaffen? Und welche Anstrengungen werden unternommen, um dieses Risiko auszuschließen?

Die Vermeidung von „Kollateralschäden“ kann sich durch Proliferation schnell ins Gegenteil verkehren. Aus politischer Sicht ist hinzuzufügen, dass der Versuch, künftig verstärkt Soldaten aus Krisengebieten fernzuhalten und stattdessen auf einen technologischen Krieg unterhalb der Fühlbarkeitsschwelle westlicher Öffentlichkeiten zu setzen, zwar deutlich weniger eigenen Soldaten das Leben kosten wird, aber kaum zu mehr Stabilität in den Krisengebieten führen wird. Wahrscheinlicher ist vielmehr, dass die Distanzierung westlicher Soldaten vom Schlachtfeld dazu führen wird, dass Aufständische den Krieg dorthin tragen werden, wo diejenigen sitzen, die die unbemannten Hightech-Waffen in den Kampf steuern: in die Heimatländer der westlichen Truppen. Schon die bisherigen Erfahrungen in Afghanistan und im Irak haben gezeigt, dass Drohnen zwar in der Lage sind, gegnerische Ziele punktgenau auszuschalten, die Gegner insgesamt jedoch keineswegs hilflos sind – auch dann, wenn sie selbst nicht über Hightech-Waffen verfügen.

Gerade der hochtechnisierte Charakter der Drohnenangriffe führte in besonderem Maße zu einer Mobilisierung und stärkerem Widerstand aufständischer Kräfte. So hat sich die Anzahl der Angriffe mit Sprengfallen und Selbstmordattentaten im Verlauf der Kriege an Euphrat und Tigris sowie am Hindukusch kontinuierlich erhöht. Dass auf diese Weise tausende Soldaten ihr Leben verloren, gehört somit auch in die Gesamtbilanz des Einsatzes neuer Waffentechnologien. In unseren heutigen Demokratien verbinden sich technologische Fähigkeiten mit der Sehnsucht nach dem unblutigen Sieg und der Hoffnung, der Menschheit Gutes zu tun: das Recht durchzusetzen, die Tyrannen zu besiegen, bedrängte Menschen zu schützen, staatliche und gesellschaftliche Ordnung ins Chaos zu bringen.

Die Kombination beider Elemente, der guten Zwecke und der schonenden Mittel, ist ein besonders gefährlicher Illusionsproduzent. Denn der Krieg bleibt, was er ist: das gewaltsame Aufeinanderprallen zweier gegensätzlicher politischer Willen, die sich nicht nachgeben wollen. Und deshalb bieten auch künftig trotz aller neuen Waffentechnologien nur politische Lösungen eine wirkliche Gewähr für die Vermeidung von Opfern und einen stabilen Frieden.

Lesen Sie mehr zum Thema Drohnen in der Juni-Ausgabe des Rotary Magazins, das allen Abonnenten am Montag, den 17. Juni 2013, in Ihrem Briefkasten liegt.


Harald Müller
Prof. Dr. Harald Müller war von 1996 bis 2015 Geschäftsführendes Mitglied des Vorstands der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung sowie von 1999 bis 2016 Professor für Internationale Beziehungen an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Seit 2016 ist er Leiter der Forschungsgruppe "Nukleare Rüstungskontrolle" bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. hsfk.de