Ein Wort vorab zum Streit um "Euro-Hawk"
Diskussion in Schieflage
Seitdem Bundesverteidigungsminister Thomas de Mazière den Ausstieg aus dem "Euro-Hawk"-Programm verkündete, hört die Debatte in Politik und Medien nicht mehr auf. Dabei drängt sich unter der Oberfläche an Frage auf: Was passiert, wenn der Mensch in einem Bereich, in dem es um Leben und Tod geht, elementare Aufgaben an Hightech-Systeme delegiert?
Als die Redaktion des Rotary Magazins entschied, sich in dieser Ausgabe dem geplanten Einsatz von Kampfdrohnen zu widmen, ahnte sie nicht, welche Aktualität das Thema nur wenige Tage später erlangen würde. Dabei war der Ausgangspunkt unserer Überlegungen freilich ein anderer als das in den letzten Wochen stark diskutierte „Euro Hawk“-Programm, das die Beschaffung einer Aufklärungs-Drohne für die Bundeswehr vorsah: nämlich die dramatisch zunehmende Digitalisierung von Prozessen in nahezu allen Bereichen des gesellschaftlichen und ökonomischen Lebens. Ob zum Beispiel beim Börsenhandel, wo EDV-Programme Aktienkurse deutlich schneller auswerten und entsprechend schneller reagieren können als das menschliche Gehirn; oder bei elektronischen Suchmaschinen, die präzise das Verhalten von Milliarden Nutzern im Internet analysieren und ihnen anschließend maßgeschneiderte Lösungen präsentieren: Der Einfluss von Algorithmen auf unser Leben wird immer größer – und die Entscheidungs- und Handlungsspielräume des Menschen (vermutlich) immer geringer.
Verschlafener Einsatz
Vor diesem Hintergrund wollte sich die Redaktion des Rotary Magazins einem Bereich zuwenden, der sich in den letzten Jahren ebenso dramatisch entwickelt hat und dennoch von der Öffentlichkeit bisher kaum bis gar nicht wahrgenommen wurde: die „Unmanned Aerial Combat Vehicles“ (UACV) oder auch „Unmanned Aircraft Systems“ (UAS) genannten „unbemannten Luftfahrzeuge“ – kurz: Drohnen. Eigentlich ist das Thema alles andere als neu. Denn seit über zehn Jahren melden insbesondere die USA immer wieder, dass sie im Kampf gegen den internationalen Terrorismus an den verschiedensten Fronten Drohnen zur Aufklärung und zur Bekämpfung militärischer Gegner einsetzen.
Auch in Deutschland stehen die unbemannten Flugobjekte seit Jahren auf der Agenda: Einerseits setzt die Bundeswehr bereits geleaste Heron-Drohnen zur Aufklärung in Afghanistan ein. Andererseits hat sich Verteidigungsminister Thomas de Maizière wiederholt für die Beschaffung von bewaffneten Drohnen für die Bundeswehr ausgesprochen. So kündigte de Maizière u.a. am 31. Januar 2013 vor dem Deutschen Bundestag an, zeitnah UAS in einer bewaffneten Variante zu beschaffen, weil er sich Sorgen mache um Leben und Gesundheit der Soldaten im Einsatz, der zu schützenden Zivilbevölkerung und um die wirksame Wahrnehmung des politisch-parlamentarischen Auftrages der Bundeswehr in Afghanistan.
Doch außer einigen – zumeist emotionslosen – Meldungen war in Funk und Fernsehen, Presse und Online-Medien kaum etwas dazu zu vernehmen. Die Fachpolitiker in den diversen Ausschüssen des Bundestags und die Sicherheitsexperten unter den Publizisten blieben weitgehend unter sich. Viele Journalistenkollegen, die sich jetzt über „Euro Hawk“ und die Begleitumstände echauffieren, haben ihren eigenen Einsatz schlichtweg verschlafen. Erst die Ankündigung des Verteidigungsministeriums, aus dem „Euro Hawk“-Programm auszusteigen, und der Umstand, dass damit im großen Ausmaße Steuergelder verloren gehen werden, löste plötzlich binnen weniger Tage eine breite Empörungswelle aus. Auf einmal wurden Drohnen zu einer „feigen Waffe des weißen Mannes“, die nun dem Verteidigungsminister „zu Recht um die Ohren“ fliegen, wie es etwa Jakob Augstein auf Spiegel Online kommentierte. Die Hauptkritik richtete sich jedoch fast überall gegen die vermeintliche „Verschwendungskultur des deutschen Militärs“ (wie es DIE ZEIT formulierte). Von 250 Millionen bis weit über 1 Milliarde Euro wurde der mögliche Verlust für den deutschen Steuerzahler in den verschiedenen Medien schnell beziffert.
Zweifelhafte Prioritäten
Genau darin liegt jedoch die Schieflage der Diskussion: Solange wie es um grundsätzliche Überlegungen ging, um das Leben eigener Soldaten etwa oder um mögliche Opfer unter fremden Zivilisten, waren Kampfdrohnen lediglich ein Thema für Fachleute. Und dies, obwohl doch der zuständige Minister die bewaffneten Drohnen keineswegs heimlich, still und leise einführen wollte, sondern immer wieder versucht hat, durch Reden auf Fachtagungen oder auch im Bundestag eine öffentliche Debatte über diese Technologie (die ja nur Teil einer viel umfangreicheren Strukturreform der Bundeswehr ist) zu entfachen. Dass erst der absehbare Verlust von sehr viel Steuergeld eine Diskussion über den Sinn neuer Waffensysteme entfacht, lässt einen unweigerlich an das bekannte Brecht-Zitat aus der „Dreigroschenoper“ erinnern: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“.
Wenngleich dieser Satz bei Brecht in einem anderen Zusammenhang steht, passt er doch ganz trefflich zu mancher Äußerung aus den letzten Wochen. Auch wenn der Verlust von Hunderten Millionen Steuergeldern alles andere als eine Bagatelle ist; und auch wenn sich eine Regierung – zumal in Wahlkampfzeiten – immer Kritik an ihrem Handeln gefallen lassen muss: Die eigentliche Debatte sollte sich doch um viel grundsätzlichere Fragen jenseits des Geldes drehen: Welche Chancen und welche Gefahren sind mit dem Einsatz von Kampfdrohnen verbunden? Welche ethischen Probleme ergeben sich möglicherweise durch ihren Einsatz? Wie wandelt sich die Funktion des Soldaten, wenn er über eine Waffe verfügt, dank derer er weit entfernt vom eigenen Einsatzort agieren kann? Welche Regeln braucht der Einsatz von Drohnen? Und nicht zuletzt: Warum braucht die Bundeswehr diese neue Technologie? Der Einsatz von unbemannten Flugobjekten bedeutet einen historischen Paradigmenwechsel für die militärische (und zivile) Luftfahrt. Darüber sollten wir zuallererst reden – und gern auch streiten.