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Österreich erwartet den Messias

Forum - Österreich erwartet den Messias
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Die Strategie des Abstreitens und der Erinnerungslücken ist tief verwurzelt in der österreichischen DNA. Und immer schön gemütlich.

Stefan Griebl alias Franzobel01.11.2021

Was ist los in Österreich? Eben erst H.-C. Strache und der Ibiza-Skandal, kurz darauf die (noch nicht rechtskräftige) Verurteilung des ehemaligen Finanzministers Karl-Heinz Grasser, davor ein der Bestechlichkeit überführter EU-Politiker, Ungereimtheiten beim Ankauf neuer Abfangjäger, ein gewaltiger Hypo-Alpe-Adria-Eklat … und nun die Demontage von Strahlekanzler Kurz. Falsche Zeugenaussage, Korruption, Medienbeeinflussung.


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Das alles scheint die Österreicher kaum zu stören, und anderswo fragt man sich: Wie kann das sein? Liegt es am Katholizismus, hat es mit einer vom Balkan beeinflussten Wurstigkeit zu tun, oder kommt es, weil der Österreicher allem misstraut, der Obrigkeit, der Wahrheit und nicht zuletzt sich selbst?

In Deutschland würde man sich eher die Hand abhacken, bevor man eine Flasche in den Altpapiercontainer würfe. In Österreich geht man davon aus, nicht erwischt zu werden. Der Austriake ist ein Halunke, der es sich zu richten weiß – charmant und überzeugt, dass bei ihm alles als Ka va liersde likt durchgeht. Das macht das Land sympathisch, weil es Hintertüren gibt und irgendwie alles möglich ist.

Vorsicht vor dem Homo corruptus

In Österreich wird viel gemauschelt – ein Wort, von dem man nicht weiß, ob es jetzt jiddischer Herkunft oder durch und durch antisemitisch ist, auch das ist typisch österreichisch.

Die Leute aber sind fleißig, und egal, wohin man schaut – vom Bregenzer Wald bis in die Pannonische Tiefebene –, überall stehen protzige Häuser, gibt es sagenhaft gute Restaurants, innovative Betriebe, Handwerker, die sich ihrer Tradition besinnen, und Bauern, denen die Natur am Herzen liegt. Großartige Weine, Biofleisch, moderne Trachten, eine Fülle an Kulturveranstaltungen und vieles mehr.

Es ist also keineswegs so, dass das Land im Sumpf versinkt. Und doch ist Österreich speziell, fehlt den Leuten jegliches Unrechtsbewusstsein. Die meisten leben nach dem Motto: Wer gut schmiert, der fährt gut. Die Gemütlichkeit deckt alles zu – man könnte auch sagen: der durch Sport- und Arbeitswut kaschierte latente Alkoholismus. Das hat einen eigenen Menschenschlag hervorgebracht, den Homo corruptus. Bei kleinen Gemeinden werden Aufträge meist nach Absprachen vergeben, wird im Gegenzug dem Bürgermeister eine Zufahrtsstraße betoniert. Die Postenvergabe ist proporzgeregelt, also streng nach Parteibuch, und auch sonst wird man hier nichts, wenn man nicht in einer Partei, Verbindung, Loge, einem Beisl oder wenigstens Bordell verkehrt.

Wenn jemand auffliegt, wird zur Verteidigung immer eine sofortige Täter-Opfer-Umkehr ausgepackt. Das war beim einstigen Präsidenten Kurt Waldheim so, der trotz NS-Vergangenheit gewählt worden ist, weil man sich vom Ausland nichts vorschreiben lassen wollte. H.-C. Strache sah sich als Opfer einer Intrige und hat sich gegenüber Frau und Wählern damit gerechtfertigt, dass er „eh nur“ die hübsche Russin beeindrucken wollte. Auch Sebastian Kurz konnte nicht verstehen, warum ausgerechnet er an allem schuld sein soll.

Die Strategie des Abstreitens und der Erinnerungslücken ist tief verwurzelt in der heimischen DNA. Österreich hat es geschafft, sich als erstes Opfer Hitlers darzustellen. Hier wird nichts ernst genommen, ist alles Bühne für eine immer tragisch endende Groteske. Aber gemütlich!

Hierzulande liebt man es, in jungen telegenen Politikern etwas Messianisches zu erblicken – Haider, Grasser, Kurz. Noch mehr Gefallen aber hat man daran, dem vermeintlichen Heilsbringer beim Fallen zuzusehen. Hauptsache, gute Unterhaltung.

Ein tiefes, grundsätzliches Misstrauen

Wenn die Seilschaft Kurz nun im Berg hängt wie eine tote Kuh, wird das von den Österreichern mit einem wohligen Schauer leichter Schadenfreude wahrgenommen. Und doch hat kaum jemand Hoffnung auf Trockenlegung des Korruptionssumpfes, zu tief sitzt das Misstrauen im jahrzehntelang von Proporz und Freunderlwirtschaft beackerten Boden. Die Aussicht auf Besserung ist trüb, zu omnipräsent ist der Homo corruptus. Man weiß auch nicht, ob das Land ohne dieses gemütliche Gemauschel funktionieren täte. Also, auch das ein bisschen jüdisch: Österreich erwartet den (nächsten) Messias, der demnächst bestimmt kommen wird, weil für Politiker vom Typus einer Elke Kahr, die für soziales Engagement geliebt und – wie unlängst in Graz – gewählt werden, obwohl sie die gefürchteten Kommunisten vertreten, gibt es auf der Bühne Österreich bestenfalls Statistenrollen.

Leuten, denen es um die Sache geht, wird prinzipiell misstraut, weil man Egoismus, Korruption und Verlogenheit für viel wahrscheinlicher und für menschlich hält. Man kennt halt auch nichts anderes. Aber gemütlich.

Stefan  Griebl alias Franzobel
Stefan Griebl alias Franzobel ist österreichischer Schriftsteller. Zuletzt erschien von ihm der Roman Die Eroberung Amerikas bei Zsolnay 2021, 544 Seiten, 26 Euro. Franzobel hat bei mehreren Rotary Clubs in Österreich aus seinen Werken gelesen.