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Titelthema

Hömma, komma anne Bude!

Titelthema - Hömma, komma anne Bude!
Komiker und Schauspieler Hennes Bender © Marvin Ruppert

Im Ruhrgebiet ist die Bude mehr als eine Versorgungseinheit. Sie ist kultureller Dreh- und Angelpunkt und darum feiernswert – und zwar täglich.

01.07.2023

Um eines von vorneherein klarzustellen: Wir reden hier nicht von "Spätis", "Kiosken" und vor allen Dingen nicht vom "Büdchen". Es geht hier einzig und allein um sie: die Bude! Den sozialen, sportlichen und kulturellen Dreh- und Angelpunkt des Ruhrgebiets. Bei uns gibt es diesbezüglich keine Verniedlichungen wie es im Rheinland und vor allem in diesem "Köln" gang und gäbe ist. Möge das Etablissement quadratmetertechnisch noch so klein sein, im Pott nehmen wir unsere Buden ernst und beim Namen: die Bude! Weiblich! Da wird auch nicht nachträglich gegendert. Die Bude ist Mutter, Freundin und manchmal sogar Geliebte zugleich. "Kiosk" ist zwar der verbreitetste und wohl auch elegantere Begriff, schließlich kommt der Begriff aus Frankreich, dem Heimatland der Eleganz, aber da sind wir schon beim Thema: Mit Eleganz brauchen Sie uns in unseren Breitengraden gar nicht erst zu kommen. Sicher gibt es Buden, welche im Laufe der Jahre ästhetisch verhübscht und sogar thematisch aufgewertet wurden, man denke an die "BonBon-Bude" im 50er-Jahre-Stil in Castrop-Rauxel oder an "Zum Philosophen" im Bochumer Ehrenfeld, betrieben von einem studierten (man ahnt es schon) Philosophen. Und selbst, wenn seit geraumer Zeit das Phänomen "Späti" aus Berlin zu uns rübergeschwappt ist, und es auch hier mittlerweile zum abend- und nächtlichen Einkauf und Verzehr von lebensnotwendigen Konsumobjekten kommt: Eine Bude ist eine Bude ist eine Bude. Das hätte Gertrude Stein nicht anders formuliert, wenn sie in Bottrop und nicht in Paris hätte leben müssen.

Selbstredend sind dies alles nur Begrifflichkeiten und natürlich dürfen wir den wunderschönen und ursprünglichen Begriff "Trinkhalle" nicht unterschlagen, jener Ort, an dem Arbeitende vor, nach und während der Arbeit flüssige Grundnahrung zu sich genommen haben, ob nun mit oder ohne Alkohol, das sei dahingestellt. Apropos dahingestellt: Früher fand man die Trinkhallen nämlich hauptsächlich dort, wo gearbeitet wurde, vor oder neben den Werkstätten, Fabriken und auch gerne mal in unmittelbarer Nähe von Bürokomplexen, als diese noch innerstädtisch waren und nicht wie heute vor den Toren der Städte in eigens dafür errichteten Trabantenbezirken. Eine Tatsache, welche natürlich auch das Stadtbild des Ruhrgebiets nachhaltig verändert hat. Denn wo man sich früher noch in Meterabständen von Bude zu Bude "hangeln" konnte, dem britischen "Pubcrawling" nicht unähnlich, sucht man dort heute meist vergeblich nach den geliebten Treffpunkten. Und wie schön war noch die Zeit, als man sich nicht bei "Starbucks" traf, sondern sich entweder bei "Tchibo" oder "Eduscho" zum Kaffee an den Stehtisch stellte? Anderes Thema. Oder doch nicht? Denn die Kultur des "Sich-Treffens", des "Quatschens", "Schwätzchen-haltens" und "Döneken-Erzählens" ist nicht nur seit 2020 und der Pandemie (manche erinnern sich, da war doch was) in Gefahr. Die Verschiebung der Infrastruktur hat dazu geführt, dass man in den Innenstädten heutzutage nur noch eines will: schnell rein und schnell raus. Nur so viel Zeit wie absolut nötig dort verbringen. Früher konnte man dort noch abhängen oder manchmal sogar versacken.

Deswegen gehören unsere Buden auch gepflegt, geschätzt und gefeiert und zwar nicht nur am ausgerufenen "Tag der Trinkhalle", sondern täglich, stündlich, minütlich und vor allem ganzjährig.

Die Verheißung: Das Schild mit den Eissorten

Für mich als Kind der 70er Jahre war die Bude am Ende unserer Straße immer Anlaufstelle im wahrsten Sinne des Wortes und vor allem: für alles. Alle paar Tage schickten meine Eltern mich dorthin, um Wasser zu kaufen. Zum Trinken. Trinkhalle. Sie verstehen? Dabei ist der Begriff "Halle" natürlich sehr optimistisch gewählt, denn Geräumigkeit wurde dort nicht großgeschrieben, obwohl das grammatikalisch wohl korrekt gewesen wäre. Wenn es mal eine Bude gab, die man tatsächlich feststofflich betreten konnte, trat man sich dort meist mit der anderen Kundschaft auf die Füße – ein Umstand, welcher viele Besucher nicht davon abgehalten hat, einen großen Teil der Freizeit dort an der Theke oder an der Durchreiche zu verbringen. Es gab tatsächlich Buden, die selbst im Innenbereich ein kleines Fenster hatten, wo der Besitzer oder Pächter quasi antiseptisch von seiner Klientel abgeschottet wurde, bereits Jahrzehnte vor Corona. Diese Buden waren mir natürlich immer etwas suspekt, da man nie richtig einsehen konnte, was hinter dem Glas so alles passiert und überhaupt, was es alles zu kaufen gäbe, wenn man doch nur von der Existenz der Produkte wüsste. Stammkunden wussten natürlich immer, was es gab, ob Kaffeefilter, Lebensmittel in Dosen oder Fachzeitschriften für Erwachsene mit Titeln wie Quick, Blitz-Illu oder Tabu. Da war der Name noch Programm. Natürlich sind wir als "Blagen" da nie rangekommen, für uns gab es Fix und Foxi, Micky Maus und natürlich Yps. Dank Heft- und Buchpreisbindung kosteten diese Druckerzeugnisse wie die geliebten Jerry-Cotton- oder John-Sinclair-Romane genauso viel wie im Zeitschriftenhandel, alles andere war immer ein kleines bisschen bis sehr viel teurer. Außer Zigaretten. Und Eis. Das Blechschild mit den farbigen Abbildungen der verschiedenen Eissorten war immer Objekt der Verheißung und der Glückseligkeit. Machen Sie sich mal den Spaß und suchen in den bekannten Online-Verkaufsportalen nach Original-Eis-Tafeln aus den 70er- und 80er-Jahren. Für die aufgerufenen Preise könnte man tatsächlich ins echte "Capri" fahren.

Buden im Pott: Absolut systemrelevant

Aber egal ob "inne" oder "anne" Bude, die Existenz unserer Trinkhallen war jahrzehntelang eine Selbstverständlichkeit, bis irgendwann das große Budensterben einsetzte und Supermärkte teilweise bis 22 Uhr und Tankstellen sowieso durchgehend aufhatten. Warum also einem veralteten Konzept wie der Trinkhalle nachweinen? Warum sich in klebriger Ruhrpott-Nostalgie suhlen, wo doch sowieso längst eine konsumtechnische Zeitenwende angebrochen ist? Die Antwort ist ganz einfach: Kultur. Und sei sie auch nicht so bildend wie die zahlreichen Museen, die vielen Universitäten und Hochschulen oder so bewusstseinserweiternd wie die Bühnen des Ruhrgebiets, die Kultur der Bude ist genauso systemrelevant und erhaltens- und feiernswert wie jedes Konzerthaus, jedes Theater und jeder Musikclub von Haltern bis Hattingen, von Duisburg bis Hamm und weit darüber hinaus.

Deshalb: Ob "anne" oder "inne" ist egal! Auf zur Bude! Lasst Sie leben!

Was die Bude mir persönlich bedeutet, wollen Sie wissen? Ganz ehrlich: Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht. Buden waren immer da. Seit meiner Kindheit spielen Sie eine selbstverständliche Rolle in meinem Leben, vom ersten selbstgekauften Eis über die Yps- und John-Sinclair-Hefte, über die meine Eltern die Nase gerümpft haben, bis zum Kaffee im Stehen und Bleiben und eben nicht "to go"! Und wahrscheinlich ist es diese Selbstverständlichkeit, die oft so trügerisch ist. Man vermisst etwas, was eigentlich immer da ist, erst wenn es weg ist. Klopapier im Supermarkt. Geliebte Menschen, wenn sie wegziehen oder gestorben sind. Die Bude an der Ecke, die letzte Woche noch aufhatte und jetzt wahrscheinlich für immer geschlossen ist. Man sollte nicht immer alles für selbstverständlich halten, sondern etwas, woran man sich erfreut, auch wertschätzen. Wie eine gute Freundin oder einen guten Freund. Denn nichts anderes sind Buden für mich. Also manche. Nicht alle. Aber die, die ich mag, hab ich besonders in mein Herz geschlossen.

Hennes Bender


Hennes Bender gehört zu den bekanntesten deutschen Komikern und Schauspielern. Er ist im Ruhrgebiet aufgewachsen und lebt heute im Bochumer Stadtteil Wiemelhausen.
www.hennesbender.de