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Ukraine

"Es zerreißt einem das Herz"

Ukraine - "Es zerreißt einem das Herz"
© UN Photo/Loey Felipe

Christoph Heusgen, Diplomat und neuer Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, fordert eine harte Linie gegen Russland, allerdings ohne militärischen Beistand

24.02.2022

Herr Heusgen, in der Nacht zu Donnerstag hat Wladimir Putin den Angriff auf die Ukraine angeordnet, woraufhin Bodentruppen von drei Seiten einmarschierten und die Ukraine mit Raketen angriffen – auch im Westen des Landes und in der Nähe von Kiew. Putin selbst erinnert an den deutschen Überfall von 1939 und droht jedem, der der Ukraine zur Hilfe kommt, mit Nuklearwaffen. Was heißt das für uns in Deutschland und Österreich – die Steiermark ist nicht weit weg vom Westen der Ukraine?

Putin hat Recht: Sein Angriff auf die Ukraine erinnert an Hitlers Überfall auf Polen 1939. Beide haben fadenscheinigste Gründe angeführt. Was heißt das für uns? Wenn sich bisher noch jemand Illusionen über die Natur des Putin-Regimes macht, dann ist ihm nicht mehr zu helfen. Putin begeht in diesem Moment Kriegsverbrechen, er bricht internationales Recht. Und es ist zynisch, wenn er jetzt mit dem Einsatz von Atomwaffen droht. Es waren Russland und Sergei Lawrow höchstpersönlich, die mit dem Budapester Memorandum 1994 die Ukraine zur Aufgabe ihrer Atomwaffen brachten — als Gegenleistung für die russische Garantie der territorialen Integrität der Ukraine. Es zerreißt einem das Herz, wenn man Zeuge davon ist, wie die Ukrainer heute für ihre Gutgläubigkeit büßen müssen.


Einen Kommentar zur aktuellen Situation finden Sie auch auf der Seite des Petersburger Dialogs: KARENINA — "Der Ernstfall" von Johann Michael Möller (Herausgeber des Rotary Magazins)


Russland hat sich ins Abseits der Internationalen Gemeinschaft manövriert. Wenn die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Assad unter Putins wohlwollender Aufsicht begeht, wenn die Morde und Vergiftung russischer Oppositioneller, wenn der vom Berliner Kammergericht als russischer Staatsterrorismus bezeichnete Berliner Tiergartenmord, wenn die Gräueltaten der Putinschen Wagnersöldner noch nicht ausgereicht haben, dann wird dieser Überfall auf die Ukraine hoffentlich auch den letzten Russlandversteher wachrütteln. Jetzt heißt es für alle Demokratien der Welt zusammenzustehen und Putin mit harten Sanktionen entgegenzutreten. Wer weiß, wo dieser skrupellose Diktator sonst aufhört. 

Putin versteckt seinen Angriff hinter defensiven Begriffen, spricht von einer "Befreiungsaktion", von einer "Entmilitarisierung und Entnazifizierung" der Ukraine. Ungeachtet der russischen Drohungen und dem Umstand, dass die Ukraine kein Nato-Mitgliedstaat ist – müsste die Nato nach diesem Völkerrechtsbruch jetzt nicht doch militärisch reagieren? Die Sanktionen, auch verschärfter Art, werden Putins Truppen und das Blutvergießen in Europa nicht stoppen können.

Entgegen Putins Behauptungen ist die Ukraine kein Mitglied der Nato, und deshalb zieht die Beistandsgarantie des Artikel 5 des Nato-Vertrages nicht. Jetzt militärisch zu intervenieren hieße, den dritten Weltkrieg zu provozieren. Aber wir hätten – ich meine auch Deutschland – die Ukraine besser mit Verteidigungswaffen ausstatten müssen, damit sich das Land besser gegen den russischen Aggressor verteidigen kann. Warum wir den Kurden in ihrem Kampf gegen den Islamischen Staat Milan-Raketen geliefert haben, diese den Ukrainern aber vorenthalten, erschließt sich mir nicht – gerade auch vor dem Hintergrund der Gräueltaten des Naziregimes gegen jüdische Ukrainer. Unterschätzen wir nicht die Sanktionen: Russland muss wirtschaftlich bestraft und politisch isoliert werden! Das kostet seinen Preis auch für uns; die Alternative wäre allerdings unsere künftige Erpressbarkeit durch Russland.

Putin hat für seinen Angriff einen historisch einmaligen Moment gewählt, in dem der Westen schwach ist. Aber wenn Europa, die USA und die Nato nur zuschauen und nicht eingreifen, besteht dann nicht die Gefahr, dass China daraus die Möglichkeit ableitet, ohne westliche Gegenwehr Taiwan zu annektieren?

Die Gefahr besteht in der Tat. Und deswegen müssen wir auch gegen China hart bleiben, wenn es internationales Recht bricht. Dass die Olympischen Spiele in Peking stattgefunden haben, hatte auch sein Gutes: Jeder kennt heute die unmenschliche Behandlung der Uiguren. Viele wissen vom chinesischen Bruch internationalen Rechts im Südchinesischen Meer und in Hongkong. Taiwan ist eine gut funktionierende Demokratie, verfügt über Spitzentechnologien und ist ein verlässlicher Partner. Taiwan braucht die internationale Solidarität. Auch Deutschland ist jetzt gefragt, um die Übernahmegelüste durch die Festlandchinesen zu bremsen.

Das Gespräch führte Björn Lange.


Dr. Christoph Heusgen war ab 2005 außen- und sicherheitspolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Von 2017 bis 2021 war der Diplomat Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen. In diesem Februar übernimmt er den Vorsitz der Münchner Sicherheitskonferenz von Wolfgang Ischinger.