Aktuell
Von Haltung und Teilhabe

Zwischen Kiez und Kurve: Warum Genossenschaften gerade im Fußball neue Strahlkraft gewinnen. Das Beispiel des FC St. Pauli
Wenn man heute über moderne Beteiligungsmodelle spricht, kommt man an einem Ort nicht vorbei: dem Millerntor in Hamburg. Dort hat der FC St. Pauli etwas gewagt, das weit über Fußball hinausweist. Mit der Gründung der "Football Cooperative Sankt Pauli von 2024 eG" hat der Verein nicht nur die Kontrolle über wesentliche Teile seiner Infrastruktur zurückgewonnen, sondern auch ein Modell von Mitbestimmung und Teilhabe geschaffen, das exemplarisch für eine neue Genossenschaftskultur stehen könnte.
Als langjähriger Rotarier, ehemaliger Clubpräsident, Amateurfußball-Funktionär, Unternehmer und nicht zuletzt leidenschaftlicher Dauerkartenbesitzer beim 1. FC Heidenheim habe ich viele Perspektiven auf das Thema. Was mich am Beispiel St. Pauli besonders beeindruckt: Hier wird nicht in erster Linie über Kapital gesprochen. Sondern über Haltung. Über das "Wir". Über Verantwortung in einer Gemeinschaft.
Mehr als nur ein Finanzierungsmodell
Innerhalb weniger Monate haben sich über 21.000 Menschen bereit erklärt, Anteile an der neuen Genossenschaft zu zeichnen. Das Ziel: den Stadionbetrieb in Fanhand überführen, bestehende Kredite ablösen und den Verein unabhängiger machen. Besonders bemerkenswert: Jeder Anteil kostet 25 Euro, doch egal wie viel jemand einbringt – jede und jeder hat genau eine Stimme.
Damit hat der FC St. Pauli nicht nur die große Summe von fast 30 Millionen Euro mobilisiert, sondern ein Statement gesetzt. Für demokratische Mitgestaltung, für soziale Offenheit, für eine Identifikation, die über den Spieltag hinausgeht. Und: für eine Unternehmensform, die sich so modern zeigt wie selten zuvor.
Digital, demokratisch, direkt
Was früher als verstaubt galt, hat heute wieder Konjunktur: Die Genossenschaft. Vor allem, weil das Genossenschaftsgesetz inzwischen zu den fortschrittlichsten Unternehmensformen überhaupt zählt. Digitale Mitgliederversammlungen, einfache Beteiligungsmodelle, klare demokratische Strukturen – all das ist heute mit wenigen Klicks umsetzbar.
St. Pauli hat dies genutzt: mit einer digitalen Kampagne, mit klarer Bildsprache, mit transparenten Informationen und einer kraftvollen Botschaft: "Das ist dein Stadion. Deine Stimme. Deine Genossenschaft." Der Verein hat nicht nur auf moderne Kommunikation gesetzt, sondern das Modell über alle Kanäle hinweg erlebbar gemacht: online, auf Bannern im Stadion, in sozialen Netzwerken, im Gespräch mit Fans.
Ein Modell mit Strahlkraft – auch für andere Vereine
Dass diese Idee nicht nur in Hamburg Schule macht, zeigt das Beispiel des FC Schalke 04. Auch dort wurde 2024 eine Fördergenossenschaft gegründet. Mit dem Ziel, die finanzielle Zukunft des Traditionsvereins auf solidere Füße zu stellen und Mitglieder stärker einzubinden. Zwar blieb der große Ansturm bislang aus – mit rund 7000 gezeichneten Anteilen wurde ein erster Schritt gemacht – aber auch Schalke zeigt: Es braucht neue Formen, um Gemeinschaft wirtschaftlich tragfähig zu organisieren.
Anders als St. Pauli hat Schalke keine Stadionanteile übertragen oder direkte Entscheidungsbefugnisse eingeräumt. Doch allein die Entscheidung, sich nicht auf Investoren oder kurzfristige Finanzspritzen zu verlassen, sondern die Mitglieder aktiv einzubinden, verdient Respekt. Vielleicht ist der große Erfolg eine Frage der Zeit. Vielleicht auch eine Frage des Tons.
Warum dieses Thema auch Rotary betrifft
Die Frage nach Teilhabe, nach Verantwortung und nach nachhaltigen Strukturen ist eine zutiefst rotarische. Wir wissen, dass Gemeinschaft nicht vom Zuschauen lebt, sondern vom Mitmachen. Genau das beweisen die neuen Genossenschaftsmodelle im Fußball.
Was wäre, wenn wir diese Ideen auch für andere Lebensbereiche denken? In Banken, Schulen, Wohnprojekten, Bildungseinrichtungen, bei Energiegenossenschaften oder sozialen Innovationen? Es geht um mehr als Organisationsformen. Es geht um Werte.
Die Heidelberger Erfolgsimpulse, meine Plattform für Bank- und Unternehmensentscheider und -entscheiderinnen, hat dieses Thema erstmals auf der OMR in Hamburg 2024 vorgestellt – mit großer Resonanz. Vielleicht auch, weil es ermutigt. Weil es zeigt, dass wir inmitten von Krisen und Umbrüchen neue Modelle leben können. Und weil es am Ende um etwas geht, das in keiner Bilanz auftaucht: Zusammenhalt.
Fazit: Der FC St. Pauli macht vor, wie man aus einer Rechtsform eine Bewegung macht. Der FC Schalke 04 zeigt, dass auch in schweren Zeiten neue Wege denkbar sind. Und Genossenschaften beweisen: Zukunft entsteht dort, wo viele mitgestalten dürfen.
Und Fußball zeigt, wie eine 175-jährige Erfolgsstory emotional neu aufgeladen, eine große Zukunft hat und auch als Vorbild für die etablierten Genossenschaften dienen kann.
Ein Modell, das Rotary und seine Mitglieder nicht nur unterstützen, sondern auch mit eigenen Impulsen weiterentwickeln kann.
Zusatzinfo:
Der Autor findet viele rotarische Werte im genossenschaftlichen Modell:
- Genossenschaften stehen wie Rotary für Selbstverantwortung, Gemeinwohl und nachhaltiges Wirtschaften – eigentlich übersetzen sie rotarische Werte in unternehmerisches Handeln. Klingt etwas anmaßend, stimmt aber im Kern.
- Für Rotary im Allgemeinen bieten sie eine Möglichkeit, gesellschaftlichen Wandel aktiv mitzugestalten, etwa durch die ideelle (viele Rotarier sind Vorstandsmitglieder von VR-Banken und anderen Genossenschaften) und finanzielle Unterstützung von Schüler-, Energie- oder Sozialgenossenschaften.
- Sie ermöglichen eine strukturierte Teilhabe, bei der jeder Beitrag zählt – unabhängig von Status oder Vermögen, ganz im Sinne rotarischer Grundsätze
- Clubs können theoretisch auch Genossenschaften als juristische Struktur nutzen, um lokale Projekte langfristig zu tragen – etwa Bürgerhäuser, Dorfläden oder Kulturinitiativen.
- Distrikte wiederum könnten Genossenschaftsmodelle für überregionale Förderprojekte oder Bildungsinitiativen einsetzen, die über reine Spendenlogik hinausgehen. Als Beispiel würden sich dafür Matching-Grants anbieten, die im Ausland nachhaltig verankert werden können. "Ein Beispiel ist meine Bemühung, eine Genossenschaft in Nepal zu gründen, die sowohl von mir persönlich als auch von unserem Club unterstützt wird. Das Thema ist allerdings in der Umsetzung nicht trivial." – Stephan Vomhoff
- Das Modell schafft Transparenz und demokratische Kontrolle – Werte, die auch in der rotarischen Selbstverwaltung zentral sind.
- Gleichzeitig können Genossenschaften das regionale Engagement, das viele Clubs ohnehin bereits pflegen, stärken – aber nun mit wirtschaftlicher Tragfähigkeit.
- Auch für Fundraising sind sie attraktiv: Menschen investieren heute lieber in etwas, das sie mitgestalten können, statt nur zu spenden. "Allerdings kenne ich keine Vorbilder dafür… aber aus diesem Grund sind Leuchtturm-Projekte wie der FC Sankt Pauli für die Entscheider in den traditionellen Genossenschaften so wichtig, die genossenschaftliche Geschäftsidee wird von allen wie eine Monstranz getragen, reduziert sich im praktischen Tun aber auf Dividende und Mitgliedervorteile in Form von Rabatten bei Bankprodukten." – Stephan Vomhoff

Copyright: privat