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Standpunkt

Manchmal zu viel Club(leben)?

Standpunkt - Manchmal zu viel Club(leben)?
Clemens Witt © Privat

Jeder Rotary Club braucht ein ausgewogenes Verhältnis von Clubleben und sozialem Engagement. Dabei kommt es auf jeden Einzelnen an.

Clemens Witt01.07.2021

Seit meinem 19. Lebensjahr darf ich Mitglied der rotarischen Familie sein und ohne Rotary hätte mein Leben vollständig anders ausgehen. Ich liebe Rotary! Rotary, das sind Hunderttausende Freundinnen und Freunde, die sich in mehreren Tausend Serviceclubs zusammengefunden haben. Ich liebe den Clubgedanken und das Clubleben mit unseren Meetings, der Ämterübergabe und der Weihnachtsfeier.

Bei all der Freundschaft und durch all die spannenden Vorträge und die wunderbaren Aktivitäten im Club passiert es doch häufig, dass etwas Wichtiges zu kurz kommt: unsere sozialen Anliegen für zum Beispiel Frieden, Naturschutz und Katastrophenhilfe, aber auch unsere Programme wie Rotaract, Interact und der Jugendaustausch. Unsere Ideale sind unter anderem Freundschaft und Völkerverständigung, die gelebt werden sollen. Das funktioniert nicht als einzelner Rotary Club, sondern nur wenn wir clubübergreifend und freundschaftlich zusammenarbeiten – lokal, national wie auch international.

Wir sind keine Hilfsorganisation, sondern ein Serviceclub, weil wir neben dem Sozialen auch unser Clubleben haben. Diese Kombination macht für mich persönlich Rotary zu einer großartigen Organisation.

Wie gewichten wir Service und unser Clubleben?

Ich bin mit Zahlen vorsichtig, aber folgende Beispiele zum Nachdenken, Nachrechnen und Diskutieren möchte ich mit Euch teilen:

Warum tun wir uns so schwer mit der Unterstützung unserer größten Sozialaktion Polio Plus? Die jährliche Spende für End Polio Now sollte 1500 Dollar pro Club sein, jedoch wird diese in manchen Clubs regelmäßig diskutiert. Wenn ich von solchen Diskussionen erfahre, frage ich mich immer, wie viel sind 1500 Dollar (zirka 1240 Euro) für die Ausrottung der Kinderlähmung im Verhältnis zu den Gesamtkosten eines Clubmeetings inklusive Verpflegung, Raum et cetera? Bei vielen Clubs sicherlich nicht mehr als ein bis maximal drei Meetings.

Über unseren Rotary Deutschland Gemeindienst werden pro Jahr 11 Millionen Euro an Spenden von 55.000 Freundinnen und Freunden abgewickelt. Das sind im Schnitt 200 Euro pro Mitglied pro Jahr. Darin enthalten sind schon all Deine Spenden für Clubprojekte, die Ihr über den Rotary Deutschland Gemeindienst e.V. (RDG) abwickelt. Welcher Anteil Deiner Spenden mag dann darüber hinaus an den Jahresfonds dank EREY gehen und steht später für Grants zur Verfügung? Wie sollte das Verhältnis von Clubprojekten zu Distrikt und globalen Projekten in einer globalen Organisation Deiner Meinung nach sein?

Grundsätzlich finde ich 200 Euro beziehungsweise 11 Millionen Euro zu gering. Wie viel geben 55.000 Freundinnen und Freunde in über 1000 Clubs mit wöchentlichen Meetings im Jahr denn aus? Was kosten wohl alle Meetings aller Clubs pro Jahr in Summe? 100-prozentig belastbare Zahlen liegen mir nicht vor, aber allein bei vorsichtiger Schätzung komme ich auf eine mindestens doppelt so hohe Summe.

Ich persönlich bin ein großer Fan von wöchentlichen Präsenzmeetings. Man trifft seine Freundinnen und Freunde, lernt dazu und auch das gemeinsame Essen ist mir wichtig. Ich will es nicht missen. Aber wie viele Stunden investierst Du pro Jahr in diese Art der Freizeitgestaltung? 30 Stunden? 40 Stunden? Bei guter Präsenz sogar noch viel mehr, und das wissen Deine rotarischen Freundinnen und Freunde sehr zu schätzen. Und wie viele Stunden hast Du im letzten Jahr aufgebracht, um Sozial- beziehungsweise Hands-on-Aktionen zu planen, vorzubereiten oder durchzuführen? Wie ist Dein Verhältnis von Clubzeit zu Servicezeit?

Der Club ist das rotarische Zuhause, die Basis für unsere Freundschaft und unser ehrenamtliches Engagement. Aber nicht jeder von uns kann immer alles geben. Die Möglichkeiten pro Mitglied, vor allem aufgrund von unterschiedlichen Lebensphasen, können äußerst verschieden sein. Aber als Club kann man mithilfe einer diversen Mitgliederstruktur gemeinsam ein ausgewogenes Verhältnis finden.

Überleg Dir, wie Dein persönliches Verhältnis von Service zu Club aussehen soll, und diskutiere darauf aufbauend mit Deinen Clubfreundinnen und -freunden die Gewichtung in Eurem Serviceclub. Vielleicht bedarf es sogar von allem etwas mehr? Es gibt viel zu erleben und zu bewegen mit, durch und bei Rotary. Und zwar dank Dir.

Diskutieren Sie mit und beteiligen Sie sich an unserer Meinungsumfrage zu diesem Standpunkt: rotary.de/#umfrage 

Clemens Witt
Clemens Witt ist Past-Präsident des RC Berlin-Potsdamer Platz, Ehrenmitglied des RAC Berlin und war Vorsitzender des Rotaract Deutschland Komitees 2007/08. Seit 2013 ist er Vorstandsvorsitzender des ShelterBox Germany e.V.