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Im Zeitalter der Konflikte

Längst hätte sich Europa auf eine Zeit vorbereiten müssen, in der Machtpolitik und militärische Stärke an Bedeutung gewinnen. Jetzt wird es schwierig
Donald Trumps Rückkehr an die Spitze der Vereinigten Staaten markierte nicht nur einen Wechsel der amerikanischen Exekutive, sondern könnte ein neues Zeitalter der Unberechenbarkeit und Fehlkalkulationen in der internationalen Politik einführen. Trumps erste Amtszeit war geprägt von einem disruptiven, oft unberechenbaren Umgang mit internationalen Beziehungen; seine zweite Amtszeit könnte noch unberechenbarer werden. Dies liegt einerseits daran, dass er persönlich mit den Kontrollmechanismen präsidialer Macht vertraut ist, andererseits an der Besetzung seiner Regierung mit vorwiegend MAGA-treuen Loyalisten. Die Trump-Politik wird durch drei zentrale Elemente geprägt werden: Big-Tech-Feudalismus, wirtschaftlicher Protektionismus und einen (zumindest vorläufig rhetorisch) militanten Unilateralismus.
Hätte ich noch im Januar dieses Jahres gemeint, dass ein Zusammenbruch der wertebasierten, liberalen, internationalen Ordnung – ein Zustand völliger Anarchie oder ein Abgleiten der USA in die Autokratie – unter Trump sehr unwahrscheinlich ist, komme ich mehr und mehr zum Schluss, dass wir uns am Beginn einer epochalen Wende befinden, vergleichbar vielleicht mit dem Fall der Berliner Mauer 1989. Das Kennzeichen dieses sich anbahnenden Zeitalters der internationalen Politik ist die erhöhte Unberechenbarkeit und eine weitere potenzielle Destabilisierung bestehender internationaler Normen und Abkommen.
Trumps Vorliebe für schnelle, bilaterale „Deals“, oft unter Umgehung etablierter diplomatischer Normen und multilateraler Institutionen, gepaart mit seiner Missachtung traditioneller diplomatischer Gepflogenheiten, stellt eine Herausforderung für den globalen Status quo dar, vor allem hinsichtlich des regelbasierten Verständnisses von internationaler Politik, wie es in Europa praktiziert wird. Seine Bereitschaft, direkt mit autoritären Regimen transaktionale Übereinkommen zu verhandeln, während er gleichzeitig langjährige Verbündete angreift, schafft ein Umfeld, in dem bestehende Abkommen unsicherer und diplomatische Normen weniger relevant werden. Dieses Vorgehen könnte zu systematischen Fehlkalkulationen und unvorhergesehenen Konflikten führen, selbst wenn es den einen oder anderen Konflikt abschreckt.
Europa sieht sich zunehmend der Aussicht auf eine Art Tilsit 2.0 gegenüber, die an das Treffen im Juli 1807 zwischen Napoleon Bonaparte und Zar Alexander I. von Russland in Tilsit erinnert, bei dem sie beschlossen, Europa in Einflusszonen aufzuteilen, hauptsächlich auf Kosten des österreichischen Kaiserreichs und Preußens. Die Trump-Administration scheint darauf erpicht zu sein, ein ähnlich großes Abkommen mit Russland zu erreichen, was möglicherweise auf Kosten Europas gehen wird.
Kein Interesse an der Ukraine
In der Ukraine ist Trump in erster Linie daran interessiert, einen schnellen Waffenstillstand zu erreichen, unabhängig von den Bedingungen für die Ukraine, selbst wenn dies das Risiko eines Wiederauflebens des Krieges mit sich bringt. Er hat wenig Interesse daran gezeigt, dass die Vereinigten Staaten die Rolle einer Schutzmacht für die Ukraine übernehmen. Dies ist eine Realität, die die Europäer akzeptieren müssen.
Trumps Politik deutet grundsätzlich auf einen potenziellen Wandel der Vereinigten Staaten von einer – zumindest rhetorisch – Status-quo-Macht zu einer stärker revisionistischen hin. Dieser Wandel hat erhebliche Auswirkungen auf die globale Sicherheit. Die erhöhte Wahrscheinlichkeit militärischer Konflikte, ein Szenario, das ausführlich in meinem Buch Die Rückkehr des Krieges behandelt wird, ist eine deutliche Warnung, wenn alle führenden Militärmächte der Welt – die USA, China und Russland – revisionistische Ziele verfolgen. Das muss nicht bedeuten, dass die USA selbst Kriege starten. Vielmehr lädt die neue Unberechenbarkeit Washingtons potenzielle Gegner wie China in Ostasien, den Iran im Nahen Osten oder Russland in Osteuropa zu Fehlkalkulationen ein, wie die USA im Falle einer militärischen Aggression reagieren würden, weil – im Gegensatz zur Vergangenheit – wegen Trumps Unberechenbarkeit Amerikas rote Linien schwerer abzuwägen sein werden.
Hinein in eine neue Welt von Jalta
Mehr Konflikte zwischen Großmächten können auch zu mehr Konflikten in deren Peripherie führen. Nach Daten der Universität Uppsala und des Friedensforschungsinstituts Oslo aus dem Jahr 2024 erlebt Afrika derzeit mehr Konflikte als jemals zuvor seit mindestens 1946. Allein im Jahr 2024 wurden 28 staatliche Konflikte in 16 afrikanischen Ländern identifiziert – mehr als in jeder anderen Region der Welt und doppelt so viele wie vor 15 Jahren. Die Konsequenzen sind möglicherweise größere Fluchtbewegungen nach Europa, die indirekt zu politischer Instabilität beitragen könnten, indem Anti-Einwanderungs- und Flüchtlingsressentiments von links- und rechtspopulistischen Gruppierungen bedient werden, die ebenfalls revisionistische Agenden verfolgen.
Vor allem der Geist der Helsinki-Vereinbarungen von 1975, die lange Zeit als die Leitprinzipien für die europäische Sicherheitsarchitektur dienten – darunter die Unverletzlichkeit der Grenzen und der friedliche Konfliktlösungsprozess – könnten in einem zunehmend machtpolitischen Klima an Bedeutung verlieren. Dies könnte dazu führen, dass kleinere Staaten wie Österreich und internationale Organisationen in ihrer Unabhängigkeit eingeschränkt und ihre Handlungsfähigkeit verringert werden.
Europa wäre gut beraten, seine legalistische Helsinki-Weltansicht zu adaptieren und zu realisieren, dass wir in eine neue Welt von Jalta abdriften. Jalta, ein Kurort in der heutigen Ukraine, wurde 1945 zum Schauplatz einer Konferenz zwischen den Führern der Vereinigten Alliierten, Franklin D. Roosevelt, Winston Churchill und Joseph Stalin, an dem die Welt quasi in Einflusssphären von Großmächten aufgeteilt wurde. Anstelle einer liberalen Ordnung im Geiste Helsinkis könnte es vermehrt zu regionalen Machtbalancen und Jalta-ähnlichen Machtverhältnissen kommen, in denen Großmächte ihre Einflusszonen definieren. Dies erfordert von Europa ein Umdenken in seiner sicherheitspolitischen Strategie, in der Machtpolitik und militärische Stärke an Bedeutung gewinnen werden.
Dialog ohne moralische Entrüstung
Europa, Deutschland und Österreich im Besonderen, sollte sich auf eine solche schleichende Transformation vorbereiten. Das Potenzial für verstärkten US-Unilateralismus und die mögliche Anerkennung von neuen Einflusssphären erfordern eine einheitliche und selbstbewusste europäische Antwort. Ein oft beschworener, aber realpolitisch äußerst schwieriger zu koordinierender Ansatz in Bezug auf Verteidigung, Sicherheit und Wirtschaftspolitik wird langfristig entscheidend sein. Das betrifft vor allem den stets stiefmütterlich behandelten Bereich der gemeinsamen Verteidigung und die Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie. Europa darf sich in den kommenden Jahren nicht auseinanderdividieren – eine äußerst schwierige Aufgabe, da Europa durch Machtvakuume in Paris und Berlin führungslos und gleichzeitig anfälliger für eine Politik der Spaltung und Herrschaft ist, die auch von Washington ausgenutzt werden kann. Gleichzeitig muss stetiger Dialog ohne moralische Entrüstung mit der Trump-Regierung gesucht werden. Die USA bleiben, ungeachtet aller Herausforderungen, für Europa ein wichtiger Sicherheitspartner, wenn auch nicht der berechenbarste.

Franz-Stefan Gady
Die Rückkehr des Krieges
Quadriga 2024,
368 Seiten, 24 Euro

Franz-Stefan Gady ist unabhängiger Verteidigungsexperte. Er ist Consulting Senior Fellow am Londoner Institute for International Strategic Studies und Adjunct Senior Fellow am Center for New American Security in Washington, D. C.